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Inhaltsangabe Spanien Frühling 2006 - Pessach 5766

Editorial
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Pessach 5766
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Politik
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Spanien
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Comunidades Judias de España

Von Roland S. Süssmann

Denkt man an Spanien und das Judentum, steigen im Allgemeinen sofort zwei Bilder vor dem inneren Auge auf: die Inquisition und die Vertreibung der Juden im Jahr l492 sowie die Kollaboration von Franco mit Nazideutschland. Die jüngere Geschichte und die Gegenwart des jüdischen Lebens in Spanien rücken oft in den Hintergrund, zwar nicht bewusst, aber einfach aufgrund mangelnden Wissens. Es entsteht der Eindruck, dass die Pyrenäen eine unsichtbare Mauer darstellen, die das spanische Judentum von der jüdischen Gesellschaft Europas trennen. Und doch sind heute in diesem Land besonders interessante und erstaunliche Evolutionen zu beobachten. Um mehr über diese Entwicklungen zu erfahren, haben wir ein Gespräch mit JACOBO ISRAEL GARZON geführt, Präsident der Fedración de Comunidades Judias de España und Präsident der jüdischen Gemeinde von Madrid.

Können Sie uns, bevor Sie vom jüdischen Leben der Gegenwart in Spanien berichten, einen kurzen Überblick über die Entwicklung der jüdischen Gesellschaft im 20. Jahrhundert geben?

Die Spuren der jüdischen Präsenz in Spanien reichen bis ins Jahr 1834 zurück, als die Inquisition offiziell beendet wurde. Es handelt sich dabei um Menschen, die sich nicht in Gemeinschaften organisiert hatten und auch nicht als Juden lebten, die jedoch, zumeist in britischen Friedhöfen, als Juden beerdigt worden waren. Die erste im 19. Jahrhundert offiziell etablierte Gemeinde war diejenige von Sevilla, wo sich aus dem Norden von Marokko, hauptsächlich aus Tétouan, stammende Juden niedergelassen hatten, als sie vor dem Krieg flüchteten, der 1870 zwischen Spanien und Marokko tobte. Der jüdische Friedhof von Sevilla gilt demnach als der älteste, auch wenn heute nur noch wenige Familien dort leben. Die ersten Gemeinschaften wurden während des Ersten Weltkriegs gegründet. Sie setzten sich aus Juden zusammen, die bereits in Spanien lebten, sowie aus Menschen unterschiedlicher Nationalitäten: Türken, Deutsche, Österreicher und andere, die aus Frankreich vertrieben worden waren, weil ihr Pass von einem Feindesland ausgestellt worden war. Die bereits in Spanien lebenden Juden waren nicht in Gemeinden organisiert, die Gottesdienste fanden in Privathäusern statt. Die Neuankömmlinge hingegen waren es gewohnt, in einer Gemeinschaft zu leben, und so wurden die ersten Synagogen erbaut - 1916 in Madrid und 1918 in Barcelona. Damals zählte man in Spanien rund 2000 Juden, doch zu Beginn des Bürgerkriegs waren es schon 6-7000 Personen. Der Ausgang des Bürgerkriegs führte zu einem grundlegenden Wandel im jüdischen Leben Spaniens, da Francos Falange den Krieg gewann, die Deutschland und Italien nahe stand. Die einzige noch in Spanien bestehende Synagoge in Barcelona wurde sofort geschlossen, als Katalonien als letzte Bastion der Republikaner fiel. Die jüdische Gemeinschaft hatte hier nach Kräften Widerstand geleistet, was in Madrid nicht der Fall gewesen war. 1939 war jede Form von Gemeinde untersagt worden; dieses Verbot sollte fast 30 Jahre lang währen und wurde erst 1967 aufgehoben, obwohl die Gründung von Synagogen zuvor schon gestattet wurde. Dazu muss man aber einräumen, dass die spanische Regierung zwar Listen aller Elemente erstellt hatte, die dem jungen spanischen Staat gefährlich werden konnten (logischerweise waren alle in Spanien lebenden Juden eingeschlossen), diese jedoch nie verwendet oder an irgendjemanden weitergeleitet worden waren. Vergessen wir auch nicht, dass nie Rassengesetze erlassen wurden. Während des gesamten Zweiten Weltkriegs gab es in Spanien offiziell keine Synagoge und keinen jüdischen Gottesdienst. Diese spielten sich in Privatwohnungen ab, was sich nicht als einfach erwies angesichts der Tatsache, dass jede Versammlung von drei oder vier Personen als Verschwörungsversuch angesehen wurde.

