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Inhaltsangabe Spanien Frühling 2006 - Pessach 5766

Editorial
    • Editorial [pdf]

Pessach 5766
    • Freiheit und Verantwortung [pdf]

Politik
    • Trugbild der Einsteitigkeit [pdf]

Interview
    • Die Sicherheitslage [pdf]
    • Mut und Entschlossenheit [pdf]
    • Judentum und Geisteshöhe [pdf]

Judäa-Samaria
    • Schande und Hoffnung [pdf]

Analyse
    • Auferstehung des Kalifats [pdf]
    • Multikulturalität und Antisemitismus [pdf]
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Reportage
    • Geburt in Jerusalem [pdf]

Wissenschaft und Forschung
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Kunst und Kultur
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Spanien
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    • Jude und Baske [pdf]
    • Die Juden und die Zeitgenössische Literatur [pdf]
    • Esther Bendahan [pdf]
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Ethik und Judentum
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Das Gute Gedächtnis
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Jude und Baske

Von Roland S. Süssmann

Gemäss einer alten Anekdote soll der Rabbiner Folgendes gefragt haben, als Sammy Davis Jr. zum Judentum übertreten wollte: «Reicht es Ihnen nicht aus, Schwarzer zu sein?». Eine ähnliche Frage könnte man sich in Bezug auf eine Persönlichkeit stellen, die wir Ihnen heute vorstellen möchten, nämlich den spanischen Politiker ENRIQUE MÚGICA HERZOG, der Jude und Baske ist!
Enrique Múgica wurde 1932 in San Sebastián geboren und trat neben seinem Rechtsstudium sehr rasch in die Politik ein, indem er in der Studentenbewegung aktiv mitmachte. Seine politische Tätigkeit begann im Jahr 1953. Schon 1956 war er der Hauptorganisator des Hochschulkongresses für junge Schriftsteller, der zu den Vorfällen im Februar 1956 an den Universitäten führte, in deren Folge er verhaftet und drei Monate lang ins Gefängnis gesteckt wurde. Seine politische Tätigkeit gegen Franco brachten ihn vier Mal hinter Gitter: insgesamt hat er zweieinhalb Jahre im Gefängnis verbracht und wurde auch zu Hausarrest verurteilt.
Enrique Múgica war seit der Einberufung der konstituierenden Versammlung in allen Legislaturperioden Mitglied des Abgeordnetenkongresses (Abgeordneter von Guipúzcoa). Im Kongress wirkte er als Präsident des Verteidigungsausschusses und als Vizepräsident des Verfassungsausschusses im Kongress. Zwischen 1988 und 1991 war er Justizminister in der Regierung von F. Gonzalez; während dieser Zeit wurden diverse Gesetzestexte über vordringliche Reformen verabschiedet: das Gesetz über die territoriale Aufteilung und die Organisation der Justizverwaltung, das Gesetz über die Aktiengesellschaften sowie verschiedene Reformen in Bezug auf das Prozess- und Strafrecht, die zur Schaffung der Strafgerichte führten.
1997 wurde er kraft einer königlichen Verordnung zum Präsidenten der Untersuchungskommission betreffend die Goldtransaktionen während des Zweiten Weltkriegs aus dem Dritten Reich ernannt. Der Autor des Buches Itinerario hacia la libertad hat auch zahlreiche Artikel in der Presse veröffentlicht. Im Verlauf dieser wesentlichen Etappen seiner facettenreichen politischen Karriere wirkte er natürlich auch in unzähligen Kommissionen, Exekutivausschüssen usw. mit. Seit dem 15. Juni 2000 ist Múgica «Defensor del Pueblo» - Ombudsmann Spaniens. Sein Leben erfuhr eine dramatische Wende, als 1996 sein Bruder Fernando von der ETA ermordet wurde.
Wir wurden nun also in Madrid in seinem wunderschönen Büro mit Holztäfelungen aus dem 19. Jahrhundert von Múgica Herzog sehr herzlich willkommen geheissen. Sein warmer Empfang, seine offene Freundlichkeit und seine gradlinigen, direkten und kompromisslosen Aussagen auf höchstem Niveau machten diese Begegnung zu einem besonderen Ereignis.

Seit vielen Jahren sind Sie nun schon sehr aktiv in der Politik tätig, und zwar in einem streng katholischen Land, und doch haben Sie ihren jüdischen Namen Herzog beibehalten. Können Sie uns kurz Ihre Familiengeschichte zusammenfassen?

