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Inhaltsangabe Georgien Herbst 2007 - Tischri 5768

Editorial
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Rosch Haschanah 5768
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Politik
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Georgien
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Ethik und Judentum
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Erinnerung
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Strategische Position

Temuri Yakobashvili. (Foto: Bethsabée Süssmann)

Von Roland S. Süssmann
Zu einem Zeitpunkt, da sich eine Reihe von Nationen zusammentut, um sich der russischen Hegemonie im Bereich der Energieversorgung entgegenzustellen, erschien es uns sinnvoll, die Situation durch einen georgischen Spezialisten für Geopolitik analysieren und uns die näheren Umstände dieser wichtigen Entwicklung auch in Bezug auf Israel erklären zu lassen. In Tiflis trafen wir deswegen mit TEMURI YAKOBASHVILI zusammen, der die „Georgian Foundation for Strategic and International Studies“ leitet.
An dieser Stelle muss daran erinnert werden, dass die Versorgung Europas und Israels mit Erdöl durch die Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan (Türkei) eine überaus wichtige Rolle spielt. Heute haben nun Aserbeidschan, Turkmenistan und Kasachstan beschlossen, mit vereinten Kräften eine neue Pipeline zu bauen, die in Baku beginnt und (unter dem Namen transkaspische Strasse) ihre Staaten durchqueren wird, um das aserbeidschanische Öl unter Umgehung Russlands in die Länder des Fernen Ostens zu transportieren. Diese neuen Entwicklungen werden bestimmte strategische Konsequenzen haben, deren Auswirkungen zurzeit noch nicht erfasst werden können.

Welche strategische Position besitzt Ihrer Ansicht nach Georgien heute in Bezug auf seine direkten Nachbarn und wie wird sich diese in Zukunft wohl entwickeln?

Georgien ist, wie Sie wissen, kein junger Staat, der eben erst auf der Weltkarte aufgetaucht ist. Historisch gesehen gelten Persien, Russland und das osmanische Reich traditionell als die allgemein bekannten „Bösen“. Wir gehen davon aus, dass sich unter unseren Nachbarn gute und weniger gute Staaten befinden, aber als grundsätzlich schlecht würde ich keinen von ihnen bezeichnen. Dieser Umstand kommt in der georgischen Sprache übrigens wunderbar zum Ausdruck, denn sie gehört zur Familie der so genannten kaukasischen Sprachen, in denen zahlreiche Redewendungen aus dem Farsi, aus dem Türkischen oder Russischen stammen. Heute ist uns ein einvernehmliches Zusammenleben mit all unseren direkten Nachbarn einfach besonders wichtig. Dies ist uns mit Aserbeidschan und der Türkei sehr gut gelungen, einige Schwierigkeiten haben wir noch mit Iran, der für uns ein unumgänglicher Partner ist, sowie mit Russland. Ich denke zwar, dass die Aussichten gut stehen, mit Iran zu einer Einigung zu finden, da wir das Land gut kennen und seit Jahren mit ihm zusammenarbeiten… trotz einiger Höhen und Tiefen; viel schwieriger sieht dies auf kurze Sicht allerdings mit Russland aus. Grund dafür ist natürlich der Niedergang des russischen Reiches. Man muss sich klar machen, dass Russland gegenwärtig in jeder Hinsicht schrumpft. Die Wirtschaft ist schwach, die militärische Entwicklung stagniert und die einzigen Trümpfe, die es wirklich noch in der Hand hält und auf denen seine gegenwärtige Arroganz beruht, sind seine Stellung als Atommacht und seine Bodenschätze. Auf demografischer Ebene belegen die Zahlen einen jährlichen Rückgang seiner Bevölkerung um 750'000 Personen. Dazu kommt die Tatsache, dass sich von insgesamt 86 offiziellen Bevölkerungsdistrikten nur 18 vergrössern. Zu diesen 18 Regionen gehören Moskau und Sankt Petersburg sowie einige Republiken an der chinesischen Grenze. Zu den Zonen, die eine Explosion der Einwohnerzahlen aufweisen, gehören natürlich die muslimischen Republiken. Am Kaukasus brechen in Ländern wie Tschetschenien und Dagestan allmählich Unruhen aus. Die hohe Arbeitslosigkeit führt dazu, dass zahlreiche beschäftigungslose junge Leute radikalen Bewegungen beitreten. Daher kann Russland in diesen Regionen keine Infrastrukturen - insbesondere für Erdöl - errichten. All diese Elemente bewirken zusammen mit anderen Faktoren, dass Russland mittelfristig keine andere Wahl haben wird, als mit Georgien zusammenzuarbeiten. Und um noch direkter auf Ihre Frage zu antworten, muss ich sagen, dass Europa langsam zu begreifen beginnt, wie nah Georgien eigentlich liegt. Vergessen wir nicht, dass wir an ein Meer angrenzen, an dessen Ufern auch zwei EU-Mitgliedstaaten liegen - Rumänien und Bulgarien.

Wie sehen Sie in diesem Kontext und angesichts der starken Amerikanisierung Georgiens die Entwicklung der Beziehungen zu Israel?

