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Inhaltsangabe Analyse Herbst 2006 - Tischri 5767

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Rosch Haschanah 5767
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Negationismus - Antizionismus Antisemitismus

Von Professor Robert S. Wistrich
Schon 1971 sagte der französische Philosoph Vladimir Jankelewitsch voraus, dass die Verschmelzung des Staates Israel mit dem Antisemitismus und der Schoah, die schon zu seiner Zeit in den europäischen Gemütern stattfand, immer bedenklicher werden würde. Er stellte fest, welch aussergewöhnlichen Schatten die Schoah auf die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs im Besonderen und auf die moderne Zeit im Allgemeinen warf – eine Art unsichtbaren Schwaden der Gewissensbisse. «Dieses schändliche Geheimnis», das man hinter dem scheinbar «guten Gewissen der Gegenwart» verbarg – diese versteckte Angst, die so viele Europäer zu dem Zeitpunkt packte, als ihnen reichlich spät das riesige Ausmass des Verbrechens bewusst wurde, in das sie tief verwickelt gewesen waren.
Jankelewitsch stellte schon vor 35 Jahren die These auf, dass der «Antizionismus» eindeutig Gefahr laufe, zur unerwarteten und schicksalhaften Gelegenheit zu werden, sich der schrecklichen Last der Schoah zu entledigen. Man könnte doch die Juden selbst zu Nazis machen? Das wäre die Zauberlösung. Man müsste ihr Schicksal nicht mehr bedauern, da sie es sich letztlich selbst zuzuschreiben hatten. Mit der Behauptung, Israel sei ein nazistischer Staat, schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: einerseits weist man mit dem Finger auf die Opfer von gestern, die im Grunde kaum besser sind als wir Europäer (vielmehr schlechter, da sie nicht versucht haben, aus ihrer eigenen Geschichte etwas zu lernen). Andererseits wird der Davidstern auf diese Weise in ein Hakenkreuz verwandelt, die Opfer werden zu Henkern, und die Juden, die den «Nazi-Staat» Israel verteidigen, werden des «Rassismus», des «Faschismus» und der «ethnischen Säuberung» beschuldigt.
Es stimmt, dass die Schoah im Zentrum des zeitgenössischen Gewissens des Westens steht. Sie ist immer wieder Gegenstand fachübergreifender Forschung und ein gefundenes Fressen für die Medien, und gehört als fester Bestandteil zur Kultur, Pädagogik und Politik des neuen Europas. Und doch ist diese Sorge (die manchmal fast zur Obsession wird) nicht ganz frei von perversen Nebenwirkungen. Dabei besteht die extremste Perversion natürlich aus der vollumfänglichen Leugnung der Schoah: gemäss dieser absurden Idee soll die «Vernichtung» der Juden nie stattgefunden haben, es gab auch keine Gaskammern und die Juden und/oder die Zionisten haben angeblich (mit Hilfe der Alliierten und der Kommunisten) «die grösste Lügengeschichte des Jahrhunderts» von A bis Z erfunden. Während die herkömmlichen Antisemiten «Tod den Juden» brüllten, erzählen uns die Negationisten, dass «die Juden nicht gestorben sind». Was eigentlich einer doppelten Ermordung entspricht. Zunächst durch den todbringenden Antisemitismus, der zur fast völligen Auslöschung des europäischen Judentums führte, später durch das Abstreiten der sechs Millionen Opfer, weil nichts beweise, dass sie jemals gelebt hätten. Zuerst haben die Antisemiten die Juden getötet; einige Jahrzehnte später haben sie ihnen ihren Tod abgesprochen.