Wie viele Juden lebten während des Zweiten Weltkriegs in Spanien?

Spanien war ein Durchgangsland und stand allen offen, die ein Visum für ein anderes Land besassen. So reisten 42'000 Juden durch Spanien, 35'000 von ihnen auf ganz legalem Weg. Erinnern wir daran, dass die deutschen Behörden bis 1942 den ausländischen Juden gestatteten Frankreich zu verlassen. Wenn jemand ein Visum hatte, konnte er also provisorisch in Spanien einreisen. 1942 wurde die Grenze geschlossen und die Flüchtlinge mussten illegal ins Land kommen, ein viel komplizierteres Unterfangen. In Spanien existierten zahlreiche Internierungslager, in denen die Flüchtlinge mit Hilfe der grossen amerikanischen Judenorganisationen überleben konnten. Man darf auch nicht vergessen, dass die Länder trotz allem sehr knauserig mit Visa für Juden umgingen. Neben den 42'000 Juden, für die Spanien zur Durchgangsstation wurde, lebten ungefähr 7000 von ihnen effektiv hier: über die Hälfte von ihnen waren deutsche Juden, die ab 1933 nach Spanien gekommen waren. Die übrigen waren Juden, die in Verstecken lebten, den Glauben wechselten oder sich in der Assimilierung verloren. Als Franco nach dem Krieg Beziehungen zu den USA aufnehmen wollte, verlangten die Vereinigten Staaten, dass er den Juden und den Protestanten mehr religiöse Freiheiten zugestehen möge. So konnte dank den US-Senatoren eine gewisse Form der Glaubensfreiheit in Spanien wiederhergestellt werden. 1945 wurde in Barcelona die erste Synagoge wiedereröffnet, gefolgt 1947 von derjenigen in Madrid, die erst 1948 eingeweiht wurde. Es bestand demnach die paradoxe Situation, dass jüdische Kultstätten zwar existieren durften, aber die Bildung irgendeiner Art von Gemeinde weiterhin untersagt war. Kultstätten konnten dank einer von der Polizei ausgestellten Genehmigung gegründet werden, gleichzeitig besass aber keine Gemeinde das Recht, eine Synagoge zu besitzen oder die Juden bei den Behörden zu vertreten, da keine Gemeinden existierten. 1956 kam es zu einem Ereignis, das für die jüdische Gemeinschaft von grundlegender Bedeutung sein sollte. Das spanische Protektorat über den Norden Marokkos, einschliesslich über die internationale Stadt Tanger, lief aus. Zu jener Zeit lebten 22'000 Juden in dieser Region, auch wenn es zuvor einmal fast 30'000 gewesen waren. Diese Juden liessen sich in der Folge in Venezuela, Israel und Frankreich, aber auch in Spanien nieder, da sie die Sprache fliessend beherrschten. Diese neue Sachlage führte zu einer vollständigen Umwälzung und Neuorganisation der jüdischen Gemeinschaft Spaniens, die plötzlich enorm anwuchs. Parallel dazu erfolgte in Spanien eine gewisse Liberalisierung, und am Ende seiner Existenz führte das Franco-Regime sogar die völlige Glaubensfreiheit ein. Von diesem Zeitpunkt an existierte die jüdische Gemeinde auf einer legalen Basis und konnte offizielle Beziehungen zum Staat und zu den Gemeindebehörden knüpfen, Immobilien erwerben usw. Erst im Jahr 1980 wurde endlich ein echtes Gesetz über die Religionsfreiheit verabschiedet. Dies spielt in der Entwicklung des Gemeindelebens eine entscheidende Rolle. Zahlreiche im Untergrund lebende Juden gaben sich nun zu erkennen, und Juden aus Südamerika liessen sich in Spanien nieder. Heute besteht die Gemeinschaft zu 85% aus Juden, die in Spanien geboren wurden oder aus dem Norden Marokkos oder aus Südamerika stammen.

In welchem Jahr wurde ihr Verband gegründet?

