Von Baku in die Knesset
Von Roland S. Süssmann
Die Überschrift dieses Artikels fasst in knappen Worten den Werdegang von JOSEPH SHAGAL zusammen, dem Abgeordneten der Partei Israel Beitenu von Avigdor Lieberman, wo er an vierter Position auf der Liste steht. Heute möchten wir Ihnen kurz seine Person und seine Geschichte vorstellen. Joseph Shagal, geboren am 25. März 1949 in Baku, schloss sein Geschichtsstudium an der Universität von Baku mit einem Lizenziat ab und liess sich am 12. August 1990 mit seiner Familie in Israel nieder, wo er in dem Beruf weiterarbeitete, den er bereits in Aserbaidschan ausübte, nämlich als Journalist für die schriftlichen und elektronischen Medien. Shagal ist bisher als erster und einziger aserbaidschanischer Einwanderer in Israel zum Abgeordneten gewählt geworden, obwohl fast 100\'000 Juden aserbaidschanischer Abstammung im jüdischen Staat leben.

Weshalb sind Sie nach Israel gezogen?

Ihre Frage kommt mir zwar merkwürdig vor, ist aber durchaus berechtigt. Als nämlich die Russen aus Aserbaidschan auszogen, standen meine Frau und ich vor der Wahl, uns in Europa oder gar in den USA niederzulassen. Wir hatten beschlossen, dass wir nicht mehr als Teil einer Minderheit leben, sondern uns einer Gesellschaft anschliessen wollten, an der wir effizienter und konkreter mitarbeiten konnten. Wir waren auch der Ansicht, das Leben in Israel würde unseren Kindern bessere Zukunftschancen, mehr Vorteile und zahlreiche positive Aspekte bieten. Damals dachte natürlich keiner von uns beiden daran, dass ich in die Politik einsteigen würde.

Wie erleben Sie Ihre Integration in Israel?

Darf ich Ihnen dazu eine kleine Anekdote erzählen? Vor einiger Zeit reiste ich nach Aserbaidschan und wurde dort von Oqtay S. Asadov empfangen, dem Präsidenten des Milli Mejlis (Nationalversammlung). Ich war in Begleitung des israelischen Botschafters, S.E. Arthur Lenk. Als wir uns an den Konferenztisch setzen wollten, sagte Asadov im Scherz: «Herr Shagal, Sie sind ja Aseri, aber gleichzeitig auch Abgeordneter in Israel. Auf welcher Seite des Tisches möchten Sie denn Platz nehmen?». Ich zögerte keine Sekunde und sagte, während ich mich direkt neben unseren Botschafter setzte: «Ich werde mein Herkunftsland nie vergessen, doch mein Platz ist heute in Israel». Natürlich besitze ich immer noch sehr enge Verbindungen zu Aserbaidschan, schon nur deswegen, weil ein grosser Teil unserer Familie seine letzte Ruhestätte auf dem jüdischen Friedhof von Baku gefunden hat. Doch einige unserer Toten liegen auch hier. Ich habe Aserbaidschan nicht aus meinem Herzen und aus meinem Kopf verbannt, weil ich ausgewandert bin, bestimmt nicht. Wir leben ja nicht mit denjenigen, die bereits von uns gegangen sind, auch wenn die Erinnerung an sie für immer in unseren Herzen eingeschlossen ist. Ich bin unter den Lebenden tätig, bei meinem Volk und meiner Familie in Israel, das heute zu meiner Heimat und zu meinem Vaterland geworden ist. Ich leite aber die Vereinigung für die Freundschaft zwischen Israel und Aserbaidschan und habe vor kurzem einen Zusammenschluss der Juden gegründet, die aus den kaukasischen Ländern stammen, mit dem Ziel, die Beziehungen zwischen diesen Staaten und Israel zu vertiefen. Ich bin überzeugt, dass ich neben meiner Tätigkeit an der Knesset eine wichtige und konstruktive Rolle beim Ausbau der Kontakte zwischen den beiden Ländern spielen kann, die mir lieb und teuer sind. Was unsere Integration in Israel betrifft, kann ich nur betonen, wie gut wir nach 16 Jahren hier in das israelische Leben integriert sind. Unsere Eingliederung fand übrigens unter ganz besonderen Umständen statt. Wir wohnten in den ersten zwei Jahren in der orthodoxen Stadt Bne Berak. Alle meine Freunde meinten: «Wie hältst du es aus in dieser strengen, engstirnigen, orthodoxen, wenn nicht gar fortschrittsfeindlichen Umgebung?». Ich kann nur bestätigen, dass kein Nachbar je versucht hat, mir seine Lebensweise aufzuzwingen oder mich in irgendeiner Art zu beeinflussen. Ich legte meinerseits grossen Respekt an den Tag, stieg am Schabbat nicht vor ihren Augen ins Auto und bemühte mich nach Kräften, in respektvoller Harmonie mit ihnen zu leben. Ich entdeckte eine sympathische, tolerante Welt, in der gegenseitige Unterstützung kein leeres Wort ist. Bei jeder Gelegenheit fragten mich meine Nachbarn, wie sie uns helfen oder uns einen Dienst erweisen könnten. Unsere Integration in Israel fand demnach unter optimalen Bedingungen statt, so dass wir uns später leichter an die Anforderungen der für uns neuen Gesellschaft anpassen konnten, für die wir uns aus freien Stücken entschlossen hatten.

