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Inhaltsangabe Kroatien Frühling 2002 - Pessach 5762

Editorial - Frühling 2002
    • Editorial

Pessach 5762
    • Optimismus ist unerlässlich

Politik
    • Zu besserem Bewusstsein

Interview
    • Der Schlüssel zum Sieg
    • Tourismus und Terrorismus

Strategie
    • Die dritte Streitkraft

Terrorismus
    • Die neue Logik Des Terrorismus

Reportage
    • Notfallstation
    • Die Moral stärken

Judäa – Samaria – Gaza
    • Das Leben geht weiter

Judäa - Samaria - Gaza
    • Stop in Rechelim

Medizin
    • Das Labor der Hoffnung

Wirtschaft
    • Solidarität - Wo bist Du ?

Kroatien
    • Stjepan Mesic – Präsident der Republik Kroatien
    • Jerusalem und Zagreb – Ljubljana – Bratislava
    • Jude in Hrvatska
    • Glavni Rabinat u Hrvatskoj
    • Eine ungewöhnliche Bibliothek
    • Die Schoah in Kroatien
    • Die Ustascha
    • Singen zum Überleben
    • Eine entscheidende Wende

Ethik und Judentum
    • Ins Privatleben Eingreifen ?

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Jerusalem und Zagreb – Ljubljana – Bratislava

Von Roland S. Süssmann
Der historische Besuch des kroatischen Präsidenten Stjepan Mesic in Jerusalem hat gezeigt, dass beide Länder in ihrer Beziehung einen entscheidenden Schritt weiter gekommen sind. Diese Entwicklung soll auf der Grundlage des Verhaltens, das die Kroaten in der Vergangenheit den Juden gegenüber an den Tag gelegt haben, sowie angesichts der neuen Umstände analysiert werden, die sich aus diesem Besuch in Jerusalem ergeben haben; zu diesem Zweck haben wir ein Gespräch mit S.E. DAVID GRANIT, geführt, dem nicht vor Ort ansässigen israelischen Botschafter in Kroatien, Slowenien und in der Slowakei.

Können Sie kurz die Geschichte und die Natur der Beziehungen zwischen Israel und Kroatien im Verlauf der letzten Jahre zusammenfassen?

