News Neueste Ausgabe Befragung: Resultate Suchen Archiv Français English Русский עברית Español


Inhaltsangabe Porträt Frühling 1996 - Pessach 5756

Editorial - April 1996
    • Editorial

Pessach 5756
    • Hoffnung und Freiheit

Politik
    • Attentate - Wahlen

Interview
    • Israel an der Wegkreuzung

Terrorismus
    • Die Osloer Abkommen - Blut und Tränen

Kunst und Kultur
    • Montmartre vivant 'Von Toulouse-Lautrec zu Utrillo'
    • Jerusalem - 3000 Jahre Geschichte

Judäa-Samaria-Gaza
    • Hebron - Die Wiege des jüdischen Volkes

Analyse
    • Der Standpunkt von S.E.M. Meir Rosenne
    • Juden im neuen Südafrika
    • Der Weg in die Katastrophe

Reportage
    • Die Erinnerung erleben
    • Kontinuität im Rahmen der Veränderung
    • Das Aleph Institute

Porträt
    • Mazal Uberacha

Medizin
    • Hand aufs Herz

Wirtschaft
    • Electric Fuel

Ethik und Judentum
    • Insidergeschäfte

Artikel per E-mail senden...
Mazal Uberacha

Von Roland S. Süssmann
Ein Chassid steigt in den bereits überfüllten Lift eines Hochhauses in der belebten 47. Strasse in New York, im Teil der zwischen der berühmten Fifth Avenue und der Sechsten Avenue liegt. Um den Hals trägt er eine Goldkette, an der eine goldene, mit seinen hebräischen Initialen versehene Juwelierlupe (zehnfache Vergrösserung) hängt. Dieser Mann, eine klassische Figur im Mikrokosmos der Diamantenjuweliere, begibt sich ganz offensichtlich zu einem der zahlreichen Händler an dieser Strasse, die von der Stadt den Übernamen "Diamond and Jewelry Street" erhalten hat. Aufgrund des riesigen Vermögens an Diamanten, anderen Edelsteinen und Schmuckstücken, die in den unzähligen Safes der Büros aufbewahrt werden, gleicht jedes Gebäude einer kleinen Festung. Selbstverständlich muss man sich ausweisen können, um bei einem dieser Händler eingelassen zu werden.
Die Welt der Diamanten ist ebenso faszinierend und geheimnisvoll wie der berühmte Stein selbst. Sie ist Aussenstehenden verschlossen und verkörpert einen Mikrokosmos mit eigenen Regeln, in dem jeder Fehler streng geahndet wird. Der Diamantenexport stellt heute einen der bedeutendsten Industriezweige Israels dar und die Gemeinschaft der jüdischen Diamantenhändler in Antwerpen ist schon legendär. Der Öffentlichkeit weniger bekannt ist die Rolle, welche die Juden in der Welt der Diamanten in den Vereinigten Staaten spielen. Es ist eine sehr geschlossene Gesellschaft, die jede Form der Werbung ablehnt und im allgemeinen keinen Kontakt mit der Presse pflegt. Es ist daher als aussergewöhnliche Ausnahme zu bezeichnen, dass WILLIAM (BILL) GOLDBERG, einer der grössten Diamantenhändler der USA, ehemaliger Präsident des bekannten und sehr exklusiven "Diamond Club", uns empfangen hat, um uns über das Ausmass der jüdischen Präsenz in der amerikanischen Diamantenindustrie zu informieren. Nach dem Durchschreiten einer Sicherheitspforte wurden wir von Bill Goldberg empfangen. Bei diesem hochgewachsenen Mann werden der Charme und sein herzliches Lächeln durch seinen Schalk, seine Intelligenz und eine gewisse Entschlossenheit, die in seinen funkelnden Augen zum Ausdruck kommt, wunderbar ergänzt. Bill Goldberg ist ein Chef, jedoch auch ein Mann, dessen Grosszügigkeit, Seelengrösse, Menschlichkeit und Altruismus aus jeder Geste strahlen. Die Havanna in der Hand, spricht er gesetzt und wägt seine Worte ab... mit hochkarätiger Präzision.


