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Inhaltsangabe Strategie Frühling 2000 - Pessach 5760

Editorial - Frühling 2000
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Israel – Syrien. Welches Risiko eingehen ?

Von Roland S. Süssmann
WELCHES RISIKO AKZEPTIEREN?
Als Gegenleistung für einen vagen Friedensvertrag ist die Regierung Barak dabei, den strategisch wichtigsten Punkt Israels, d.h. die gesamten Golanhöhen, an den syrischen Diktator Hafez El-Assad abzutreten. Zum besseren Verständnis der Konsequenzen und Gefahren einer derartigen Entscheidung haben wir ein Gespräch mit Dr. DORE GOLD geführt, dem ehemaligen israelischen Botschafter bei den Vereinten Nationen in New York und Autor zweier Bücher,«U.S. Military Strategy in the Middle East» und «Arms Control in the Middle East», die heute in den amerikanischen Militärakademien als Standardwerke angesehen werden. Dr. Dore Gold unterrichtet regelmässig als Fachmann in West Point und am Army War College. Ausserdem pflegt Dore Gold ein weitreichendes Netz von Beziehungen innerhalb der arabischen Welt, das von Marokko bis Qatar reicht; es weist alles darauf hin, dass er in Zukunft eine wichtige Rolle auf der politischen Bühne Israels spielen wird.

Können Sie uns kurz erklären, warum es für Israel nützlich wäre, seine Präsenz auf den Golanhöhen beizubehalten?

Auch heute, im Jahr 2000, stellt der Golan eine lebenswichtige Verteidigungslinie für den Staat Israel dar. Wir dürfen nicht vergessen, dass Syrien, als es Israel 1973 überraschend überfiel, vom Golan bis Damaskus ca. 1’400 Panzer auffahren liess. Israel hatte zwar vor kurzem die auf dem Golan stationierten Einheiten verstärkt, verfügte jedoch nur über 177 Panzer! Syrien befand sich demnach in einer achtfachen Übermacht, doch es gelang Israel trotz allem, den syrischen Angriff erfolgreich abzuwehren. Diese grundlegenden Probleme, die bereits 1973 existierten, sind auch heute noch aktuell. Die gesamte syrische Armee besteht aus einer aktiven Truppe, was bedeutet, dass sie sofort kampfbereit ist und jederzeit eine Offensive starten kann. Israel hingegen hat sich hauptsächlich die Schweiz zum Vorbild genommen und besitzt deshalb eine nach dem Milizsystem strukturierte Armee. Dies führt dazu, dass das Armeekorps in ruhigen Zeiten recht klein ist und 48 Stunden vonnöten sind, um die Reservisten zu mobilisieren, welche die Mehrheit unserer Streitkräfte ausmachen. Die meisten arabischen Militärstrategen studieren diese Asymmetrie und versuchen, davon zu profitieren, indem sie ihre zahlenmässige Überlegenheit ausnutzen, bevor Israel seine Reservetruppen zusammengebracht hat. Der Golan besitzt demnach eine lebenswichtige Funktion, um den kleinen permanenten Streitkräften Israels einen topographischen und strategischen Vorteil zu verleihen, um einen syrischen Angriff abwehren zu können.

Wäre der Golan für Israel noch notwendig, wenn Syrien seine Streitkräfte reduzieren oder es akzeptieren würde, sie an einem anderen Ort aufmarschieren zu lassen?

Es weist alles darauf hin, dass Syrien absolut nicht bereit ist, den Grossteil seiner Truppen an die Grenzen zu Irak oder zur Türkei zu verschieben, sondern seine Waffen weiterhin auf Israel richten will. Die Syrer sind strikt dagegen, eine Reduzierung ihrer Streitkräfte oder gar eine Umwandlung in eine Reservistenarmee in Betracht zu ziehen, wie dies in Israel der Fall ist. Dann darf man auch nicht vergessen, dass Israel eine Demokratie darstellt, die nicht darauf erpicht ist, einen grossen Teil ihrer Bevölkerung pausenlos im Militärdienst zu wissen. Syrien hingegen ist ein autoritäres Regime, die Regierung von Hafez El-Assad ist nicht nur auf eine grosse Berufsarmee angewiesen, um Israel zu bekämpfen, sondern auch um seine eigene Bevölkerung in Schach zu halten, um seine Position zu sichern. Aus diesem Grund behält dieses Land riesige Streitkräfte, die an Grösse den meisten europäischen Armeen entsprechen. Wegen dieses Ungleichgewichts besitzt der Golan grundlegende Bedeutung für die Verteidigung Israels. Dazu möchte ich hinzufügen, dass jedermann, der sich ein wenig in der Topographie auskennt und die Kriege in Europa und im Mittleren Osten studiert hat, genau weiss, dass die Konflikte nicht aufgrund von Waffenstärke, Artillerie oder Raketen gewonnen werden, sondern durch die Truppenbewegungen im Kriegsgebiet. Der Golfkrieg wurde von der Koalition ausschliesslich dank der territorialen Eingriffe für sich entschieden und nicht infolge von Bombardierungen. Solange die Verschiebungen der militärischen Bodeneinheiten den Ausgang eines Krieges entscheiden, stellen das Territorium, die Topographie und die strategische Tiefe, die sich auf dem Golan in den Händen Israels befinden, einen wesentlichen Faktor für die Sicherheit Israels dar, selbst im Zeitalter der Marschflugkörper.