Nach der Gründung Israels waren die Beziehungen alles andere als gut. Marschall Tito war eng mit der Bewegung der Blockfreien verbunden, der Nasser, Indira Gandhi und Soekarno angehörten, wobei diese Persönlichkeiten alle nicht unbedingt pro-israelisch eingestellt waren. Bis 1967 wurden diplomatische Beziehungen zwischen beiden Ländern aufrecht erhalten. Doch zum Zeitpunkt des Sechstagekriegs unterbrach die UdSSR sämtliche Kontakte zu Israel, der kommunistische Block folgte diesem Beispiel und der israelische Botschafter in Belgrad wurde des Landes verwiesen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass es im kommunistischen Jugoslawien keine Sympathie für unser Land gab. Ich erinnere mich, dass es eine Gewohnheit der ersten sowjetischen Emigranten war, die in den 1970er Jahren nach Israel ausreisten, alle ihre Sachen, sogar die Matratzen, mitzunehmen. Eine Flut von über hunderttausend Menschen mit ihrem gesamten Hausrat verliess also Russland mit der Eisenbahn und reiste in eine kleine Hafenstadt Sloweniens namens Koperport, wo ihr Hab und Gut auf israelische Schiffe umgeladen wurde, die heimwärts in See stachen. Trotz der Verbote und Interventionen des kommunistischen Belgrad liessen sich die lokalen Behörden nicht aufhalten und halfen weiterhin denjenigen, die sie als «Flüchtlinge» ansahen. Ich bin kürzlich in diese Stadt zurückgekehrt, wo sich alle sehr gut an diese Zeit erinnern können.
Als die Jugoslawische Republik auseinanderbrach, haben wir die fünf neu entstandenen Staaten anerkannt, nämlich Kroatien, Serbien, Slowenien, Bosnien und Mazedonien. Wir nahmen allerdings keine diplomatischen Beziehungen zu Kroatien auf. Zu jener Zeit war Franjo Tudjman an die Macht gelangt. Er war Kommunist, hatte dem Politbüro von Tito angehört und war während des Zweiten Weltkriegs einer der Anführer der Partisanen gewesen. Einer seiner Brüder ist übrigens in einem Konzentrationslager umgebracht worden. Bei seinem Amtsantritt war die nationalistische Rechte sehr mächtig, und da Tudjman sich um ihre Unterstützung bemühte, änderte er eigenhändig seine Biographie und gleichzeitig einige historische Tatsachen über Kroatien ab. Er startete damals eine Kampagne der partiellen, jedoch bedeutenden Verleugnung in Bezug auf die Morde an den kroatischen Juden während der Schoah im Allgemeinen und im berühmt-berüchtigten Lager von Jasenovac im Besonderen. Das gegenwärtige kroatische Regime ist mehrmals an uns herangetreten, doch wir haben es abgelehnt Kontakte zu diesem Land aufzunehmen, solange diese Verfälschung der Geschichte nicht berichtigt würde. Nach einer gewissen Zeit schickte er sogar Mittelsmänner und Überbringer von Botschaften zu uns, die Verantwortlichen der jüdischen Gemeinschaft oder Vertreter der grossen jüdischen Organisationen. Wir haben ihm klar gemacht, dass er sich offiziell von diesen Überzeugungen zu distanzieren habe und eine zweite Auflage seines Buches herausgeben müsse, in der die historische Wahrheit dargelegt würde. Am Ende seiner Amtszeit hat er die geforderten Änderungen angebracht, korrigierte sein Buch, veröffentlichte eine Reihe von offiziellen Mitteilungen, in denen er seine Vergehen zugab, und bat sogar darum, eine offizielle Reise nach Israel unternehmen zu können. Dieser Wunsch ging nicht mehr in Erfüllung, denn er starb Ende 1999. 1998 haben wir also diplomatische Kontakte aufgenommen und wurden dazu durch unseren Botschafter in Österreich vertreten. Kroatien wiederum eröffnete eine Botschaft in Israel. Während des Jahres 2000 fanden Wahlen statt, in deren Verlauf die nationalistische Partei herbe Verluste einstecken musste. Die demokratische Partei des gegenwärtigen Präsidenten Stjepan Mesic wurde mit einer überwältigenden Mehrheit gewählt. Heute gehören sowohl der Präsident, der Premierminister als auch die Regierungskoalition dieser eigentlich recht liberalen Partei an.

Wie haben Sie den Besuch von Präsident Mesic in Jerusalem empfunden?

Ich muss gestehen, dass es ein Moment voller tiefer Emotionen war. Er drückte nämlich sein sehr aufrichtiges Bedauern angesichts der Ereignisse während der Schoah aus, bat aber auch um Verzeihung für den Machtmissbrauch des Regimes von Tudjman. Sein Besuch schloss ein für alle mal ab mit dem bitteren Nachgeschmack, den diese Epoche hinterlassen hatte. Er versprach alles zu unternehmen, damit in Kroatien die Wahrheit über die Ereignisse während der Schoah in den Schulen gelehrt und dass der Toten gedacht wird. In diesem Sinne fand Ende Januar in Zagreb eine Feier statt, in deren Verlauf wir denjenigen Kroaten ein Diplom der Anerkennung überreicht haben, die während der Schoah Juden das Leben gerettet hatten. Wir haben diese Helden in Anwesenheit des Präsidenten, des Aussenministers und des Erziehungsministers geehrt. Die Veranstaltung erhielt eine pädagogische Note, indem sie in einer Schule vor allen Schülern stattfand. In allen Medien wurde ausführlich darüber berichtet. Natürlich liegt in Kroatien wie in anderen Ländern Osteuropas der Grund für dieses Vorgehen in Bezug auf die Wiederherstellung der historischen Wahrheit auch im Bestreben, die Integration dieser Staaten in die Europäische Union zu erleichtern und interne nationalistische Bewegungen zu bekämpfen, die jede Form der Öffnung nach aussen ablehnen. Wir haben übrigens festgestellt, dass die Länder, die sich mit ihrer Vergangenheit und ihrem Verhalten gegenüber den Juden nicht auseinandersetzen, irgendwann abgehängt werden und weder den Anschluss noch den Kontakt zu Europa finden. Es ist zwar ein merkwürdiges Phänomen, doch es ist tatsächlich so. Dennoch sollte der Weg, der innerhalb relativ kurzer Zeit zurückgelegt wurde, in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden. Noch vor vier Jahren befand sich Kroatien offiziell im Lager derjenigen, welche die Schoah verleugnen, und heute wird das Land von einem Mann wie Stjepan Mesic geleitet, der sich dafür einsetzt, dass alle Gerechtigkeit erfahren.

