Ets Haim Livraria Montezinos
Von Roland S. Süssmann
Die Geschichte der portugiesischen jüdischen Gemeinschaft von Amsterdam ist allgemein bekannt, weniger gut kennt man sicherlich die wunderbare Sammlung von Manuskripten und gedruckten Büchern ihrer Bibliothek ETS HAIM LIVRARIA MONTEZINOS, die sich im herrlichen und eindrücklichen Gebäudekomplex der portugiesischen Synagoge namens Esnoga befindet und aus dem Jahr 1675 stammt. Die Sammlung steht für vier Jahrhunderte des rituellen, religiösen und geistlichen Lebens der sephardischen Gemeinde von Amsterdam.
Wir freuen uns heute ganz besonders, Ihnen die weltweit älteste jüdische Bibliothek zu präsentieren, die tatsächlich noch benutzt wird. Sie ist zwar für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, kann aber von Forschern, Studierenden, Doktoranden bei der Vorbereitung ihrer Dissertation und ausnahmsweise für die Lektüre eines speziellen Buchs oder Dokuments konsultiert werden.
Bevor wir auf die unglaublichen Schätze dieser Sammlung eingehen, muss daran erinnert werden, dass sie während des Kriegs von den Deutschen gestohlen, später von den amerikanischen Streitkräften wieder gefunden und nach Amsterdam zurück gebracht wurde, wo sie 1946 fast vollständig ihren ursprünglichen Besitzern übergeben wurde.
Die Haupttätigkeit der Bibliothek besteht vor allem aus der Restaurierung der alten Bücher, wobei gegenwärtig auch ein bedeutendes Projekt betreffend die Konservierung der kostbarsten Objekte der Bibliothek im Gange ist. Bis heute wurden bereits 560 Manuskripte und 800 Druckerzeugnisse behandelt. In Vorbereitung ist ebenfalls ein elektronischer Katalog, eine unglaublich aufwändige Arbeit.
Ets Haim wurde als Bibliothek des Rabbinerseminars von Amsterdam ins Leben gerufen, aus diesem Grund sind die meisten Werke religiöser Natur. Doch sowohl die Synagoge als auch die Bibliothek haben seit der Niederlassung der sephardischen Gemeinschaft in den Niederlanden zahlreiche Schenkungen erhalten. Die meisten dieser Kultgegenstände sind sehr schön oder reich verziert, da sie zwar der rituellen Handlung, für die sie bestimmt waren, dienen, diese aber auch verschönern sollten (Hidur Mitzwah). Wie dies viele Monogramme und Familienwappen auf den Druckerzeugnissen, Textilien oder Silberwaren belegen, war auch die gesellschaftliche Bedeutung dieser Objekte nicht ganz unwichtig. Herausragende Ereignisse, wie die Einweihung der Synagoge oder die Thronbesteigung eines neuen Königs, stellten auch Gelegenheiten dar, der Esnoga und der Ets Haim kostbare Präsente zu überreichen. Den Reichtum dieser Bibliothek kann man am besten beschreiben, indem man darauf hinweist, dass das älteste Manuskript aus dem Jahr 1282 stammt: es handelt sich um eine Kopie einer Mischneh Torah von Maimonides, die in Narbonne von einem anonymen Kopisten erstellt wurde. Das älteste Druckerzeugnis ist eine Inkunabel von 1484 aus Soncino in Italien.
Zahlreiche Werke erinnern an die vielfältige Geschichte des jüdischen Buchdrucks in Amsterdam, dessen Produkte, nämlich religiöse Bücher, sich heute im Besitz der berühmtesten jüdischen und nationalen Bibliotheken auf der ganzen Welt befinden.
Ein besonderer Aspekt dieser Sammlung besteht darin, dass sie auch Gegenstände enthält, die seltsamerweise mit nichtjüdischen Symbolen verziert sind, wie zum Beispiel der Pelikan. So erscheint auch der Phönix auf dem Emblem der portugiesischen Gemeinde. Das jüdische Verbot in Bezug auf die Reproduktion von Bildnissen hat nämlich die sephardische Gemeinschaft nicht daran gehindert, ihre Kultgegenstände und Druckerzeugnisse mit biblischen Themen, Blumen und in gewissen Fällen gar mit Szenen aus der Mythologie zu verzieren.
Abschliessend kann betont werden, dass diese sehr seltenen Sammlungen, deren grosser Teil bei den Kultgegenständen noch heute in der Esnoga verwendet wird, die Kultur und die geistlichen Errungenschaften der iberischen jüdischen Gemeinschaft wunderbar veranschaulichen, die nach ihrer Vertreibung in Holland eine wunderbare Renaissance erlebte.