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Inhaltsangabe Interview Frühling 2000 - Pessach 5760

Editorial - Frühling 2000
    • Editorial

Pessach 5760
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Politik
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Interview
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Golan - Der Widerstand organisiert sich

Von Roland S. Süssmann
DER WIDERSTAND ORGANISIERT SICH
Die Idee Ehud Baraks, die Golanhöhen abzutreten, wird bei weitem nicht von allen Israelis mit Begeisterung aufgenommen. Diese Opposition teilt die israelische Gesellschaft nicht in die üblichen Lager von links und rechts, fromm und nichtgläubig, für oder gegen den Osloer Friedensprozess, sondern vereint in den Demonstrationen die Vertreter aller Glaubensrichtungen. Es kommt nicht selten vor, dass Menschen mit völlig entgegengesetzten Ansichten über die Frage der jüdischen Gebiete von Judäa-Samaria-Gaza sich darüber einig sind, die Abtretung des Golan abzulehnen.
Ein Mann hat sich an die Spitze dieser spontanen Gegenbewegung gestellt, MOSCHE ARENS, ehemaliger israelischer Botschafter in Washington, Verteidigungsminister während des Golfkriegs, Vater des israelischen Kampfflugzeugs Lavi, kurz, ein Mann, der nicht nur auf eine beachtliche Karriere zurückblicken kann, sondern heute auch als die Stimme der Vernunft und der Entschlossenheit in Israel gilt.

Die Gründe, die Ehud Barak veranlassen, die Abtretung des Golans an Syrien ins Auge zu fassen, sind recht schwer zu begreifen. Welches sind Ihrer Ansicht nach seine tieferen Beweggründe?

Bevor ich auf Ihre Frage antworte, möchte ich die Tatsache hervorheben, dass dieser Gedanke einen schwerwiegenden Fehler verkörpert. Barak geht nach eigenen Worten davon aus, dass er durch den Abschluss eines Friedensvertrags mit Syrien dem Staat Israel einen beständigen Frieden garantieren kann, und dass dadurch gleichzeitig alle Sicherheitsprobleme gelöst werden. Er ist davon überzeugt, einen endgültigen Schlusstrich unter den jahrhundertealten regionalen Konflikt zwischen Juden und Arabern zu ziehen, und glaubt, dass diese Zukunftsperspektiven gewisse «sehr schmerzliche Entscheidungen» wert sind, wie z.B. den Verzicht auf den Golan.

Weshalb handelt es sich hierbei um einen Fehler?

Dieses Vorgehen ist unüberlegt und ganz einfach vollkommen falsch. Man muss sich daran erinnern, dass Syrien Israel bereits drei Mal angegriffen hat und jedesmal geschlagen wurde. Es existiert kein internationales Prinzip, das besagt, dass ein Angreifer, der infolge einer offensiven Provokation Territorium verliert, dieses notwendigerweise zurückerstattet bekommt. Ganz im Gegenteil, dies wäre geradezu eine Aufforderung andere anzugreifen, da man nichts mehr zu verlieren hätte.
Seit 1967 gehört der Golan zu Israel, und seit seiner Annexion am 14. Dezember 1981 durch die Knesset ist er fester Bestandteil der israelischen Souveränität. In diesem Sinne wäre die Art der Zugeständnisse in Bezug auf den Golan grundsätzlich neu im Vergleich zu denjenigen, die bisher den Ägyptern und Palästinensern gewährt wurden. Die zu Recht oder Unrecht an sie abgetretenen Gebiete gehörten nicht zum souveränen Staatsgebiet Israels, während der Golan ein fester Bestandteil des Territoriums ist. Seit dreiunddreissig Jahren leben Israelis in dieser Region, es existieren 33 Städte und Dörfer, Kibbutzim und Moschawim hier. Es ist daher inakzeptabel, dass Israel 18’000 Juden aus ihrer Heimat vertreibt, um den Golan Syrien zurückzuerstatten. Und schliesslich darf man weder die strategische Bedeutung des Golans, noch die Tatsache vergessen, dass die meisten Israelis sich heute nicht mehr daran erinnern, dass der Golan einst nicht zu ihrem Land gehörte, sie kennen es nicht anders. Für sie geht es dabei nicht um ein provisorisch von Israel verwaltetes Gebiet, sondern um eine schon immer existierende Realität des Landes. Während des Kippurkrieges konnte der Norden des Landes einzig und allein durch die Kontrolle Israels über den Golan vor der syrischen Invasion bewahrt werden. Dieser strategische Vorteil hat es den dort stationierten Streitkräften erlaubt, 48 Stunden lang standzuhalten, bis unsere Reservisten mobilisiert waren.

Denken Sie, dass es heute keinen einzigen Grund für Israel gibt, den Forderungen Syriens nachzugeben?