Auf welchem Stand befinden sich die gegenwärtigen Beziehungen zwischen beiden Ländern in Bezug auf Politik und Wirtschaft?

Im vergangenen Januar habe ich eine Delegation des israelischen Parlaments unter der Leitung des Abgeordneten Magen begleitet, der für den Ausschuss für Aussenpolitik und Verteidigung der Knesset verantwortlich ist. Es haben natürlich zahlreiche Begegnungen stattgefunden, und meiner Ansicht nach gibt es auf politischer Ebene viele Projekte, die wir gemeinsam verwirklichen können. Was die wirtschaftlichen Beziehungen betrifft, muss ich daran erinnern, dass die grösste Einkommensquelle Kroatiens aus dem Tourismus besteht. Die Kroaten setzen grosse Hoffnungen auf die Entwicklung in diesem Bereich. Man muss sich des riesigen Potenzials bewusst sein, das die Küsten Dalmatiens darstellen. Alle israelischen Fluggesellschaften, sowohl EL AL als auch die Chartergesellschaften, bieten im Sommer Direktflüge nach Dubrovnik an. 2001 haben 50’000 Israelis ihre Ferien an diesen herrlichen Urlaubsorten verbracht und ich denke, dass es 2002 ungefähr 100’000 sein werden! Die Infrastruktur ist jedoch immer noch recht einfach und sollte modernisiert werden. Eine Reihe von israelischen Geschäftsleuten des Hotelfachs haben versucht hier einzusteigen, doch der Tourismus wird als eine Art Nationalgut angesehen, wie beispielsweise das Erdöl in gewissen anderen Ländern, und die Zusammenarbeit auf diesem eifersüchtig gehüteten Gebiet ist sehr schwer.
In Bezug auf die Tätigkeit der direkt vor Ort anwesenden israelischen Gesellschaften kann man interessanterweise feststellen, dass «Elite» eine Kaffeefabrik in Kroatien eröffnet hat und sich unter grossen Anstrengungen darum bemüht, sich auf einem noch sehr geschützten Markt zu behaupten. Ein weiteres israelisches Unternehmen, «Cardan», das sich auf Fragen im Bereich Pensionskassen und Versicherungen spezialisiert hat, ist seit seiner Niederlassung in Kroatien recht erfolgreich. Einige israelische Baugesellschaften setzen Immobilienprojekte um und die berühmten israelischen Panzertüren werden immer beliebter. Was die kroatischen Exporte betrifft, stehen wir erst am Anfang einer Zusammenarbeit, die sich meines Erachtens vor allem auf dem Gebiet der verschiedenen Mineralien entwickeln könnte, die im dortigen Gebirge abgebaut werden.

Um die wirtschaftliche Situation Kroatiens steht es nicht zum besten. Werden grössere arabische Investitionen getätigt, welche die Beziehungen zwischen den beiden Ländern negativ beeinflussen könnten?

Ich glaube nicht, dass wir mit dieser Art von Problemen konfrontiert werden. Die erdölexportierenden Länder haben sich nämlich daran gewöhnt, in reiche Staaten wie z.B. Spanien und Frankreich zu investieren, und sind nicht daran interessiert, wirtschaftlichen Schwellenländern zu helfen.

Wie sieht es mit der Alyah aus?

Es gibt hier nur eine winzige Gemeinschaft, in der es einige Fälle von Immigration in Israel gibt, doch im Grossen und Ganzen ist die Alyah sehr gering.

Sie fungieren ebenfalls als nicht ansässiger Botschafter in Slowenien und in der Slowakei. Wie sind die Beziehungen zu diesen Ländern?