Der Gemeindeverband, der die 13 Gemeinschaften Spaniens umfasst, entstand offiziell 1982. Wir haben von Anfang an bestimmt, dass es in jeder Stadt nur eine Gemeinde geben sollte, was nicht bedeutet, dass es nicht eine Vielzahl von Synagogen und Ausrichtungen des Gottesdienstes gibt. Für die Behörden gibt es aber in jedem Ort nur einen Ansprechpartner. 1992 schloss der Verband ein Abkommen mit dem Staat ab, in dem die jüdische Gemeinschaft, wie übrigens auch die Protestanten und Muslime, offiziell anerkannt wird. Diese vom spanischen Parlament ratifizierte Vereinbarung ist sehr wichtig, da Spanien kein laizistischer Staat ist und die Kirche hier noch eine gewichtige Rolle spielt. Im Anschluss an dieses Abkommen und zur konkreten Förderung der Religionsfreiheit wurde eine Stiftung mit dem Namen «Pluralismus und Vertrauen» ins Leben gerufen. Es handelt sich um eine Art gemeindeübergreifenden Ausschuss, in dem alle Religionen vertreten sind und der Projekte für religiöse Minderheiten finanziert. In unserem Fall sponsert er unser Internetradio sowie einige andere konkrete Projekte, wie z.B. Räumlichkeiten usw. Wir erhalten eine finanzielle Zuwendung von 500'000 Euro, was uns keine grossen Sprünge erlaubt.

Wie würden Sie das jüdische Leben der Gegenwart in Spanien definieren?

Es gibt, wie ich bereits erwähnte, 13 Gemeinden, von denen Madrid und Barcelona die bedeutendsten sind; die anderen befinden sich in Valencia, Alicante, Benidorm, Sevilla, Malaga, Toremolinos, Marbella, Ceuta und Melilla (zwei spanische Städte an der marokkanischen Küste in der Nähe von Tanger), sowie auf den Balearen und auf den Kanarischen Inseln (zwei Gemeinden). Man schätzt im Allgemeinen, dass in Spanien rund 40'000 Juden leben und dass ca. die Hälfte von ihnen der Gemeinde nahe steht. Dazu muss man wissen, dass die Assimilierung in Spanien einfacher ist als anderswo. Jeder, der die Sprache beherrscht, gilt nämlich als fester Bestandteil der Gesellschaft, so dass sich die Juden nicht ausgeschlossen fühlen. Im Gegensatz zum übrigen Europa fällt der Anteil an gemischten Ehen gering aus, was hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass die Juden, die sich mit einem Partner einer anderen Religion vermählen wollen, diesen bitten zu konvertieren.

Welche Beziehungen unterhält die Jugend zum Gemeindeleben? Werden für die Führungsspitze Nachwuchskräfte herangebildet?

Wie überall basiert die Gemeindearbeit grösstenteils auf dem Einsatz von Freiwilligen, die ein wesentliches Element des jüdischen Lebens in der Diaspora ausmachen. Doch hier fehlen uns diese Helfer ein wenig. Unsere Schule wird heute von 320 Schülern zwischen 3 und 15 Jahren besucht, die somit 13 Jahre ihres Lebens in einer jüdischen Umgebung verbringen, so dass man annehmen könnte, dass einige von ihnen sich zur Freiwilligenarbeit berufen fühlen würden. Doch dies ist nicht der Fall. Wir können uns aber auf zwei andere Quellen verlassen: junge Leute, die freiwillig den Sicherheitsdienst übernehmen, und einige weniger junge Leute über 50, die teilpensioniert sind und einen Teil ihrer Zeit der Gemeinde widmen können. Dazu muss man eingestehen, dass diese «weniger Jungen» oft geistig reger und dynamischer sind als die Generation unter ihnen. Wir dürfen auch den Anteil an Frauen und an jüdischen Frauenorganisationen nicht ausser Acht lassen, die sich sehr aktiv am Leben unserer Gemeinde beteiligen. Abschliessend möchte ich zu diesem Thema sagen, dass wir das Problem der Gemeindearbeit in den Griff bekommen müssen: das reine Volontariat, auf das wir uns nicht mehr allzu sehr verlassen dürfen, und die partielle freiwillige Mitarbeit, die eine Beschäftigung gegen Bezahlung von Menschen einschliesst, denen wir ganz bestimmte Aufgaben anvertrauen können.

Wie sehen Ihre Beziehungen zur Kirche aus?

Die spanische Kirche ist keine offene Kirche, doch es existiert ein jüdisch-christliches Zentrum, das von einer Nonne von den Schwestern Zions geleitet wird; sie ist den Juden gegenüber sehr positiv eingestellt und wir organisieren mit ihr zusammen ab und zu gemeinsame Aktivitäten. Wir beteiligen uns am interkonfessionellen Dialog, um dadurch das Verständnis und das Einvernehmen zwischen den verschiedenen Religionen zu fördern. Unsere Beziehung zur Kirche ist normal. Letztere ist sich bewusst, dass ihre Macht und ihr Monopol am Schwinden sind. Gemäss gewissen Statistiken bezeichnen sich fast 40% der spanischen Bevölkerung als nicht gläubig.

