Der Jüdische Widerstand
Von Roland S. Süssmann
Die Geschichte der Schoah in der Slowakei lässt sich in drei grosse Themenbereiche unterteilen: die Deportationen, die Zwangsarbeit (ziviler und militärischer Art) und die Rolle der jüdischen Partisanen in der slowakischen Revolte gegen die Deutschen und die Regierung von Jozef Tiso. Die Komplexität der historischen Fakten wird durch die geografische Lage dieses kleinen Landes noch gesteigert.
Ein rascher Blick auf die Karte der Slowakei lässt ahnen, in welcher Lage sich die jüdische Gemeinschaft während der Schoah befand. Das Land besitzt nämlich eine gemeinsame Grenze zu Österreich, Tschechien, Polen, der Ukraine und Ungarn, alles Nationen, in denen die Deutschen die Juden mit der aktiven Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu Hunderttausenden ermordeten. Die Regierungschefs des damals in Bratislava existierenden Marionettenstaates, der völlig unter der Kontrolle Deutschlands stand, waren zum Schluss gekommen, die Schaffung von Konzentrations- und Arbeitslagern stelle eine tolle Lösung dar, um die jüdische Frage in der Slowakei teilweise zu lösen. Bald einmal wurden die 80'000 im Land lebenden Juden zu «Feinden des Staates und der Nation» erklärt. Das System der Konzentrationslager wurde sozusagen umgehend als allgemein akzeptierte praktische Politik angenommen, um diese Art von «Feinden» zu eliminieren. Dieses Vorgehen ist typisch für Diktaturen, die verlauten lassen, Arbeit sei «ein modernes Mittel zur Erreichung der persönlichen Freiheit», was die Entstehung des berüchtigten «Arbeit macht frei» erklärt. In Wirklichkeit handelt es sich um die hinterhältigste Art der Verfolgung. So wurde den slowakischen Juden allmählich ihre politischen, wirtschaftlichen, sozialen, zivilen Rechte und letztendlich die grundlegendsten Menschenrechte entzogen. Der Gedanke, Konzentrationslager für die Juden zu schaffen, stammte von der Elite des Landes, die davon ausging, dass die Juden als ihre grössten Feinde von der restlichen slowakischen Bevölkerung getrennt und in Arbeitslagern interniert werden mussten. Diese Ideen entsprachen der populistischen und antisemitischen Partei Hlinkas (HSSP-Hlinkova slovnska l'udova strans - HSL'S), die lange vor der Gründung des slowakischen Staates auf ihrer Plattform verkündet hatte: «Die Zwangsarbeit bestraft die Juden». Die ersten Arbeitslager für Juden wurden 1939 von der Armee eingerichtet. Gemäss einem Befehl vom 21. Juni 1939 mussten alle jüdischen Soldaten ihre Armee-Einheiten verlassen und in die Sondereinheiten für Zwangsarbeit eintreten. Mit der Zeit wurden in der Slowakei drei Lager gebaut, und zwar in Novaky, Sered und Vyhne. Diese Lager funktionierten parallel zu den Deportationen, und am 1. Januar 1943 waren 2'574 Juden dort interniert. Im Gegensatz zur Abkommandierung in die Arbeitsbrigaden der Armee stellte die Internierung in ein solches Lager keinen Schutz gegen die Deportation dar. Darüber hinaus ist es ein interessanter Fakt, dass die Produktionskapazität der verschiedenen Werkstätten in diesen Lagern ab 1943 ständig anstieg und einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaft des slowakischen Staates leistete. Das Lager war eine Art kleines, rentables Unternehmen geworden, und im Juli desselben Jahres wurden in Novaky über eine halbe Million slowakische Kronen erwirtschaftet, was damals eine beträchtliche Summe war. Die Lager, gut organisierte Produktionseinheiten, lieferten den diversen Ministerien (Armee, Gendarmerie, Zoll, Transport usw.) die notwendigen Güter zu einem äusserst geringen Aufwand. Diese ausserordentliche Produktivität beruhte ganz einfach auf der Tatsache, dass die Gefangenen, um wegen der Untätigkeit nicht verrückt zu werden, so viel Beschäftigung wie möglich brauchten.
In diesem KZ-Milieu unternahm die jüdische Widerstandsbewegung ihre ersten Schritte und organisierte sich. In Bratislava sind wir mit einem Mann zusammengetroffen, der zunächst in ein Lager gesteckt worden war, um dort als Lehrer zu arbeiten, und später einer der Kommandanten des jüdischen Widerstands wurde, nämlich mit ALEXANDER BACHNAR. Vor 85 Jahren in Topolcani, einer Stadt mit 8'500 Einwohnern, darunter 2'900 Juden, geboren, erfreut sich Bachnar immer noch bester Gesundheit; er ist weiterhin aktiv und bereit darüber zu berichten, wie er als Jude die Erschütterungen der jüngeren slowakischen Geschichte erlebt und überlebt hat. Sein Dasein war voller dramatischer Ereignisse, aber wir haben ihn gebeten, uns hier vor allem seine Tätigkeit während des Zweiten Weltkriegs und sein Leben in jener Zeit zusammenzufassen.