Woran denken Sie genau, wenn Sie von der Verbesserung der Beziehungen zwischen Jerusalem und Baku sprechen?

Heute ist Aserbaidschan für Israel sehr wichtig geworden, schon nur wegen seiner strategisch wichtigen Lage und seiner Nähe zu Iran. Andererseits sind wir im Nahen Osten das einzige Land, das der Türkei strategisch nahe steht, die immer mehr Bedeutung erlangt. Dazu muss man wissen, dass die Türkei für Aserbaidschan das ist, was die USA für Israel darstellen. Ich werde Ihnen ein Beispiel dafür geben, auf welche Weise ich dazu beitragen kann, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu vertiefen, insbesondere bei der Zusammenarbeit im Energiesektor. Aserbaidschan besitzt, wie Sie wissen, eine Ölpipeline, mit der das Rohöl zum türkischen Endpunkt Ceyhan befördert wird, ung. 500 km von der iranischen Küste entfernt. Im Juli 2006 reiste unser Energieminister Benjamin Ben Eliezer nach Aserbaidschan, um an einer internationalen Energiemesse teilzunehmen, an die ich ihn hatte einladen lassen. Als Präsident Aliyev erfuhr, dass er in Baku weilte, lud er ihn zu einem zweistündigen Gespräch unter vier Augen ein. Etwas später besuchte ich in Ankara einen alten Freund, der heute aserbaidschanischer Botschafter in der Türkei ist, und kehrte danach nach Baku zurück, um die Projekte voranzutreiben, die Präsident Aliyev und unser Minister diskutiert hatten.

Eine Zusammenarbeit zwischen Israel und Aserbaidschan scheint auf diesem Niveau wirklich interessant. Besteht in Ihren Augen aber nicht die Gefahr, dass eine durch Iran angezettelte islamische Revolution in Aserbaidschan Fuss fasst und die gesamte Kooperation zwischen Jerusalem und Baku zunichte macht?

Man muss schon begreifen, was in den letzten Jahren in Aserbaidschan passiert ist. Als die Sowjetunion auseinanderbrach, haben nicht die Juden das Land verlassen, sondern viele Wissenschaftler und Intellektuelle aller Ausrichtungen und Färbungen. Die frei gewordenen Stellen wurden dann von Leuten aus der Provinz eingenommen, deren Ausbildung und Kultur nicht besonders hoch entwickelt waren. Heute ist übrigens in Baku ein intensives politisches Kräftemessen zwischen beiden Strömungen zu beobachten, doch im Moment hält der Präsident die Zügel fest in der Hand, so dass meiner Meinung nach die Möglichkeit einer islamischen Revolution doch ziemlich eingeschränkt ist. Zudem weiss ich, dass Iran viel Geld und Energie investiert, um seine Interessen und Anliegen in Aserbaidschan zu verteidigen. Als Israeli und ehemaliger Aseri wünsche ich mir natürlich keine derartige Revolution in Aserbaidschan, die allen nur Unglück bringen würde. Doch wie diese Entwicklung aussehen wird, hängt nicht nur von Aserbaidschan ab, sondern vor allem auch von den Ereignissen zwischen den USA und Iran, sowie zwischen Israel und Iran. Die geopolitische Situation ist sehr komplex, und ich glaube, dass Europa in dieser Angelegenheit ein gewichtiges Wort mitzureden hat.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Warum sind Sie in die Politik gegangen?

Ich war jahrelang in russischer Sprache im israelischen Journalismus und im Fernsehen tätig. Eines Tages kam Avigdor Liebermann zu mir und sagte: «Du bist zwar sehr bekannt in der russischsprachigen Welt, doch kannst du wirklich etwas bewegen? Glaubst du, dass du mit deinen Kommentaren tatsächlich die Ereignisse oder die Menschen beeinflussen kannst? Im Grunde kannst du das nicht abschätzen und auch in keiner Weise messen». Er hat mich davon überzeugt, dass ich mich als Abgeordneter ernsthaft für das Wohlergehen Israels einsetzen und einige Projekte vorantreiben könnte. In diesem Sinne habe ich zugestimmt? und bin gewählt worden.