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Inhaltsangabe Judäa - Samaria - Gaza Frühling 1994 - Pessach 5754

Editorial - März 1994
    • Editorial

Jüdische Feiertage
    • Pessach 5754

Politik
    • Die Folgen eines Massakers

Interview
    • Gestern - Heute - Morgen
    • Jerusalem - Eins und Unteilbach

Terrorismus
    • Die Fackel wird ewig brennen

Porträt
    • Der Hofnarr

Judäa - Samaria - Gaza
    • Der "Friede" an Ort und Stelle
    • Die letzten Juden von Jericho

Analyse
    • Terrorismus und Illusionen
    • Multilateralen Verhandlungen

Kunst und Kultur
    • Jüdische Frauen als Schreiber und Drucker
    • Arthur Segal (1875-1944)

Israel - Diaspora
    • Israel und das Weltweite Judentum

Israel - Vatikan
    • Eine "Zivilhochzeit"

Biographie
    • Sir John Pitchard, His Life in Music

Ethik und Judentum
    • Statistik und Wahrscheinlichkeit

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Der "Friede" an Ort und Stelle

Von Roland S. Süssmann
In den vergangenen sechs Monaten sind seit dem 13. September 1993, dem schicksalsträchtigen Tag, an dem die schändliche Grundsatzerklärung Rabin-Arafat unterzeichnet wurde, über dreiunddreissig jüdische Zivilpersonen von den Arabern in Israel ermordet worden, über hundert von ihnen wurden verletzt. Täglich werden Angriffe mit Steinen, blanken Waffen, Molotow-Cocktails und Maschinengewehren überall in Israel und vor allem in Judäa, Samaria und Gaza gegen Juden durchgeführt. Diese Situation ist auf die zahlreichen Zugeständnisse der Regierung Rabin und auf deren nachsichtigen Einstellung gegenüber der Terroristenorganisation PLO zurückzuführen.
Der arabische Terrorismus schlägt nicht blindlings zu, er wählt seine Opfer sorgfältig aus: ein Vater mit seinem Sohn, eine schwangere Frau, ein einsamer Reisender, ein Mitglied des Geheimdienstes, der von einem Spitzel verraten worden war... Die Liste ist unglücklicherweise recht lang.
Die Region von Benjamin (siehe SHALOM Vol. XVIII) vor den Toren Jerusalems hatte am meisten zu leiden, nachdem zwölf in dieser Gegend lebende oder auf der Durchreise befindliche Personen ermordet worden waren. Wir haben PINCHAS WALLERSTEIN, den Präsidenten des Regionalrates von Benjamin, gebeten, uns ein vollständiges Bild von der Situation zu vermitteln und uns die gegenwärtige Lage zu beschreiben.


Was hat sich seit dem 13. September 1993 und bis zum Massaker von Hebron an in den Gebieten verändert ?

In der Bevölkerung hat sich Besorgnis verbreitet, nicht so sehr auf kollektiver, sondern auf individueller Ebene. Eine Reihe von Fragen drängten sich auf: soll man lieber in einem einzigen Auto reisen oder aus Vorsicht doch besser zwei Wagen nehmen ? Kann eine schwangere Frau das Risiko einer Fahrt nach Jerusalem auf sich nehmen, um dort eine Ultraschall-Untersuchung vornehmen zu lassen ? Die Eltern und die Kinder führten ihr Leben offensichtlich in der gewohnten Weise weiter. Ich möchte betonen, dass sich die Zahl der Einwohner zu unserer grossen Verblüffung in den vergangenen sechs Monaten um fast 20% erhöht hat. Diese Tatsache lässt sich angesichts der angespannten Lage, der Morde und der schwierigen Situation, in der wir leben, kaum erklären.


Was hat sich seit dem Massaker in Hebron verändert ?