Wann entstand die Vormacht der Juden im Diamantengeschäft in den USA und wie erklärt sie sich ?

Zu Beginn der 40er Jahre hatte es sich der berühmte Reb Shraga Feivel Mendelovitz, Direktor des sehr bedeutenden jüdischen Erziehungsinstituts Torah WeDat in New York, zum Ziel gesetzt, Menschen auszubilden, die einerseits den Talmud und das Judentum studieren und andererseits auch auf geschäftlicher oder beruflicher Ebene erfolgreich sein würden. Er wollte, dass diese Männer, mit einem eigentlichen Gelehrtenwissen im Bereich des Judentums, dank ihrem geschäftlichem Erfolg in der Lage wären, die talmudischen Institutionen in den Vereinigten Staaten finanziell zu unterstützen. Gleichzeitig traf es sich, dass zahlreiche belgische Familien, die dem Naziterror in Europa entkommen waren und sich in New York niederliessen, hier Diamantenschleifereien einrichteten und ihre Söhne in die Torah WeDat schickten. Viele Studenten des Instituts absolvierten eine Lehre in diesen Schleifereien und erlernten den Beruf des Diamantenhändlers. So entstand die eigentliche Grundlage der jüdischen Gemeinschaft in der Diamantenindustrie der USA. Früher, in den 30er Jahren, lag diese Tätigkeit hauptsächlich in den Händen der Holländer; einige wenige Juden besassen kleinere Geschäfte, doch im grossen und ganzen handelte es sich um einen weniger wichtigen Industriezweig. Ich möchte betonen, dass sehr viele Männer, die heute an der Spitze des Diamantenhandels in den Vereinigten Staaten stehen, das Ausbildungsprogramm von Torah WeDat durchlaufen haben. Auch ich habe meine Laufbahn so angefangen.
Wir müssen uns darüber im klaren sein, dass damals die Zeit der Rezession zu Ende ging und die Leute nur wenig Geld für Diamanten ausgeben konnten. Der Markt war daher recht eng, auch wenn die USA in absoluten Zahlen gemessen das Land war, in dem weltweit am meisten Diamanten gekauft wurden. Die Amerikaner brauchten ihr Geld, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, doch auch einfache Leute kauften kleine Diamanten für besondere Gelegenheiten, wie Verlobungen, ein Hochzeitsjubiläum usw. Wir lebten trotz allem in einer Welt, die von der heutigen sehr verschieden war, insbesondere in bezug auf die Art, wie die Menschen damals mit Geld umgingen.


Wie erklären Sie sich, dass die Juden sich immer mehr für Diamanten zu interessieren begannen ?

Es ist für einen gläubigen und praktizierenden Juden besonders angenehm, im Diamantengeschäft tätig zu sein. Es gibt keinen festen Stundenplan, es ist auch möglich, an Sonn- und offiziellen Feiertagen zu arbeiten. Damals war es sehr schwierig, eine Stelle zu finden. Die Einhaltung des Schabbat im Winter oder weniger bekannter Festtage wie z.B. Schawuot schuf zusätzliche Probleme. Die Diamantenindustrie bot allen praktizierenden Juden die Möglichkeit, unabhängig zu werden und nach eigenen Zeiteinteilungen zu arbeiten.
Nach dem Krieg entwickelte sich überall ein gewisser Wohlstand, die ganze Welt erlangte etwas Reichtum. Einige waren während des Kriegs reich geworden, andere danach, und die jungen Juden mit einer Ausbildung als Diamantenschleifer begannen allein oder mit Partnern, wie ich beispielsweise, Geschäfte zu machen. Da ich nicht über die notwendige Geschicklichkeit verfügte, war ich ein sehr schlechter Schleifer, erwies mich jedoch als guter Geschäftsmann. Ich tat mich mit einem Freund zusammen, der im Gegensatz zu mir ein ausgezeichneter Schleifer war, und wir haben unsere eigene Firma gegründet. Wir teilten uns die Arbeit: er schliff, ich verkaufte.


