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Inhaltsangabe Polen Herbst 2006 - Tischri 5767

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Rosch Haschanah 5767
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Den Antisemitismus bekämpfen

Von Roland S. Süssmann
Am Tag nach dem Besuch von Papst Benedikt XVI. erfuhr die jüdische Welt voller Entsetzen, dass der Oberrabbiner von Polen, Michael Schudrich, am Schabbat in Warschau auf offener Strasse angegriffen worden war. Sofort drängte sich bei allen die Frage auf, ob diese Tat von einem einzelnen Individuum ausgeübt worden war oder ob sie das Zeichen für eine neue Welle von Antisemitismus sein könnte, die Polen in dem Moment überrollen sollte, da zwei eindeutig antisemitische Parteien in die Regierungskoalition aufgenommen worden waren.
Wir wollten uns einen knappen Überblick über die Lage verschaffen und haben uns zu diesem Zweck mit MALKA KAFKA unterhalten, die für den Verband polnischer Kultusgemeinden zahlreiche Aktivitäten koordiniert, vor allem was Probleme in Bezug auf Antisemitismus betrifft.

Was hat die Beteiligung einer offen antisemitischen Partei an der Regierungsmacht in der jüdischen Gemeinschaft für Gefühle ausgelöst?

Sie spielen da auf eine rechtsradikale Partei an, die «Liga für die polnische Familie», deren Parteichef Roman Giertych sehr lange an der Spitze einer «nationalistischen», praktisch neonazistischen Bewegung stand. Nach seiner Ernennung zum nationalen Erziehungsminister meldete sich der Antisemitismus in Polen kaum zu Wort. Es gab hie und da mal ein Graffiti. Der Angriff gegen unseren Oberrabbiner besass die Funktion einer «Alarmglocke». Wir haben unverzüglich eine Aktionsgruppe namens «Magen» (Schutz) ins Leben gerufen und damit begonnen, alle antisemitischen Handlungen zusammenzutragen, Botschaften, E-Mails und SMS. Es wird natürlich immer Menschen geben, die deren Bedeutung herunterzuspielen versuchen, doch wir sind der Meinung, dass Gefahr im Verzug ist, wenn 20 Personen denselben Text per SMS erhalten. Die Aussage dieser Botschaften ist eindeutig: «Wir werden euch töten, euch über die Klinge springen lassen, kehrt in die Lager zurück, Juden in die Öfen» usw. Was die praktische Seite angeht, melden wir uns regelmässig zu Wort, um die Regierung zur Entlassung von Roman Giertych zu zwingen. Man muss sich klar machen, dass seine Ernennung für uns eine doppelte Beleidigung darstellt: wir schämen uns für Polen, dass ein Mann seines Schlags einen Ministerposten bekommt, und als Juden fühlen wir uns brüskiert, weil er Antisemit ist. An jedem Schabbat beten wir während des Gottesdienstes für unsere Heimat und das Wohlergehen der Regierungsmitglieder. Bis heute haben wir ihn nicht davon ausgenommen, doch wir erwähnen ihn auch nicht mehr aus dem Herzen heraus. Ich weiss, dass dies die amtierende Regierung kaum beeindrucken wird, doch ich glaube, dass es durchaus seine Berechtigung hat. Man muss schon verstehen, dass der Kampf auf dieser Ebene nur vom Verband der Kultusgemeinden geführt werden kann, die nicht nur als offizieller Ansprechpartner der Regierung fungiert, sondern dessen Meinung und Publikationen auch sehr ernst genommen werden. Was uns in Wahrheit am meisten Sorgen macht ist die Feststellung, dass die Menschen heute in Polen bereit sind, antisemitische Handlungen, auch gewalttätiger Art, zu begehen.

Haben Sie von Nichtjuden Zeichen der Sympathie erhalten?

Ja, und nicht nur auf persönlicher Basis, sondern auch von Seiten der lokalen Behörden aus ziemlich allen Teilen Polens. Der Präsident des Verbands der Kultusgemeinden reiste übrigens neulich in eine kleine Stadt, wo die Behörden kurz vor seinem Eintreffen eine antisemitische Wandschmiererei entdeckt hatten. Als er ankam, sah er die Maler, die sich bemühten, mit grossen Pinselstrichen die Schrift zu übermalen. Doch viel wichtiger ist die Tatsache, dass wir in die Schule eingeladen wurden, um vor Kindern zwischen 7 und 16 Jahren über das Judentum, den Antisemitismus und die Schoah zu sprechen. Auf diesem Weg können wir eine Reihe von weit verbreiteten Klischees aus dem Weg räumen, wie z.B. das Bild des Juden mit schwarzem Mantel und schwarzem Hut, der ein Goldstück in der Hand hält. Wir zeigen ihnen, dass wir ein ganz normales Leben führen, das dem ihrigen sehr ähnlich ist.

Weshalb sollten Ihnen Nichtjuden dabei helfen den Antisemitismus zu bekämpfen?

In den meisten Fällen, weil sie wissen, dass Polen diese antisemitische Etikette trägt, und weil sie beweisen wollen, dass dies nicht stimmt; in anderen Fällen weil sie echte Scham empfinden, wenn sie von einer antisemitischen Handlung erfahren. Und schliesslich kommt uns auch eine gewisse Form der Kooperation seitens der katholischen Kirche zugute, die es nicht immer schätzt, wenn eine andere Religion in den Dreck gezogen wird.

Glauben Sie, dass die jüdische Gemeinschaft von Polen Angst hat?

Absolut nicht, ganz im Gegenteil. Wir leben doch in einer Zeit, wo das Interesse für das Judentum und die Ausübung der Religion immer stärker steigt. Viele gemischte Ehepaare lassen sich scheiden, denn wenn der eine von beiden seine jüdische Identität entdeckt, unternimmt er alles, um diese zu verstärken, und wendet sich vor allem der Religion zu. Sobald er beschliesst koscher zu essen oder den Schabbat einzuhalten, schafft dies immer grössere Spannungen innerhalb der Beziehung. Mir sind mehrere Fälle bekannt, wo die nichtjüdischen Ehegatten, die vorläufig nicht zum Judentum übertreten möchten, sich ihren Partnern zuliebe bereit erklären, gemäss jüdischen Regeln zu leben. Ein weiteres Phänomen greift um sich, nämlich die Anträge um individuelle Konvertierungen durch Polen, die Juden werden wollen. All diese Elemente zusammen bewirken, dass die Antisemiten einer sehr militanten jüdischen Gemeinschaft gegenüberstehen, die auf allen Ebenen zum Kampf bereit ist, insbesondere in der Politik und mit Hilfe einer breit angelegten Kampagne zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit.

Die kleine jüdische Gemeinschaft von Polen ist fest entschlossen, zu kämpfen und alles zu tun, um den Antisemitismus, der sich erneut zu regen beginnt, im Keim zu ersticken. Im Laufe eines Telefongesprächs mit Piotr Kedlcik, dem Präsidenten des Verbands jüdischer Kultusgemeinden in Polen, gab dieser folgende Erklärung ab: «Wir leben nicht mehr in der Ära des Kommunismus, und jede antisemitische Äusserung auf Regierungsebene ist für uns inakzeptabel. Wenn Roman Giertych nicht zum Rücktritt gezwungen wird, unternehmen wir alles, um neue Wahlen anzuberaumen».


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