Als allererstes möchte ich betonen, dass die Ermordung von Arabern unter dem einzigen Vorwand, dass sie Araber sind, eine entsetzliche Tat darstellt, die verurteilt werden muss. Ich muss jedoch hervorheben, dass seit September des vergangenen Jahres über 100 Araber, einige sprechen gar von 1 bis 3 Menschen pro Tag, von ihren arabischen Brüdern umgebracht wurden, ohne dass irgendjemand sich dagegen aufgelehnt hätte.
Die Situation in den Gebieten selbst belastet die jüdische Bevölkerung mit enormer Spannung und unerträglichem Stress. Am Montag nach den Ereignissen haben sich fast 90% der Pendler an ihren Arbeitsplatz begeben, ebensoviele Kinder besuchten auch die Schule. Man muss sich darüber im klaren sein, dass alle Angst haben, denn die israelischen Medien lassen die Vermutung zu, dass die jüdische Besiedlungsbewegung der Gebiete selbst für die Vorfälle in Hebron verantwortlich ist. Stillschweigend wird damit ausgedrückt, dass ein Angriff gegen einen Juden der Gebiete fast legitim ist und dass er es letztendlich "herausgefordert" hat. Die Armee unterstützt uns allerdings nach Kräften und gibt uns, wenigstens gegenwärtig, den Schutz, den wir benötigen.


Es steht fest, dass die Araber versuchen werden, sich im ganzen Land auf machtvolle und spektakuläre Weise zu rächen. Wie sieht in Ihren Augen die weitere Entwicklung der Situation aus ?

Leider hat die Regierung eine Reihe von extrem gefährlichen Massnahmen ergriffen. Zunächst kann jeder in den Gebieten lebende Jude ohne das geringste gerichtliche Verfahren bis zu drei Monate lang in Zivilhaft gehalten werden ! Jeder in Judäa und Samaria ansässige Jude kann aus den Gebieten gewiesen werden. Sobald diese Massnahmen sich einmal in durchaus legitimer Weise eingebürgert haben, wird die Regierung bestimmt nicht auf halbem Wege stehen bleiben. Es würde mich nicht erstaunen, wenn sie unsere Bevölkerung mit weiteren Verfügungen einschränken würde. Sie können sich ja vorstellen, wie sehr all dies den Stress verstärkt, der auf den Juden der Gebiete lastet. Die Israelis finden dies im grossen und ganzen normal, und weder das Rabbinat noch die Menschenrechtsorganisationen haben dagegen Protest erhoben.


Glauben Sie, dass der von der Grundsatzerklärung Rabin-Arafat eingeleitete Friedensprozess wirklich gefährdet ist ?

Nein, denn unsere Regierung wird wahrscheinlich zahlreiche Zugeständnisse und Konzessionen machen, um die Verhandlungen in Gang zu halten. Eine der ersten und sofort angekündigten Massnahmen ist die Freilassung, kaum fünf Tage nach den Vorfällen von Hebron, von 500 Terroristen. Jeder vernünftige Mensch begreift, was eine derartige Entscheidung in den Gebieten bewirken kann.


Doch das Leben geht weiter. Wie entwickelt sich die Bautätigkeit in den Gebieten ?

Die Regierung des Staates Israel unternimmt nichts zur Förderung der Bautätigkeit oder zur Fertigstellung der Wohnhäuser, die sich in Konstruktion befinden. Ausserdem werden die fertiggestellten Häuser nicht mit Wasser- und Stromanschluss versehen. Dazu muss man sich an private Unternehmen wenden, die natürlich sehr teuer sind.


Welche Finanzierungsmöglichkeiten im Immobilienbereich werden einem israelischen Juden geboten, wenn er sich heute in den Gebieten niederlassen möchte ?

Ganz einfach, er muss seine Wohnung zu 100% selbst finanzieren. Keine einzige Bank wird ihm ein Darlehen gewähren. Dazu muss ich hervostreichen, dass die Regierung ungefähr zwölftausend leerstehende Wohnungen in Judäa-Samaria und Gaza besitzt, die sie nicht verkaufen will ! Diese Wohnungsbauprojekte wurden aber vom israelischen Steuerzahler finanziert. Die Regierung unternimmt nichts, um die investierten Mittel zurückzuerlangen oder gewinnbringend einzusetzen, unter dem Vorwand, es handle sich nicht um eine wirtschaftliche, sondern um eine politische Frage. In unserer Region befinden sich ca. 700 leere und unbenutzte Wohnungen. Natürlich liegt mir nicht eine Liste mit 700 potentiellen Käufern vor, doch wir könnten einen Teil dieser Unterkünfte bestimmt verkaufen. Täglich treffen Anfragen bei uns ein, die von der Regierung systematisch abgelehnt werden.