Dieser Schwindel war noch nie so transparent und so verbreitet wie innerhalb der arabisch-muslimischen Welt von heute. So leugnet der iranische Präsident Ahmadinejad schlichtweg die gesamte Schoah und droht gleichzeitig, Israel von der Landkarte zu löschen. Die libanesische Hisbollah bezeichnet nach dem Vorbild ihrer iranischen Geldgeber die «Lüge von Auschwitz» als Grund für die Aberkennung der Daseinsberechtigung des Staates Israel und bestätigt damit ihre antisemitische Rhetorik. Ihr geistlicher Führer Scheich Fadlallah betont immer wieder, die sechs Millionen Opfer seien eine «reine Erfindung» - ein zusätzlicher Beweis für die Habgier und Verschlagenheit der Zionisten.
Es war demnach kein Zufall, dass die arabische Welt die französischen Revisionisten Roger Garaudy und Robert Faurrisson mit Begeisterung aufnahm.
Der Fall von Roger Garaudy ist besonders bezeichnend. Dieser berühmte französische Intellektuelle, ein Katholik, der sich zunächst zum Stalinismus, später zum Islam bekannte, wurde durch seinen Prozess und seine Verurteilung 1998 in Paris wegen Anstiftung zum Antisemitismus und zum Negationismus in der arabischen Welt zu einem kulturellen Helden. In seiner wenig originellen These behauptet er, es habe während des Kriegs seitens des Nazi-Regimes weder eine Politik der Vernichtung noch Gaskammern gegeben. Auch seine Schmähreden gegen die Zionisten, die seiner Ansicht nach mit den Nazis kollaboriert haben sollen, sowie seine Behauptungen betreffend die künstliche Erfindung der Schoah durch Israel, um die Besetzung von arabischem Territorium zu rechtfertigen, stellten für viele arabische Intellektuelle eine Quelle enormer Befriedigung dar.
Eine auf dem Fernsehsender Al-Jazira ausgestrahlte Debatte (15. Mai 2001) zeigt, bis wohin diese mörderische Leidenschaft reicht. Während der besagten Diskussion und vor laufender Kamera wedelte Hayat Atiya, die Garaudy ins Arabische übersetzt hatte, plötzlich mit dem Foto eines kleinen Araberjungen herum, der in der Intifada ums Leben gekommen war, und schrie: «Das ist die Schoah… Es gibt keinen Völkermord an den Juden! Es gibt nur einen Völkermord, denjenigen an den Palästinensern!»
Nach dieser so genannten «Debatte» stellte sich gemäss einer von diesem Sender durchgeführten Umfrage heraus, dass 85% der arabischen Zuschauer dieser Sendung davon überzeugt waren, der Zionismus sei letztendlich schlimmer als der Nationalsozialismus. Diese Ergebnisse beweisen einmal mehr, wie abgrundtief der Hass der Araber gegenüber den Juden ist.
Der marokkanische Islamist Ahmed Rami, der vor 20 Jahren Radio-Islam in Stockholm gegründet hatte und es heute noch leitet, konfrontiert uns mit einer noch alptraumhafteren Vision der Schoah, in der die Palästinenser in haarsträubender Weise mit den Hitler-Deutschen im Kampf gegen zionistische und «rassistische» Juden gleichgesetzt werden. «Wenn Jesus persönlich heute auf Erden zurückkehren würde [sic], würde ich ihm nur eine einzige Frage stellen: ‘Bist du für oder gegen die jüdische Besetzung Palästinas?’ Wer das jüdische Problem verstanden hat, hat alles verstanden. Wer es nicht versteht, hat gar nichts begriffen. Hitler hatte das Problem völlig erfasst. Für uns Muslime war der Zweite Weltkrieg kein Kampf zwischen Gut und Böse, sondern ein Krieg gegen die jüdische Besetzung, die Intifada des deutschen Volkes. Ein Krieg zwischen Hitler und den Rassisten, die uns kolonisierten oder davon träumten, uns zu kolonisieren! Wenn es das absolut Böse gibt, dann steckt es im rassistischen Kolonialisierungsplan der Juden.»