Bevor ich Ihnen antworte, möchte ich kurz auf das zu sprechen kommen, was Sie Amerikanisierung nennen. Man darf nicht ausser Acht lassen, dass die USA uns seit dem Fall der Berliner Mauer als einziges Land weltweit in jeder Hinsicht unterstützt haben. Es erstaunt daher nicht, dass wir intensiv mit dem Land kooperieren, das so viel für uns getan hat.
Was die Beziehungen zu Israel angeht, ist es interessant zu sehen, dass sie sich vor allem auf der wirtschaftlichen Ebene abspielen. Die israelischen Investitionen in georgische Immobilien sind derart gestiegen, dass die Israelis nach Kasachstan und den USA zur drittgrössten Anlegergruppe geworden sind. Klar, wir kooperieren auch im Bereich Luftfahrt und Landwirtschaft, doch dies fällt weniger ins Gewicht. Ein weiterer Sektor, in dem die Israelis sehr präsent sind, was ich in mancher Hinsicht als Jude bedaure, ist die Welt des Glücksspiels.

Wie steht es um die strategische Zusammenarbeit?

Es ist eine Tatsache, dass Georgien das einzige Land in unmittelbarer Nachbarschaft Israels ist, das eine eindeutig pro-israelische und pro-jüdische Politik vertritt. Diese Einstellung ist nicht nur in der Bevölkerung verbreitet, sondern auch in der georgischen Regierung. Eine Reihe bedeutender Projekte im Zusammenhang mit Israel laufen übrigens über Georgien, wie natürlich die Ölpipeline Baku-Tiflis-Ceyhan, aber auch zahlreiche weitere Unterfangen in der Militärindustrie. Auf sicherheits­politischer Ebene muss man auch wissen, dass Georgien eine Art Sammelbecken für Terroristen darstellt, da sowohl im Nord- als auch im Südkaukasus terroristische Gruppierungen existieren und ihre Tätigkeit ausüben. Diese Bewegungen tauschen ja bekanntlich ihre Erfahrungen betreffend den Terrorkrieg untereinander aus, und zwar weltumspannend. Daher ist es wichtig zu wissen, was im Nordkaukasus vor sich geht, insbesondere in Tschetschenien, wo viele islamische Terroristen ausgebildet werden. Es gibt eine Form des Wettbewerbs zwischen dieser Region und dem Nahen Osten bei der Entwicklung neuer Methoden im Terrorkrieg. Israel darf natürlich die Augen nicht vor dieser Realität verschliessen, da die neuen „Rezepte” umgehend gegen den jüdischen Staat eingesetzt werden, und zwar auf dessen eigenem Territorium. Aus dieser Sicht verkörpert Georgien natürlich den einzigen Zugang, die einzige Beobachtungsmöglichkeit, die Israel zur Verfügung steht, um zu erfahren, was im Nordkaukasus in Terroristenkreisen ausgeheckt wird. Folglich stellt Georgien im Kampf gegen den Terrorismus einen wesentlichen Faktor für Israel dar.
Darüber hinaus unterhält Georgien sowohl zu den direkten Nachbarn Israels als auch zu Iran ausgezeichnete Beziehungen. Obwohl wir keine gemeinsame Grenze zu diesem Land aufweisen, wird unser Austausch in Bezug auf Handel, Kultur und Politik von Tag zu Tag intensiver. Georgien kann daher eine Rolle als Vermittler oder Brückenbauer zwischen Israel und diesen anderen Ländern spielen. Dies fällt besonders ins Gewicht, wenn ein vertraulicher und diskreter Dialog zwischen Israel und Iran nötig wird.

Welche Vorteile entstehen für Georgien daraus, sich auf die Seite Israels zu stellen?

Ich glaube, dass diese Politik seltsamerweise durch positive Gefühle gegenüber den Juden, der Geschichte des georgischen Judentums und der Rolle begründet wird, welche die Juden seit über 2000 Jahren in diesem Land spielen.

Diese Einstellung ist also nicht auf die verstärkte Präsenz der Amerikaner in Georgien zurückzuführen?

Ich denke nicht. Es ist ausserdem nicht von der Hand zu weisen, dass die militärische Präsenz Georgiens im Nahen Osten immer grösser wird. Im vergangenen Juni haben wir unsere Truppen in Irak um 850 Mann auf 2100 Soldaten aufgestockt. Die militärische Kooperation mit den USA wird immer intensiver, da sich Georgien nachdrücklich für den Kampf gegen den Terror einsetzt und in diesem Zusammenhang eine immer entscheidendere Funktion übernommen hat. Neben unserer Präsenz in Irak haben wir auch Truppen in Afghanistan, Kosovo und Bosnien-Herzegowina stehen. Georgien stellt zusätzlich zur direkten militärischen Kooperation einen bedeutenden Transitweg für militärisches Material nach Afghanistan dar: über unsere Häfen oder den Luftraum werden bedeutende Mengen Material transportiert.

Gehen Sie davon aus, dass zwischen Russland, Georgien und Israel eine objektive Allianz im Kampf gegen den tschetschenischen Terrorismus existiert?

Meiner Ansicht nach nicht. Es ist aber offensichtlich, dass der Krieg in Tschetschenien uns gezeigt hat, dass die in Georgien lebenden Tschetschenen ihren Leuten zumindest logistische Unterstützung zukommen lassen. In den tschetschenischen Kreisen Georgiens wurden vor kurzem einige Al-Kaida-Agenten verhaftet. Was Russland betrifft, so sollte die von Ihnen angesprochene Kooperation eigentlich existieren, was aber im Moment nicht zutrifft, ganz im Gegenteil. Es hat sich überdies erwiesen, dass die Sabotage-Akte, unter denen Georgien zu leiden hatte, direkt von den Kreisen um die russische Regierung ausgingen. Ich bin aber überzeugt, dass sich mit der Zeit zwangsläufig eine bestimmte Form der Zusammenarbeit entwickeln wird.



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