Der Name Herzog stammt aus der Familie meiner Mutter. Mein Grossvater mütterlicherseits wurde in Krakau geboren, wanderte nach Frankreich aus und heiratete 1911 dort eine polnische Jüdin. Aus dieser Ehe ging meine Mutter hervor. Nach dem Ersten Weltkrieg war mein Grossvater aufgrund seines österreichischen Passes gezwungen, Frankreich zu verlassen, und liess sich in San Sebastián nieder, im Baskenland. Trotz des heftigen Widerstands meiner Grosseltern heiratete meine Mutter einen nicht jüdischen Basken, meinen Vater. Nach ihrer Hochzeit legte sich aber die Aufregung, 1932 wurde dann ich geboren. Mein Vater starb während des Bürgerkriegs an einer Krankheit, und niemand informierte meinen Bruder und mich je darüber, dass wir Juden seien. Dies hatte in erster Linie damit zu tun, dass viele deutsche Soldaten nach der Besetzung Frankreichs regelmässig das Wochenende in San Sebástian verbrachten und es daher ratsamer war, seine jüdische Identität geheim zu halten. Am Familientisch sassen auch oft unsere Grosseltern, und sie unterhielten sich mit der Mutter in einer Sprache, die unserer Ansicht nach nur Polnisch sein konnte, obwohl es sich in Wirklichkeit um Jiddisch handelte! Mit ungefähr 14 Jahren, praktisch im Alter der Bar-Mitzwah, sagte mir mein Bruder, er habe ein Buch von André Maurois gelesen, der in Wahrheit ein elsässischer Jude namens Émile Salomon Wilhelm Herzog sei, also genau so hiess wie wir. Da drängte sich ein logischer Schluss auf: wir waren Juden. Für mich persönlich war die Entdeckung meines Judentums weder mit Leid noch mit Demut oder Verfolgung verbunden, sondern war erfüllt von Würde, Mut und Stolz, da gleichzeitig der jüdische Staat gegründet wurde. Ich verfolgte mit grossem Interesse den Kampf um die Entstehung und die Existenz Israels, was meine jüdische Identität festigte, da sie auf dem Sieg und dem Triumph aufgebaut war und nicht auf einer Niederlage. Jene Ereignisse haben mich für den Rest meines Lebens geprägt. Der Heldenmut und der Siegeswille der Staatsgründer haben mir bei meinen Handlungen übrigens oft als Wegweiser gedient, als ich im Untergrund das Franco-Regime bekämpfte.

Wie erleben Sie Ihre Beziehung zu Israel?

Zunächst einmal möchte ich an dieser Stelle betonen, dass ich absolut für die Errichtung der Trennmauer bin, da sie ein bedeutendes Element in Israels Kampf für die Sicherheit seiner Bürger darstellt. Sie kann in keiner Weise mit der Berliner Mauer verglichen werden, die einen permanenten Charakter besass, während der Zaun in Israel sofort aufgehoben wird, wenn die Bekämpfung des Terrors dies zulässt. Israel stellte für mich, wie ich bereits sagte, schon immer eine Quelle der Inspiration dar.

Wie erklären Sie sich, dass die offiziellen Beziehungen zwischen Spanien und Israel erst vor 20 Jahren aufgenommen wurden, d.h. 38 Jahre nach der Gründung des jüdischen Staates?

Dies ist auf die aussergewöhnlich guten Kontakte zurückzuführen, die Spanien zur arabischen Welt unterhielt, ganz zu schweigen vom Problem des Erdöls. Erst Präsident F. Gonzalez hat begriffen, dass es für Spanien unabdingbar war, diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen, wenn es seinen Platz in der Europäischen Union behaupten wollte. Dies war auch der Preis für das Verbleiben in der NATO. Gonzalez wurde es auch klar, dass die arabische Rhetorik übertrieben und nicht besonders effizient war. Letztendlich ist nach der Aufnahme der Beziehungen zwischen Madrid und Jerusalem gar nichts passiert, und so können wir heute auf 20 Jahre währende ausgezeichnete Beziehungen zurückblicken, die auch in Zukunft sehr viel versprechend sind, ohne dass unsere Position in der arabischen Welt irgendwie darunter gelitten hätte.

Schon Ihre Familie war von den Folgen des Terrorismus direkt betroffen, am 11. März 2004 wurde auch ganz Spanien von den islamischen Terroranschlägen zutiefst erschüttert. Sind Sie der Meinung, dass man nach diesen Ereignissen den Terrorismus in Ihrem Land mit anderen Augen ansieht?