Ihre Analyse ist bestimmt auch Ehud Barak bekannt. Wie erklären Sie sich, dass ein Mann nach einer doch eindrücklichen Militärkarriere daran denken kann, derart wichtige strategische Vorteile zugunsten eines unbestimmten Friedensvertrags abzutreten?

Man muss zwischen einer militärischen Beurteilung und einer Meinung im zivilen Bereich unterscheiden. Das von mir ausgeführte militärische Argument stützt sich auf die klassische und unveränderliche Doktrin des Staates Israel, die seit der Epoche von Moshe Dayan besteht und von Itzchak Rabin übernommen wurde. Barak sagte sogar, er sehe die Dinge nicht mehr nur mit dem Auge eines Generalstabschefs, sondern er berücksichtige weiterreichende diplomatische Überlegungen. Er verfügt möglicherweise über eine Alternative, dank der er die vom Golan gebotenen Vorteile für die Sicherheit beispielsweise durch amerikanische Unterstützung ersetzen kann. Diese besteht gegebenenfalls aus Milliardenbeträgen in Dollar, mit deren Hilfe Israel ultramoderne militärische Technologie erwerben könnte, um den Verlust der Golanhöhen zu kompensieren. Der Ministerpräsident besitzt vielleicht gute Gründe, dieses Risiko eingehen zu wollen. Ich zweifle jedoch ernsthaft an der Durchführbarkeit dieses Vorgehens. Wir befinden uns doch nicht mehr im Kalten Krieg, als die USA zu Schmähungen bereit war, ohne die Dollars für die Unterstützung fremder Staaten zu zählen. Ich bin keineswegs davon überzeugt, dass das Geld, mit dem Barak rechnet, wirklich zu seiner Verfügung steht und dass er seine kostspielige Alternativlösung tatsächlich erreichen kann. Es lässt auch gegenwärtig nichts den Schluss zu, dass Syrien denselben Friedensvertrag abschliessen möchte wie ihn sich die Israelis wünschen. Es sieht vielmehr so aus, als ob sie eine Art besseren Waffenstillstandsvertrag unterzeichnen wollten, der eventuell den Austausch von Botschaftern beinhaltet, jedoch keinesfalls eine Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern bedeuten würde. In Europa braucht man heute keinen Umschwung mehr zu befürchten, der zu einem Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland führen könnte, da beide Länder in so vielfältiger Weise voneinander abhängig sind, dass der Ausbruch von Feindseligkeiten schlicht undenkbar wäre. Wenn jedoch Syrien die Normalisierung seiner Beziehungen zu Israel verweigert, bedeutet dies, dass der jüdische Staat seinen Schutzschild aufgegeben hat, ohne mit einer neuen konstruktiven Lösung aufwarten zu können, die es beispielsweise jedem ermöglichen würde, ungehindert von Jerusalem nach Damaskus zu reisen, wie es heute zwischen Paris und Berlin möglich ist. Die Syrer möchten bewusst eine Form des Kriegszustands beibehalten.

Glauben Sie nicht, dass Israel es dank seiner technologischen Überlegenheit wagen könnte, auf den Golan zu verzichten, vor allem wenn dies zum Frieden mit Syrien führt?