Der Autonomieplan sieht den Bau von Umfahrungsstrassen vor, damit die Juden nicht durch Sektoren fahren müssen, die von der palästinensischen Polizei kontrolliert werden. Wie weit sind die Arbeiten fortgeschritten ?

Es existiert kein einziger Konstruktionsplan für diese Strassen, und seit dem 13. September 1993 wurden selbstverständlich keinerlei derartige Arbeiten unternommen. Nie wurde ich in meiner Eigenschaft als Verantwortlicher der Region von Benjamin in diesem Zusammenhang angesprochen, und bin auch nie mit Ingenieuren oder Handwerkern zusammengekommen, die mit der Verwirklichung dieser Pläne beauftragt waren. Ich muss ihnen leider auch gestehen, dass die Regierung bis zum heutigen Tag uns trotz unserer zahlreichen Anfragen nie folgende grundlegende Frage beantwortet hat: wie werden die Juden weiterhin hier leben können, wenn die Autonomie in Kraft getreten ist und sie der palästinensischen Polizei auf ihrem Weg zur Arbeit ausgeliefert sind ? Das Verhalten der Regierung lässt die Vermutung zu, dass einige, durch die Presse verbreitete Gerüchte begründet sind. Shimon Peres soll den Arabern versprochen haben, den in Judäa, Samaria und Gaza lebenden Juden das Leben während der Übergangszeit so sauer zu machen, dass schliesslich niemand mehr in diesen Regionen leben möchte oder kann. Die Regierung sieht tatenlos zu und unternimmt nicht die geringsten Bauarbeiten, nicht einmal die allernotwendigsten, die uns den Eindruck vermitteln könnten, sie würde sich für unsere Sicherheit einsetzen. Die Armee tut alles, um uns zu helfen und uns zu unterstützen, doch ihre Möglichkeiten sind natürlich eingeschränkt.


Sie haben demnach nicht im Sinn, sich in den autonomen Zonen aufzuhalten, in denen die palästinensische Polizei die Verantwortung trägt ?

Heute unternehmen die Palästinenser, die noch über sehr wenige Waffen verfügen, jeden Tag Angriffe gegen die Juden; sie töten und verletzen dabei Männer, Frauen und Kinder. Was wird geschehen, wenn zehn tausend von ihnen durch Israel offiziell mit Waffen versorgt wurden, um die vielbesprochene "palästinensische Polizei" zu gründen ? Wie werden sie sich verhalten ? Zur Zeit wurden die meisten ihrer Waffen bei Diebstählen in Israel selbst oder durch Schmuggel mit Ägypten ergattert, obwohl die israelische Armee alle Grenzen bewacht. Was erwartet uns, wenn sich in den autonomen Zonen später mehrere tausend Waffen frei in den Händen derjenigen befinden, die heute auf uns schiessen ?


Anscheinend gewährt die Regierung Ihrer Region nicht einmal die unerlässliche humanitäre Hilfe, die allen anderen Bürgern Israels zusteht, wie beispielsweise die Dienstleistungen des Magen David Adom, des israelischen "Roten Kreuzes". Wie sieht die Situation in Wirklichkeit aus ?

Diese Aussage ist absolut richtig. Wir können jedes gewünschte medizinische Material erhalten, wenn wir es auch zahlen ! In den Gebieten existiert keine einzige Erste-Hilfe-Station des Magen David Adom. Solche von Freiwilligen und staatlichen Angestellten geführten Stationen sind überall im Land zu finden, nur nicht in Judäa, Samaria und Gaza. Es kommt aber noch schlimmer: wenn eine innerhalb der grünen Linie liegende Gemeinde eine Ambulanz braucht und nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügt, erhält sie von der Regierung Geld. Wir kommen hingegen nicht in den Genuss dieser Bestimmungen. Darüber hinaus verkauft uns der Magen David Adom nur gebrauchte Krankenwagen. Und schliesslich sind wir vollständig vom guten Willen des medizinischen Personals abhängig, das ausschliesslich aus Freiwilligen besteht. Falls ein Arzt unserer Region also zur Arbeit gegangen ist und wir seine Dienste dringend nötig hätten, müssen wir ihn erst finden und von seinen Pflichten befreien, bevor er einem Kranken oder Verletzten helfen kann.