Der Terrorismus war schon immer eine Waffe, mit der Nationalismus, Rassismus, Fanatismus und Fundamentalismus ihre Ziele zu erreichen versuchten, nämlich die Einführung des Totalitarismus auf nationaler und individueller Ebene. Dazu standen ihnen nur zwei Möglichkeiten zur Verfügung: die Schaffung eines Klimas der Angst und die Vernichtung des Anderen. Diesen Weg wählte schon der Nationalsozialismus, der zur Schoah führte. Das Datum vom 11. März 2004 war nichts anderes als der tragische Ausdruck dieses Vorgehens, doch für uns hat sich nichts geändert, wir fahren auch hinterher fort, jede Form von Terrorismus gnadenlos zu bekämpfen.

Welche Ansichten haben Sie in Bezug auf die Bekämpfung des Terrors und der Islamisierung Europas? Glauben Sie, dass dieser Kampf mit der erforderlichen Härte geführt wird?

Ich denke nicht, dass der arabische Fundamentalismus der Hauptgrund für den Terror ist. Zurzeit gibt es in Europa noch keine muslimische Mehrheit, welche die Staaten ernsthaft gefährden könnte. Daher bin ich überzeugt, dass der Kampf mit Hilfe von Polizeiaktionen stattfinden muss und nicht über die Politik oder gar den Staat. Wenn ich aber die gewalttätigen Ausschreitungen in den französischen Vororten von 2005 als Beispiel nehme, fällt meiner Ansicht nach diese Art von Problemen in den Verantwortungsbereich des Staates. Es handelt sich hierbei ja nicht um einzelne oder wiederholte Terroranschläge, sondern um einen Angriff auf die republikanischen Werte, welche die eigentliche Grundlage eines freien und demokratischen Staates bilden. Es ist folglich tatsächlich Aufgabe des Staates und demnach diejenige der Regierungen, alles zu unternehmen, damit die Ausschreitungen dieser «Randgruppen» durch Entscheidungen auf politischer und sozialer Ebene beendet werden. Ich bin sicher, dass in der gegenwärtigen Situation eine entschlossen durchgeführte Polizeiaktion und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen europäischen Sicherheitsdiensten ausreichen würden, um den Terrorismus in Europa in Schach zu halten. Der Einsatz polizeilicher Kräfte ist umso wichtiger, als mit Terroristen in keiner Weise verhandelt oder diskutiert werden kann.

Vor kurzem waren gewisse Gerüchte in Umlauf, die besagten, der berüchtigte Nazi Aribert Heim verstecke sich in Spanien. Man hat ihn allerdings nicht gefunden. Haben Sie Informationen zu diesem Thema?

Derartige Gerüchte machen regelmässig die Runde, nicht nur in Spanien, sondern auch in Südamerika, Frankreich und den USA. Ich glaube, dass wir uns im Moment damit begnügen müssen, unser Scheitern zu konstatieren, einfach weil diese Verbrecher viel raffinierter sind als die Organisationen, die sie suchen. Doch die Jagd wird deshalb nicht eingestellt. Gemäss dem spanischen Strafrecht ist Negationismus ebenso strafbar wie Rassismus und Antisemitismus, der speziell erwähnt wird.

Können Sie uns in Ihrer Eigenschaft als Präsident der Untersuchungskommission betreffend die Goldtransaktionen während des Zweiten Weltkriegs aus dem Dritten Reich sagen, was mit diesem Vermögen wirklich passiert ist?

1997 fragte Präsident Clinton während einer Sitzung der NATO, die in Spanien stattfand, Präsident Aznar an, ob er eine Untersuchungskommission gebildet habe, um herauszufinden, was in diesem Land mit dem von den Nazis gestohlenen Gold der Juden geschehen sei. Nach dieser Intervention bat mich unser Präsident, diese Kommission zu bilden. Ich war damals sozialistischer Abgeordneter im Parlament. In Absprache mit meiner Partei habe ich in der Folge die Leitung dieser neuen Kommission übernommen, die sich aus Vertretern der Ministerien für Justiz, Auswärtige Angelegenheiten, Wirtschaft und Finanzen und dem Regierungspräsidenten sowie einem Diplomaten zusammensetzte, der als Generalsekretär fungierte. Wir nahmen an den Konferenzen von London, Washington und Stockholm teil und starteten gleichzeitig unsere Ermittlungen. Schliesslich liessen wir unsere Schlussfolgerungen dem Weltjudenkongress zukommen, der sich auf internationaler Ebene zusammen mit den betroffenen Staaten mit dieser Angelegenheit befasste. In meinen Augen haben wir einfach unsere Pflicht erfüllt, unsere Verantwortung wahrgenommen und unser Schuldbekenntnis abgelegt.

Eine Begegnung mit Enrique Múgica Herzog lässt ganz offensichtlich niemanden kalt. Der «Defensor del Pueblo» ist nicht nur Ombudsmann, er verteidigt noch zahlreiche andere grundlegende Werte.

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