Das Terrain, die Topographie, die strategische Tiefe und die Bevölkerung stellen in einer militärischen Gleichung Konstanten dar. Der technologische Vorteil gilt als Element, das sich von einem Tag auf den anderen verändern kann. Natürlich wird Israel für seine Zustimmung, den Golan abzutreten, einen technologischen Vorteil erhalten… und fünf Jahre später besitzt Syrien dieselbe Ausrüstung. Wir dürfen nie vergessen, dass Israel nach dem Abzug aus dem Sinai ultramodernes militärisches Material aus Amerika bekommen hat. Kurze Zeit später haben die Vereinigten Staaten die ägyptische Armee völlig modernisiert, ihre Piloten fliegen heute in denselben F-16 wie Israel und in raketenbestückten Apache-Helikoptern. Darüber hinaus besitzen ihre Panzereinheiten amerikanische Abrams-Tanks, die zu den modernsten der Welt gehören. Und schliesslich führt die ägyptische Armee gemeinsame Manöver mit der US-Army durch und lernt dadurch die Techniken der amerikanischen Kampfdoktrin. Sämtliche militärische Vorteile, die Israel für den Rückzug aus dem Sinai erhalten hat, wurden wenige Jahre später dadurch wertlos gemacht. Welche Garantien besitzen wir, dass sich dasselbe nicht mit Syrien wiederholen wird? Keine!

Wie könnte auf weiterreichender Ebene ein Abkommen mit Syrien Ihrer Meinung nach aussehen, einschliesslich des Rückzugs von Israel aus dem Golan?

Ehud Barak hofft, dass der Verzicht auf den Golan die gesamte strategische Situation Israels verändern wird. Er denkt, dass er zu einem Frieden führen wird, der sich auf die gesamte arabische Welt ausdehnen lässt, mit Ausnahme des Iraks und einiger anderer Länder, wie z.B. Libyen. Er glaubt, dass die Länder, die für Israel und für den Westen im allgemeinen eine Gefahr darstellen, auf diese Weise völlig isoliert werden. Er ist überzeugt, dass dieses Abkommen einen riesigen Investitionsfluss nach Israel auslösen wird, denn die Geschäftswelt wird verstärkt daran interessiert sein, in eine befriedete Region zu investieren als in eine von Unruhen erschütterte Zone. Ich habe jedoch berechtigte Zweifel zu allen diesen Punkten. Ich fürchte nämlich, dass Israel sich auf eine Situation vorbereiten muss, in der Irak und Iran auf dem Spielfeld des Mittleren Ostens wesentlich mehr Trümpfe in der Hand halten als heute. Es ist bekannt, dass der UNO-Sicherheitsrat sich über die Irak-Frage nicht einig ist, so dass Saddam Hussein gute Gründe zur Annahme besitzt, er werde in Bälde jeder Form der Überwachung und der Sanktionen entledigt sein. Seit 1996 erhält der Iran seinerseits von Russland Raketen und die gesamte damit verbundene Technologie. Dies ist nicht zu unterschätzen, denn es darf nicht vergessen werden, dass Russland eine Weltraummacht darstellt. Man muss sich also eingestehen, dass die westliche Allianz in bezug auf den Irak versagt hat und es ihr auch nicht gelungen ist, den Transfer der Raketentechnologie von Russland in den Iran zu verhindern. Aus diesen Gründen gehe ich davon aus, dass Israel versuchen sollte, seine Alliierten und die westliche Welt davon zu überzeugen, die Sicherheit im Mittleren Osten zu konsolidieren, um einem weiteren Machtzuwachs dieser beiden Staaten des Mittleren Ostens Einhalt zu gebieten. Daraus ergibt sich logischerweise, dass der Rückzug aus dem Golan Israel niemals stärken wird, wenn Iran und Irak im militärischen Gleichgewicht dieser Region noch mehr Bedeutung erhalten.

Zum Abschluss, wie könnte der Verzicht auf den Golan denn praktisch aussehen? Es leben heute mehrere tausend Juden in diesem Gebiet, können sie einfach vertrieben werden?

Ehud Barak hofft, dass er, falls das Abkommen mit Syrien von der israelischen Bevölkerung in einer Abstimmung mit grosser Mehrheit akzeptiert wird, in der Lage sein wird, das Problem der Golanbewohner friedlich zu regeln. Falls er die Armee damit beauftragt, die Einwohner vor den Kameras der ganzen Welt umzusiedeln, bin ich überzeugt, dass dies im Land zu grossen Meinungsverschiedenheiten führen wird, die tiefe Narben hinterlassen werden; dies ist auch bei der immer noch unvergessenen Evakuierung von Yamit passiert. Auf dem Golan handelt es sich jedoch um sehr viel mehr Menschen als damals im Sinai.


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