Können Sie uns kurz einige markante Fakten in Bezug auf die Rolle nennen, welche die jüdische Widerstandsbewegung in der Slowakei während des Zweiten Weltkriegs gespielt hat?

Zunächst muss man wissen, dass die Juden ganz allgemein im slowakischen Widerstand eine bedeutende Rolle spielten. 1939 existierte bereits eine antifaschistische Gruppe, die zum grössten Teil aus Juden bestand. Ab 1942 begann eine Partisanengruppe im Osten der Slowakei mit ihrer Tätigkeit, auch deren Mitglieder waren meist jüdisch. Zahlreiche Juden hatten sich diesen Gruppen aus dem simplen Grund angeschlossen, dass sie aus ihren Wohnungen verjagt worden waren und kein Zuhause mehr besassen. Ich nutze diese Gelegenheit um daran zu erinnern, dass die Deutschen sich erst 1944 effektiv in der Slowakei niederliessen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren deutsche «Berater» unter der Leitung eines Stellvertreters von Eichmann, Obersturmbannführer Dieter Wisliceny, auf allen Stufen der offiziell unabhängigen slowakischen Regierung tätig. Es muss allerdings betont werden, dass alle Deportationen von den Deutschen organisiert, aber von den Slowaken selbst ausgeführt wurden.
Ich persönlich gehörte dem berühmten 6. Bataillon an, wobei man mit diesem Euphemismus eine Truppe von Sklaven bezeichnete, die man in Uniformen gesteckt hatte. Ich möchte kurz daran erinnern, dass das Arbeitskorps 1941 geschaffen wurde. Es bestand aus zwei Einheiten, einer östlichen und einer westlichen, 6 Bataillonen und 24 Arbeitstruppen. Die Zigeuner und Juden wurden in eine Arbeitstruppe in der östlichen Gruppe eingewiesen, die eben die Bezeichnung 6. Bataillon trug und in drei Sektionen aufgeteilt war: Juden, Zigeuner und «Asoziale», eigentlich Kriminelle. Die Juden trugen aber nicht dieselbe Uniform wie alle anderen, sie hatten abgetragene und abgewetzte alte Kleider bekommen, die man blau eingefärbt hatte. Die Kommandanten und die anderen slowakischen Soldaten durften keinen Kontakt zu uns haben, wir wurden mit allen Mitteln isoliert. Aufgrund der Umsetzung der judenfeindlichen Gesetze war die jüdische Sektion die grösste, da wir im Mai 1942 1'062 Juden umfassten gegenüber 263 Zigeunern. Zu Beginn befand sich das Lager in der Nähe von Vranov, doch es wurde regelmässig verlegt, je mehr die Front vorrückte. Irgendwann wurden wir über das ganze Land verteilt, um Quartiere zu bauen, Kanalisationsarbeiten an der Donau durchzuführen usw. Dieses Bataillon umfasste zahlreiche Kommunisten und Zionisten, vor allem Mitglieder des Haschomer Hazair und des Maccabi Hazair, die sofort grosse Anstrengungen unternahmen, um den Widerstand vorzubereiten. Sobald die Deportationen begannen, beschlossen die jungen, rund 20-jährigen Juden, die in den Arbeitsbataillons Dienst taten, sich nicht widerstandslos deportieren zu lassen. Wie bereits erwähnt, bestand die Zwangsarbeit eigentlich aus zwei Kategorien, einer militärischen mit den Arbeitsbataillons wie dem unsrigen, und einer anderen, zivilen, in welche die Juden oft vor einer Deportation integriert wurden. Als die Deportationen abgeschlossen waren, d.h. am Tag nach Jom Kippur 1942, wurde unser Bataillon aufgelöst und wir kamen in die so genannten zivilen