Wie steht es um den Antisemitismus?

Der Antisemitismus geht heutzutage nicht von der Kirche aus. Die spanische Judenfeindlichkeit stammt, wie überall in Europa, aus drei Quellen: den Neonazis, den Islamisten - sie sind gewalttätig und gefährlich -, und schliesslich einer eindeutig komplexeren Ausprägung des Antisemitismus, der sich in Form einer militanten antiisraelischen Haltung ausdrückt und dessen Sprachrohr die Presse ist. Seine Anhänger setzen zur Darstellung des arabisch-israelischen Konflikts die Ikonografie des früheren Antisemitismus ein. Wir beobachten in Spanien wie im übrigen Europa ein interessantes Phänomen. Die aktive Feindseligkeit gegenüber Israel, eine Art des kaum verhehlten Antisemitismus, war vor allem eine sowjetische Spezialität. Mit der Aufhebung des Eisernen Vorhangs und dem Fall der Berliner Mauer wurde dieses Gedankengut von der europäischen Linken angenommen und weit verbreitet. Eine weitere logische Folge dieser Tatsache ist auch der europäische Wahn, der eine pathologische Feindseligkeit gegenüber den USA proklamiert und zu vermitteln versucht, die Amerikaner seien unsere Feinde.

Können Sie uns - ohne zum Propheten zu werden - sagen, welche Zukunft Sie bei dieser Entwicklung für Ihre Gemeinschaft sehen?

Die in den vergangenen Jahren erfolgte Entwicklung war eigentlich kaum vorherzusehen, es kam zu einer progressiven Veränderung. Man muss sich klar machen, dass wir eigentlich eine Gemeinschaft waren, die von 1916 bis 1970 von den Aschkenasim geleitet wurde und recht verschlossen war. Die Integration der argentinischen Juden in die jüdische Gemeinde erwies sich beispielsweise als recht schwierig. In Madrid erfolgte die Öffnung dank einem verbindenden Element, der jüdischen Schule. Die Durchmischung von Kindern aus frommen und nicht gläubigen Kreisen, aus aschkenasen und sephardischen Familien führte dazu, dass die Leute sich kennen lernten und dass die Juden verschiedener Herkunft zusammengeführt wurden. Im Hinblick auf die Zukunft muss ich einige Elemente einbeziehen, die bei der Entwicklung der Gemeinschaft eine Rolle spielen werden: die Auswanderung nach Israel und die Assimilierung werden einen Rückgang der Gemeindemitglieder nach sich ziehen. Erhöhen wird sich ihre Zahl durch eine Reihe von Konvertierungen aufgrund von Eheschliessungen oder aus Überzeugung, da auch in den letzten 10 Jahren rund 400 Menschen zu unserem Glauben übergetreten sind. In Lateinamerika wird die Krise weiter andauern, und was wir heute in Venezuela mit Präsident Chavez beobachten, wird sich unausweichlich auf Peru, Kolumbien und Bolivien ausdehnen, wo die Juden ernsthaften Problemen begegnen werden. Meiner Ansicht nach werden sich viele von ihnen in Spanien niederlassen, vor allem jene aus Venezuela. Die meisten venezolanischen Juden stammen nämlich aus dem spanischen Marokko und haben noch Familie hier. Und schliesslich wird es zweifellos zu einer internen Migration kommen, da die kleinen Gemeinden sich auflösen und ihre Mitglieder in die grossen Städte ziehen werden, um hier Arbeit, jüdische Schulen usw. vorzufinden. Drei Regionen kommen dabei als mögliches Ziel in Frage: der Süden mit Malaga, Toremolinos und Marbella, wo die Wirtschaft nicht so gut läuft und sich eher Menschen im Ruhestand niederlassen werden; Barcelona, wo trotz allem das Problem der Unabhängigkeit Kataloniens existiert, d.h. wo die spanische Sprache zugunsten von Katalanisch in den Hintergrund gedrängt wird; und schliesslich Madrid, wo wahrscheinlich die meisten Juden hinziehen werden, weil die Stadt viele Vorteile wie wirtschaftliche Dynamik, politische Stabilität und ein intensives jüdisches Leben bietet. Fazit: meines Erachtens sollte die jüdische Bevölkerung Spaniens in den nächsten Jahren logischerweise ansteigen. Die Einwanderungspolitik Spaniens ist jedoch extrem restriktiv, was die Niederlassung von Juden erschwert. In Spanien sind nur 8,5% der Bevölkerung Ausländer.