In Slowenien gibt es keine jüdische Gemeinschaft. Auf wirtschaftlicher Ebene bestehen jedoch ausgezeichnete Beziehungen, da unser Handelsvolumen 2001 die Summe von 150 Millionen Dollar erreicht hat. Wie Sie wissen, befindet sich in Slowenien eine der besten Autofabriken von Renault, von denen viele nach Israel exportiert werden. Wir sind auch in der Petrochemie-Industrie tätig und werden in Kürze in verschiedene lokale Banken investieren.
Milan Kuçan, der Präsident Sloweniens, ist eine alter Freund Israels. Er war während des britischen Mandats persönlich an der heimlichen Immigration und am Waffenhandel nach Israel beteiligt. Er ist mehrmals in unser Land gereist und wir haben zahlreiche Projekte zusammen verwirklicht. Die einzige Investition aus einem osteuropäischen Land in Israel stammt übrigens aus Slowenien, das kürzlich zwanzig Millionen Dollar in einem israelischen Finanzfonds angelegt hat. Es handelt sich natürlich um eine symbolische Geste, die jedoch eine gewisse Bedeutung besitzt. Unsere Beziehungen zu Slowenien sind meiner Ansicht nach als eine offene Tür für die Verbesserung unserer Kontakte zu anderen osteuropäischen Ländern zu verstehen. Darüber hinaus kennt man in Slowenien keinen Antisemitismus.

Und wie steht es um die Beziehungen zur Slowakei?

Wir haben Kontakte zur Slowakei, seit sie wieder unabhängig geworden ist. Unsere Beziehungen zu Präsident Vladimir Meciar waren ausgezeichnet, obwohl er von der Europäischen Union geächtet wird, und auch mit der gegenwärtigen Regierung unter der Leitung von Rudolf Schuster sind unsere Beziehungen sehr gut. Heute leben ungefähr 5’000 Juden in diesem Land und die Aktivitäten der jüdischen Gemeinschaft sind äusserst vielfältig: koscheres Restaurant, zahlreiche Synagogen, Altersheim usw. In Bezug auf den Antisemitismus darf man nicht vergessen, dass die Juden aufgrund der aktiven Kollaboration der lokalen Bevölkerung und unter der Aufsicht der Kirche deportiert wurden. Zur Zeit gibt es eigentlich keinen aktiven Antisemitismus, es existieren aber auch keine Erziehungsprogramme zum Thema der Schoah, was wir aber zu ändern versuchen. Man darf nicht ausser Acht lassen, dass die Slowakei jahrelang zu Polen gehörte…
Zum Schluss möchte ich sagen, dass Israel in Bezug auf die wirtschaftlichen Beziehungen zu anderen Ländern als den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union gegenwärtig dabei ist, radikales Neuland zu betreten. Im Verlauf der vergangenen Jahre haben wir nämlich in erster Linie versucht, die Kontakte zu Südamerika und zum Fernen Osten zu verstärken, insbesondere mit China und Indien. Wir haben aber gemerkt, dass man während langer Zeit immense Geldsummen investieren muss, um auf diesen Märkten Fuss zu fassen, und erst sehr viel später vielleicht Erfolge verzeichnen kann. Wir mussten diese Anstrengungen unternehmen, um aus unserer politischen Isolation herauszukommen. Heute bin ich aber der Ansicht, dass gleich dahinter Mitteleuropa als grosser, lukrativer und vielversprechender Markt an dritter Stelle steht. Diese geografisch nahe an Israel liegenden, früher kommunistischen Länder zählen auf uns, um dank unserer Hilfe vom Sozialismus zum Kapitalismus überzugehen. Sie bieten uns überaus günstige Möglichkeiten an, in erster Linie kommerzielle Partnerschaften. Wir können dort Industrieparks gründen und direkt in die lokalen Branchen investieren, da die Mitarbeiter dort qualifiziert und die Löhne noch sehr tief sind. Ausserdem pumpt die Europäische Union jetzt, da die Regimes Osteuropas stabil geworden sind, sehr viel Geld in diese Länder. Und ein letzter, nicht zu vernachlässigender Vorteil, den wir bei unseren Beziehungen mit diesen Staaten berücksichtigen sollten, besteht aus der Tatsache, dass die Eltern zahlreicher israelischer Unternehmer aus diesen Ländern stammen. Sie kennen die hiesige Mentalität, oft sogar die Sprache, und werden von ihren lokalen Geschäftspartnern hoch geachtet. Ich denke, dass die Beziehungen zwischen Israel und den Ländern Mitteleuropas vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht einer schönen Zukunft entgegensehen.


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