Lager. Ich meinerseits wurde nach Novaky geschickt, wo wir über Schwarzgeld von der Lagerleitung und bestimmten jüdischen Organisationen verfügten. Wir verwendeten diese Mittel, um für die Partisanen und sogar die slowakischen Soldaten Waffen zu kaufen, die nicht zögerten, ihre eigenen Waffen zu verkaufen. Gleichzeitig führten wir nachts richtige militärische Übungen durch, um uns mit der Handhabung der Waffen vertraut zu machen. Am 29. August 1944 brach die nationale Revolte der Slowaken aus. Da wir gut vorbereitet waren, übernahmen wir in unserem Lager die Befehlsgewalt. Unsere Wärter, Mitglieder der slowakischen Gendarmerie, schlossen sich der Revolte grösstenteils an. Bei dieser Gelegenheit hielt der Lagerkommandant eine Rede: «Junge Leute (wir waren keine Sklaven mehr), ich wusste, dass ihr Waffen besitzt? doch ich wusste nicht, dass es so viele waren!». Er war ein Mann, der sich im Grossen und Ganzen den Juden gegenüber korrekt verhalten hatte, und so habe ich später zu seinen Gunsten ausgesagt. Wir bildeten eine Kampfeinheit und wurden vom ersten Tag an in die Elitetruppen der slowakischen Armee integriert. Wir bekämpften die Deutschen und viele unserer Kameraden fielen auf dem Schlachtfeld. Wir waren die einzige Gruppe von Juden, die als kompakte Einheit der Armee angehörten. In den anderen Lagern schlossen sich nur Einzelkämpfer den slowakischen Aufständischen an. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass von den 250 Juden unserer Gruppe 38 nicht überlebt haben. Dies ist eine verhältnismässig hohe Zahl und ich denke nicht, dass es innerhalb der slowakischen Widerstandsarmee oder bei den Partisanen eine andere Einheit gab, die einen ähnlich hohen Preis an Menschenleben bezahlt hat. Gemäss dem jüdisch-slowakischen Historiker Ladislas Lipcher, der ein Buch zu diesem Thema verfasste, nahmen rund 1'500 jüdische Freiwillige am Widerstand und an der Revolte teil. Mein Bericht über die Vergangenheit wäre unvollständig, wenn ich die entscheidende Rolle der jüdischen Ärzte auslassen würde. Es gab keine einzige Partisanengruppe, keine Einheit der Revolutionsarmee, die nicht über ihren jüdischen Arzt verfügte. Insgesamt waren ca. 120 jüdische Ärzte eingestellt worden. Im Rahmen der Deportationspolitik der Slowaken waren die als «nützlich» geltenden Personen nicht deportiert worden, und die Mediziner gehörten natürlich dieser Kategorie an. Eine andere Berufsgruppe erfüllte ebenfalls eine wichtige Funktion, nämlich die jüdischen Ingenieure. Diese waren aktiv am Entwurf und an der Konstruktion eines gepanzerten Zuges und eines Flughafens beteiligt.

Welche Aktionen führte Ihre Einheit während des Krieges aus?

Ich erhielt das Kommando über einen Sondertrupp mit 30 Leuten. Unsere Einheit wurde dann zweigeteilt, der grössere Teil wurde in eine Gruppe von russischen Partisanen integriert, während meine Kompanie in eine andere Region des Landes geschickt wurde, 80 km von Bratislava entfernt, um dort einem sowjetischen Kommandanten unterstellt zu werden. Wir waren an den letzten Kämpfen gegen Deutschland beteiligt und ich habe glücklicherweise keinen einzigen meiner Männer verloren.

Können Sie kurz über die Lebensbedingungen im Lager berichten?