Richtig, denn Syrien stellt gegenwärtig keine militärische Bedrohung für Israel dar. Das Land befindet sich nämlich in einem miserablen Zustand. Seine Wirtschaft ist dem Zusammenbruch nahe, nachdem sie über 30 Jahre lang von Assad nach dem albanischen Modell verwaltet worden ist; und auch die Armee macht nicht mehr viel her. Doch diese Situation kann umschlagen, wenn Syrien den Golan zurückerhält und wenn seine Armee dank amerikanischer Waffen modernisiert wird.

Glauben Sie, dass Israel sich auch ohne den Golan verteidigen könnte?

Es stimmt, dass wir während des Sechstagekriegs nicht über diesen Berg verfügten und uns trotzdem verteidigen und ihn gar erobern konnten. Ich glaube auch nicht, dass ein Angriff der Syrer nach der Abtretung des Golans automatisch zur Vernichtung des Staates Israel führen würde. Wir kennen jedoch die Risiken und vor allem den Preis in Form von Menschenleben, wenn Israel noch einmal kämpfen müsste, um den Golan zurückzuerobern. Dieser Schritt ist folglich gefährlich und überdies unnötig.

Sie haben die Israelis erwähnt, die auf dem Golan wohnen. Warum hat keine einzige Regierung seit 1967 eine breitangelegte Besiedlungsaktion dieser für Israel lebenswichtigen Region unternommen und beispielsweise eine städtische oder industrielle Infrastruktur geschaffen, die 100’000 oder gar 200’000 Personen veranlasst hätte, sich in dieser herrlichen Gegend niederzulassen?

Zahlreiche Israelis gehen effektiv heute davon aus, dass der Staat in dieser Hinsicht einen schweren Irrtum begangen hat. Einer der Gründe liegt wohl ganz einfach in der Tatsache, dass sich niemand vorstellen konnte, die israelische Herrschaft über den Golan werde eines Tages in Frage gestellt und es könne nötig sein, die israelische Position durch eine massive Besiedlung dieser Region zu verstärken. Auf praktischer Ebene muss daran erinnert werden, dass der Golan sich etwas an der Peripherie des Landesinnern, der grossen Industriezonen und der Arbeitsplätze befindet und dass das Leben in dieser Region hauptsächlich auf der Landwirtschaft beruht, die nicht zu einer hohen Bevölkerungsdichte führt. Diese Entwicklung entstand demnach auf natürliche Weise und ohne staatliche Eingriffe. Wenn jemand allerdings geahnt hätte, dass einer unserer Ministerpräsidenten eines Tages zum Verzicht auf die Golanhöhen bereit wäre, hätten wir den Besiedlungsprozess wahrscheinlich beschleunigt, und die Verhandlungen mit Syrien sähen heute ganz anders aus.

Sie stehen beim Kampf um die Beibehaltung des Golans an vorderster Front. Wie organisieren Sie den Widerstand gegen die Abtretung des Plateaus und wie kämpfen Sie für Ihr Anliegen?

Die Opposition gegenüber der Idee, den Golan an Syrien abzutreten, wird von einem Querschnitt geteilt, der charakteristisch ist für die Gesellschaft und eigentlich die Bevölkerung des Golan widerspiegelt: die Wähler von Barak, diejenigen des Likud, der Meretzpartei usw. Man sieht, dass viele Israelis unabhängig von ihrer politischen Zugehörigkeit der Überzeugung sind, der Verzicht auf den Golan sei falsch. Wir stützen uns bei unserem Kampf auf diese Sachlage, unsere Argumente richten sich nicht nur an die Rechte, sondern an ein sehr breites Spektrum der Bevölkerung. Die Teilnehmer an der grossen Demonstration, die wir in Tel Aviv organisiert haben und an der ca. 250’000 Menschen zusammenkamen, stammten aus allen politischen Lagern und aus allen Regionen des Landes.

Wieviel Zeit steht Ihnen zur Verfügung?