Es ist allgemein bekannt, dass beim Abschluss einer Transaktion ohne Vertrag und Quittung das Vertrauen eine grundlegende Rolle spielt. Wie erklären Sie diese Vorgehensweise ?

Sie stellt einen tragenden Pfeiler unserer Welt dar. Beim Abschliessen von Geschäften stützen wir uns direkt auf die Torah und die Ethik der Integrität, eine jüdische Tradition. Dasselbe gilt für die "Heiligkeit" des Werts, den ein gegebenes Wort besitzt, und jedes Geschäft wird durch "Mazal Uberacha", Glück und Segen, bekräftigt. Mit diesen Worten werden alle Diamantentransaktionen überall in der Welt abgeschlossen. Ein mit diesen Worten bestätigtes Geschäft ist mehr wert als jeder Vertrag, der von einer Armee von Rechtsanwälten erstellt wird.
Bei uns bestimmt die Qualität des Menschen die Qualität der Beziehungen. Als ich mit meinem Freund, dem Schleifer, die Firma gründete, verkörperten wir auf dem Markt keinen grossen geschäftlichen Wert, doch angesichts des Vertrauens, das man uns schenkte, kam es vor, dass uns die Diamantenhändler Ware für zweihunderttausend Dollar überliessen, obwohl unser Geschäft höchstens fünfzehntausend wert war. Diese Tradition hat sich bis heute gehalten. Wir beurteilen jemanden viel mehr nach seinem Gesicht, seiner Seriosität, seinem Arbeitswillen, seiner Ehrenhaftigkeit und seinem Ruf als nach allen Bankauszügen, die er uns vorlegt. Sobald zwischen zwei Händlern ein Problem auftaucht, wenden sie sich an die Diamantenbörse, den "Diamond Club", und die Geschichte wird von einem aus drei Mitgliedern bestehenden Gericht in gegenseitigem Respekt und Würde meist in einer halben Stunde geregelt. Um Mitglied des "Diamond Club" zu werden, muss man von fünf Mitglieder empfohlen werden, wobei zwei von ihnen für einen bürgen müssen; danach entscheidet eine Aufnahmekommission.


Es wird immer häufiger von der zunehmenden Bedeutung der Hindus im Diamantengeschäft gesprochen. Inwiefern berührt Sie das ?

Die Hindus sind tatsächlich sehr aktiv. Sie sind jedoch in erster Linie auf dem Markt für kleine Steine tätig, die weniger als 0,75 Karat wiegen. Diese Steine sind sehr arbeitsaufwendig, und die aus Indien importierenden Fabriken beschäftigen Zehntausende von Arbeitern zu niedrigen Löhnen. Die grossen jüdischen Unternehmen handeln vor allem mit grossen Steinen und haben ihre Stellung auf dem Diamantenmarkt in der Regel auch behaupten können. Weltweit gesehen haben die jüdischen Händler im Bereich der kleinen Steine jedoch zweifellos unter dieser Entwicklung gelitten.


Der Diamantenweltmarkt wurde von der Implosion der UdSSR, die trotz allem die Verteilung der Diamanten über das Monopol der De Beers zufriedenstellend sicherte, ganz offensichtlich in Mitleidenschaft gezogen. Wie haben sich die Dinge wirklich abgespielt ?

Diese Episode gehört zu den dramatischen Ereignissen in der Geschichte der Diamanten. Seit ihrer Gründung vor 70 Jahren durch H. Openheimer, dominierte De Beers die Verteilung der Diamanten. Dieses System funktionierte trotz aller inhärenter Schwierigkeiten und war anerkannt. De Beers rechnete mit auftretenden Problemen. Es muss gesagt werden, dass die Russen das Entstehen eines totalen Chaos zuliessen, indem sie zuviel Ware derselben Art gleichzeit auf den Markt brachten. Solange die Kommunisten an der Macht waren, unterlagen die Geschäfte bestimmten Regeln und niemand hätte es in der UdSSR gewagt, diese zu brechen. Seit der Entstehung der GUS geschieht alles völlig regellos. Zunächst litt der Markt effektiv darunter, doch De Beers setzte all ihre Macht und ihr Know-how ein, um den Handel zu stabilisieren, und die Dinge scheinen sich jetzt wieder zu normalisieren. So konnete Ende Februar 1996 ein Abkommen getroffen werden, da die GUS wieder feste, allgemein geltende Regeln bestimmen möchten. In diesem grossen Tohuwabohu haben sich zahlreiche Personen, vor allem Russen und nicht Juden, beträchtlich bereichern können.