Ich werde Ihnen von Novaky erzählen, das zu Beginn kein Arbeitslager war, sondern ein Konzentrationslager, von dem aus fünf oder sechs Transporte mit insgesamt 5'900 Juden in die Vernichtungslager gingen; einige dieser Menschen wurden mit dem letzten Konvoi deportiert, der an Jom Kippur 1942 stattfand. Obwohl wir in übervölkerten Lagern und unter schrecklichen Bedingungen und extrem harter Disziplin lebten, muss ich zugeben, dass die Monotonie am schwersten zu ertragen war. Die Juden wurden von einem einzigen Wunsch angetrieben: «gut arbeiten, um zu überleben und im Lager zu bleiben». Wie Sie wissen, können wir Juden uns nicht damit begnügen, nur handwerkliche Arbeit auszuführen, auch wenn 17 verschiedene Berufe innerhalb des Lagers ausgeübt wurden. Bei uns muss auch das Gehirn aktiv sein. Um den Anschein eines «normalen» Lebens aufrecht zu erhalten, veranstalteten wir kulturelle, bildende und sportliche Aktivitäten. Am Abend versuchten sich viele Menschen in ihrer freien Zeit weiterzubilden, und so gab es Kurse in slowakischer Sprache, in Literatur, Geschichte und anderen Fächern. Ich war ja nicht deportiert worden, weil ich Schullehrer war und als solcher als «nützlich» galt. In meiner Eigenschaft als Lehrer hatte mich das Erziehungsministerium im April 1942 in eine Schule in einem Arbeitslager geschickt, die ausgezeichnet war und 120 Schüler umfasste! Dort wirkte ich zunächst als Lehrer und übernahm später die Schulleitung.

Bei Kriegsende hatten Sie in der Widerstandsbewegung gedient, hatten unter den judenfeindlichen Gesetzen gelitten und die Deportationen miterlebt. Darüber hinaus waren Sie bewaffnet. Haben Sie die Gelegenheit gepackt, die deportierten Juden zu rächen, indem Sie die für ihren Tod Verantwortlichen oder diejenigen ermordeten, die sie in die Todeszüge gesteckt hatten?

Dieser Gedanke war uns völlig fremd, wir hegten auch keine Rachegefühle. Wir wollten nicht so werden wie unsere Schlächter, dies hätte niemandem etwas genützt und hätte allen Werten widersprochen, für die wir so gekämpft hatten.

Setzen Sie diesen Kampf noch heute fort?

Ja, denn zwischen 1989 und 1995 war ich Generalsekretär des nationalen antifaschistischen Komitees. In dieser Eigenschaft setzte ich mich dafür ein, dass der Gedanke des Kampfes gegen jede Form von Faschismus nicht nur den Schülern vermittelt wird, sondern vor allem den Lehrern, für die ich zahlreiche Seminare organisierte. Auch heute noch erzähle ich aus meinem Leben, berichte als Augenzeuge und vermittle das, was wir aus dem Erlebten gelernt haben. Die wichtigste Aufgabe besteht aus der Erinnerung daran, dass die Juden in der Slowakei aktiv mitgekämpft haben. Vor der Revolution durften wir nichts unternehmen, doch sobald wir unsere Waffen verwenden konnten, haben wir keinen Augenblick gezögert. Man muss wissen, dass Widerstandskämpfer aus 29 Nationen am slowakischen Aufstand teilnahmen, dass eine davon die jüdische war und dass unter ihnen die verhältnismässig höchste Zahl von Opfern zu finden ist. Heute setze ich alles daran, damit unsere damaligen Anstrengungen als Vorbild dienen und die Jugend inspirieren. Ich muss dies tun, weil ich Jude bin. Ich bin dies jenen schuldig, die an meiner Seite gekämpft und ihr Leben gelassen haben. Dieses Vorgehen ist wesentlich gesünder, effizienter und konstruktiver, als seine Rachegefühle physisch auszuleben? Im Grunde ist dies die beste Rache!


Während und nach dem slowakischen Aufstand haben die deutschen Einsatztruppen tausende Juden umgebracht. Dieser wurde am 28. Oktober 1944 beendet und von diesem Datum an bis im März 1945 wurden 13'500 Juden nach Auschwitz, Sachsenhausen und Theresienstadt «als Strafe wegen ihrer Beteiligung am Aufstand» deportiert. Am Ende des Krieges lebten noch 4-5000 Juden in der Slowakei, im Versteck oder mit falschen Arierpapieren. Im Ganzen wurden in der Slowakei 100'000 Juden deportiert. Ungefähr 25'000 überlebten, der Grossteil davon hat das Land verlassen und sich in Israel niedergelassen.