Welches sind Ihre grössten Sorgen als Präsident des Verbands?

Sie sind auf zwei Ebenen anzusiedeln: nach aussen möchten wir unsere ausgezeichneten Beziehungen zu den Behörden beibehalten und den Antisemitismus bekämpfen, insbesondere die oben angesprochene militante Israel-Feindlichkeit; nach innen wollen wir das gute Einvernehmen zwischen Juden aller Abstammungen bewahren, was auch nicht einfach ist. Ich bin für einen offenen und nicht ausgrenzenden Traditionalismus, mit einiger Kompromissbereitschaft. Wir haben z.B. ein Abkommen mit der liberalen, konservativ genannten Gemeinde unterzeichnet, kraft dessen wir sie bei den Behörden vertreten, auch wenn wir sie nicht als Gemeinde in unseren Verband aufgenommen haben.
Auf Gemeindeebene stehen wir vor einem weiteren Problem in Bezug auf unsere Senioren. Es kommt nicht in Frage, ein Altersheim zu eröffnen. Wir planen aber Vereinbarungen mit bestehenden Institutionen, damit diese Mitglieder unserer Gemeinden in diese Einrichtungen aufgenommen werden können, ohne dabei auf die Dienstleistungen der Kaschruth, Gottesdienste usw. verzichten zu müssen. Gegenwärtig sind wir dabei, Tagesstätten einzurichten, in denen die älteren Menschen sich zu sozialen Aktivitäten aller Art treffen können.

Die aktuelle Situation des spanischen Judentums präsentiert sich augenscheinlich insgesamt positiv und es ist im Moment eine Phase des allmählichen Aufschwungs zu beobachten. Darüber hinaus besitzt es eine Führungsspitze mit viel Realitätssinn und Pragmatismus.


Die Immigration aus Südamerika
Aufgrund der Wirtschaftskrise in Argentinien haben sich 2001 und 2002 mehrere hundert jüdische Familien in Spanien niedergelassen. Sie fällten diese Entscheidung wegen der Sprache. Obwohl sie mehrheitlich Aschkenasim sind, wurden sie von der Gemeinde, die hauptsächlich sefardisch ist, freundlich aufgenommen und man versuchte, ihre Integration nach Kräften zu erleichtern. Seit einiger Zeit ist in Spanien die Einwanderung von Juden aus Venezuela zu beobachten, da der Antisemitismus dort aktiver ist; die Polizei von Chavez hat auf der Suche nach einem Waffenversteck bereits ein jüdisches Gemeindezentrum besetzt. Darüber hinaus verschlechtert sich die Wirtschaftslage und die persönliche Sicherheit ist bedroht. Wie überall in Europa ist die spanische Immigrationspolitik sehr restriktiv bei Bewerbern, die nicht aus der EU stammen. Aus diesem Grund ist der Erhalt einer Aufenthaltsbewilligung mit einem sehr komplizierten Verfahren verbunden. Wir haben den Anwalt Carlos Pipino Martinez getroffen, der seit einigen Jahren zahlreiche Bemühungen unternimmt, damit sich die Juden aus Südamerika in Spanien niederlassen können. Das Land gewährt zwei verschiedenen Kategorien von Bewerbern die Niederlassungsbewilligung: denjenigen, die demnächst einen Arbeitsvertrag bekommen, und denjenigen, die in Spanien investieren, und sei es nur in geringem Umfang. Die erforderliche Mindestsumme schwankt je nach Gemeinde oder Stadt. Jahrelang begnügte sich Madrid mit einem Beitrag von de 300'000.- Euro, doch diese Summe wurde kürzlich verdoppelt. Die Bewilligungen werden in kleineren Gemeinden einfacher ausgestellt. Auf die Frage, ob die neue jüdische Präsenz zur wirtschaftlichen Entwicklung in Spanien beitrage, erklärte Martinez insbesondere: «Es steht ausser Frage, dass die steigende Zahl von Geschäften dieser neuen jüdischen Einwanderer, vor allem in Madrid, einen positiven Einfluss auf den Aufschwung der lokalen Wirtschaft hat. Doch da es sich nicht um eine massive Einwanderung handelt, besitzt sie keinen wesentlichen Einfluss auf das Land insgesamt».



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