Am gefährlichsten für die Zukunft ist jedoch nicht die psychopathologische Leugnung der Schoah, sondern vielmehr ihre Relativierung und Banalisierung mit Hilfe von falschen Analogien zur Politik des jüdischen Staates. So veröffentlichte beispielsweise das Organ der regierungsnahen Linken Griechenlands namens Eleftherotypia im April 2002 die Karikatur eines Nazi-Soldaten, der einen Davidstern trug. Der Soldat bedrohte einen Araber in der gestreiften Uniform der KZ-Gefangenen. Unter dem Titel «Holocaust II» hiess es in der Legende: «Die Kriegsmaschinerie von Sharon bemüht sich, eine neuerliche Schoah durchzuführen, einen neuerlichen Völkermord ».
In Griechenland und Spanien, wo Antizionismus und Antisemitismus oft Hand in Hand gehen, kommen derartige Karikaturen recht häufig vor. Sie sind aber auch in allen anderen Ländern der EU verbreitet.
Der portugiesische Nobelpreisträger José Saramago, der vor drei Jahren Israel besuchte, zögerte nicht, Ramallah mit Auschwitz zu vergleichen. In einem Artikel aus seiner Feder, erschienen in der spanischen Tageszeitung El Pais, beschreibt er die Israelis wie folgt: «… im Gedanken erzogen und bestärkt, dass alles Leid, das sie anderen – insbesondere den Palästinensern – in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft zufügen, immer geringer sein wird als jenes, das sie während der Schoah erlitten haben, streuen die Juden immer wieder Salz auf ihre eigenen Wunden, damit sie weiterhin bluten, und halten sie der ganzen Welt unter die Augen, als ob sie ihr Banner wären».
Es handelt sich hier natürlich nicht um den hanebüchenen, offensichtlichen Antisemitismus der arabischen Welt, der Neonazis oder der rechtsradikalen Bewegungen in Europa und Nordamerika, in dem die Schoah geleugnet wird. Diese Form der «Umkehrung» des Völkermords, der so viele Wunden wieder aufgerissen hat, gründet im postnationalen Europa, das vordergründig zumindest das Nazi-Erbe, den Antisemitismus, den Rassismus, die Kriegsbegeisterung, den Imperialismus und den Einsatz von Gewalt in der Politik ablehnt. In diesem Europa gelten die Anderen, die Palästinenser, als eigentliche Opfer einer Ungerechtigkeit. Israel wird dadurch logischerweise zum absoluten Schuldigen, zur Personifizierung des Teufels – zu einem buchstäblich «nazifizierten» Staat. Man ruft die Schrecken des Judenmords nur in Erinnerung, um die Kritik an Israel noch zu verschärfen. Man trägt sein rückwirkendes Mitgefühl mit den Juden zur Schau, die damals in fast allgemeiner Gleichgültigkeit ermordet wurden, und setzt sie mit den heutigen Palästinensern gleich, während man den jüdischen Staat anprangert.
Dabei handelt es sich eindeutig um Lügengeschichten über Israel, in denen die Juden verteufelt, in «Feinde der Menschheit» und in die Personifizierung des Rassismus verwandelt werden, in Lakaien eines kriminellen Landes! Nach jahrzehntelanger Information über die Schoah, nach einem ökumenischen Dialog, nach Gedenkstätten, Filmen und unzähligen Vorlesungen, nach der Stockholmer Konferenz vom 27. Januar 2000 und der Einführung von nationalen Gedenktagen für die Opfer der Schoah in der zivilisierten Welt stecken wir in einer Sackgasse. Das antisemitische Virus hat eine Mutation durchlaufen und wir haben noch kein entsprechendes Mittel zu seiner Bekämpfung gefunden. Dies stellt eine der grössten Herausforderungen unserer Zeit dar.

* Robert S. Wistrich ist Professor für moderne europäische und jüdische Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem. Er ist ebenfalls Direktor des «Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism». Zu seinen zahlreichen Werken gehören u.a. Antisemitism: The Longest Hatred (Pantheon, 1991), Nietzsche, Godfather of Facism? (Princeton, 2002), und Hitler und der Holocaust (Berlin, 2003).

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