Wie sehen Sie die Zukunft ? Sie haben die Erfolgsleiter dank Durchhaltewillen und Geduld erklommen. Wie steht es um die folgende Generation, die einem Vorbild wie Ihnen nacheifert ?

Die Zeiten haben sich geändert. Vor fünfzehn oder gar zwanzig Jahren kam es nur selten vor, dass einem Diamanten von einem unabhängigen Gemmologielabor wie z.B. dem Gemological Institute of America (GIA) ein Zertifikat ausgestellt wurde. Seit einiger Zeit gehört zu fast jedem Diamanten, unabhängig von seiner Qualität, ein Zertifikat. Früher spielten das Auge und die persönliche Beurteilung eine grundlegende Rolle, doch heute ist dies leider nicht mehr der Fall. Viele begnügen sich damit, Zertifikate per Fax hin- und herzuschicken. Ich kann persönlich nicht so arbeiten. Dazu kommt ein weiteres Phänomen, die berühmte Preisliste, die "Rappaport Price List", welche den Einfluss und die Bedeutung der Makler, oftmals Chassidim, stark herabsetzt. Darüber hinaus wurden zahlreiche Schleifer von ihrem Vater oder Freunden ausgebildet und studierten gleichzeitig in Jeschiwot. Heute befinden sich weniger rohe Steine auf dem Markt, es gibt daher weniger Schleifer. Insgesamt muss ich sagen, dass die Welt der Diamanten immer weniger oder eine gleichbleibende Zahl von Arbeitsplätzen anbietet. So hat sich die Zahl der Edelsteinschleifer in den Vereinigten Staaten seit ca. zehn Jahren kaum verändert. Berufe ich mich auf die Anzahl Mitglieder unserer Diamantenbörse (1700), des "Diamond Club", stelle ich fest, dass die Zahl der Händler und Makler um ungefähr 10% gesunken ist. Ich bin allerdings kein Prophet, alle meine Kinder und mein Schwiegersohn arbeiten mit mir, und ich kann mir ohne weiteres vorstellen, dass mein heute erst zwölfjähriger Enkel später ebenfalls in meinem Unternehmen arbeiten wird. Dies heisst natürlich keinesfalls, dass alle meine Enkelkinder Diamantenhändler werden müssen. Ich bin aber der Überzeugung, dass dieser Bereich sich auch in Zukunft hauptsächlich in jüdischer Hand befinden wird.


Welches war der schönste Stein, den Sie in der Hand hielten ?

Wir haben einen der schönsten Diamanten der Welt geschliffen, die berühmte "Premier Rose", von einer herrlichen Farbe (D), völlig lupenrein (flawless) und mit einem Gewicht von 137 Karat. Er wurde vor 15 Jahren von König Fahd von Saudiarabien für US$ 10,5 Millionen gekauft und ist heute bestimmt fast US$ 30 Millionen wert. Zum Schluss möchte ich etwas sehr Wichtiges sagen. Es stimmt, wir arbeiten mit einem wunderschönen Material, und der Glanz jedes Diamanten ist eine Quelle der Freude. Die eigentliche Schönheit unseres Berufs liegt jedoch in den Menschen, mit denen wir zu tun haben. Die besondere Atmosphäre, die zwischen uns herrscht, der gegenseitige Respekt, die Unterstützung, kurz, alles was im kraftvollen jiddischen Wort "Menschlichkeit" zum Ausdruck kommt.


Contacts
Redaction: edition@shalom-magazine.com   |  Advertising: advert@shalom-magazine.com
Webmaster: webmaster@shalom-magazine.com

© S.A. 2004