Leider sind viele Faktoren unvorhersehbar. Es ist gut möglich, dass ein unfreiwilliger Alliierter in der Person des Präsidenten Hafez El-Assad uns in unserer Kampagne unterstützen wird : er will aus uns unbekannten Gründen ganz einfach kein Abkommen mit Barak eingehen, trotz aller Zugeständnisse, die unser Ministerpräsident ihm unaufhörlich macht. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass die von Syrien gestellte Vorbedingung, d.h. die Rückgabe des Golans, erfüllt wurde, da Barak bereit ist, das Plateau abzutreten. Alle weiteren Punkte sind zweitrangig, da Fragen, wie z.B. die entmilitarisierte Zone oder die vorgelagerten elektronischen Warnstationen eigentlich bedeutungslose Details sind. Der Golan ist ein kleines Gebiet, das von einem Panzer in ungefähr anderthalb Stunden durchquert werden kann. Diese Warnstationen sind daher nutzlos. Assad bleibt weiterhin ein Rätsel, und in Israel verstehen viele Leute nicht, weshalb er die ihm gebotene Chance nicht nutzt.
Falls Assad dem ihm vorgeschlagenen Abkommen zustimmt, wird Ehud Barak diesen zunächst von der Knesset ratifizieren lassen müssen. Hierin besteht unser erstes Anliegen, und es wird alles von der Partei Schas abhängen. Die Abgeordneten von Schas werden gemäss den Anweisungen ihres Mentors, des Rabbiners Ovadia Yosef abstimmen, und wenn er sie dazu anhält, die Regierung zu unterstützen, wird das Abkommen von der Knesset gutgeheissen und dem Volk zur Abstimmung unterbreitet. Die meisten Wähler der Schas sind jedoch gegen einen Rückzug vom Golan. Wir werden uns folglich in einer äusserst gefährlichen Situation befinden. Die Wähler werden nämlich vor vollendete Tatsachen gestellt, die sie ratifizieren sollen. Barak wird ihnen weismachen, dass ein Nein angesichts der Tatsache, dass er den Vertrag unterzeichnet und die Knesset ihn gutgeheissen hat, einen Krieg auszulösen droht. Solche Argumente sind in der Regel sehr überzeugend. Uns würde bestimmt eine kleine Inszenierung auf dem Rasen vor dem Weissen Haus serviert, bei der Assad die Hand von Barak schüttelt. Ich betone aber an dieser Stelle, dass die Vereinigten Staaten keinerlei Druck auf Israel ausüben, was sie übrigens noch nie getan haben. Wegen des Erdöls ist den Amerikanern tatsächlich daran gelegen, dass die Region stabilisiert wird, doch die Vorgaben in der Sicherheitspolitik werden von Israel selbst definiert. Ich behaupte nicht, dass Bill Clinton seiner letzten Amtsperiode nicht gern die Krone aufsetzen würde, indem er beispielsweise einen Friedensnobelpreis dafür erhält, dass er den Erhalt einer gutnachbarlichen Beziehung zwischen Syrien und Israel erreicht hat. Doch es wird Ehud Barak persönlich sein, der ihm mitteilt, der jüdische Staat sei nicht mehr auf die Golanhöhen angewiesen.
Denken wir daran, dass fast 15% der israelischen Wähler Araber sind, die sozusagen geschlossen für den Rückzug stimmen werden. Wir stehen daher vor einer extrem schwierigen Herausforderung, denn wir müssen 60% der jüdischen Stimmen erhalten, damit Barak die Abstimmung verliert. Wir organisieren nun eine echte politische Kampagne im Stil eines Wahlkampfes, denn eine Niederlage in der Volksabstimmung würde ebenfalls das Ende der Amtszeit von Barak bedeuten. Er könnte nicht weiterhin als Ministerpräsident amtieren, wenn die Mehrheit der Israelis letztendlich alle seine Vorschläge und Anliegen ablehnen. Für ihn besitzt diese Abstimmung fast die Bedeutung einer Wiederwahl.
Auf praktischer Ebene kämpfen wir an verschiedenen Fronten gleichzeitig, sowohl innerhalb der Knesset als auch vor Ort. Da Israel noch nie eine Abstimmung erlebt hat, wird zu ihrer Durchführung nun ein Sondergesetz ausgearbeitet. Wir setzen alles daran, damit die erforderliche Mehrheit von 50% der eingetragenen Wähler und nicht einer einfachen Überzahl entspricht. Am 1. März 2000 hat das Parlament in erster Lesung, unserem Vorschlag, d.h. einem Gesetz zugestimmt, das ein Abgabe des Golan von einem qualifizierten Mehr im Volke – das heisst von der Mehrheit aller Stimmberechtigten – abhängig machen soll. Ein Abschlussvotum wird der Knesset unterbreitet werden und wir hoffen auf ihre Zustimmung. Auch hier wird die Partei Schas, die 15% der Sitze innehat, letztendlich das Zünglein an der Waage spielen. Im Hinblick auf den direkten Kontakt mit der Öffentlichkeit organisieren wir zahlreiche Veranstaltungen, Konferenzen und Begegnungen auf allen Ebenen, doch die beste Kampagne besteht darin, so vielen Israelis wie möglich einen Besuch des Golans zu ermöglichen.
Zum Schluss möchte ich sagen, dass es für Ehud Barak, falls er die Abstimmung tatsächlich mit einer Mehrheit von 51% oder 52% für sich entscheidet, nicht einfach sein wird, 18’000 Israelis aus ihren Wohnungen zu vertreiben und einen so wesentlichen strategischen Vorteil an Syrien und Hafez El-Assad abzutreten.

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