War dies unter der Likud-Regierung auch schon so ?

Leider ja. Ich weiss wirklich nicht, weshalb es so ist. Zur Zeit der Likud-Herrschaft genossen wir jedoch einige Erleichterungen, wie z.B. bei der Anstellung von Sozialhelferinnen. Heute wurde dies alles unterbunden.


Welche konkreten Veränderungen erwarten Sie in den Gebieten nach der Unterzeichnung der Abkommen von Kairo zwischen Shimon Peres und dem Terroristen Yasser Arafat ?

Dieser Vertrag macht uns Angst und wirft zahlreiche Fragen auf. Zur Veranschaulichung meiner Worte möchte ich auf ein besonderes Problem hinweisen. Die im Ausland lebenden Palästinenser erhalten an den Jordanbrücken sozusagen freie Einreise in ganz Israel. Heute besuchen ungefähr 80'000 Palästinenser jährlich ihre Familien in Israel und reisen am Ende des Sommers wieder ab. Wer wird aber nach dem Inkrafttreten der Abkommen ihre Abreise kontrollieren ? Können wir der palästinensischen Polizei wirklich vertrauen, dass sie für ihre Ausreise sorgt ? Der Umfang der autonomen Region von Jericho und ihre Grenzen wurden noch nicht endgültig festgelegt. Es scheint jedoch, dass die Palästinenser den Zugang zum Toten Meer erhalten. Dies bedeutet in Wirklichkeit, dass die palästinensische Polizei die Hauptstrasse zwischen Massada, Ein Gedi und Jerusalem kontrolliert und sie jederzeit blockieren kann. In den Gebieten selbst hat sich gegenwärtig noch nichts verändert, doch die Zukunftsaussichten sind ungewiss und zugleich entsetzlich düster.


Wenn Sie die derzeitige Situation mit den schwärzesten Tagen der Intifada vergleichen, glauben Sie, dass die Aussichten heute trotz allem besser sind ?

Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Die Situation ist viel hoffnungsloser. Heute überlegen Sie es sich zweimal, bevor Sie sich ins Auto setzen. Es ist etwas ganz anderes, in einem Auto mit Spezialscheiben zum Schutz gegen Steinwürfe zu fahren, als hinter jeder Kurve damit zu rechnen, ins Feuer eines Maschinengewehrs zu geraten !


Die Regierung kennt die Situation ebensogut wie Sie und weiss, dass eine schwangere Frau und ein ungeborenes Baby keine "Feinde des Friedens" sind. Wie steht sie diesem Blutvergiessen mit jüdischen Opfern gegenüber ?

Es mag absurd scheinen, aber unsere Regierung ist der Ansicht, dies sei der Preis, den man für den Frieden zu zahlen habe.


Besteht heute irgendein Grund zum Optimismus ?

Ja, doch man muss sich bewusst sein, dass unsere Lage sehr schwierig ist und dass die Regierung uns sozusagen an den Ausgangspunkt zurückgeworfen hat. Viele Errungenschaften wurden uns wieder genommen, wie beispielsweise Wohnungsbaudarlehen, administrative Erleichterungen usw. Selbstverständlich ermutigt und freut uns auch die Tatsache, dass unsere Bevölkerung nach dem 13. September 1993 um fast 20% gestiegen ist, trotz aller oben beschriebenen Schwierigkeiten und Ungewissheiten. Wir gehen aller Wahrscheinlichkeit nach einer sehr schwierigen Zukunft und einer Zunahme von Terroranschlägen entgegen, doch ich bin zuversichtlich und überzeugt, dass wir die notwendige Kraft finden werden, um unsere Sache erfolgreich zu verteidigen.



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