Die wirtschaftliche Revolution in Israel
Von Roland S. Süssmann
Der berühmte jüdisch-amerikanische Komiker Jacky Mason, bekannt für seinen sowohl beissenden, aber auch realitätsnahen Humor, sagt immer, dass man sich nur dadurch vergewissern könne, ob ein Wirtschaftssystem funktioniert, «indem man die Politiker, die Abgeordneten und die Beamten ausschliesslich auf Kommission bezahlt... und zwar ohne festes Gehalt!» Nun weiss aber jeder, der sich ein Minimum in der Wirtschaft auskennt, dass ein derartiger Vorschlag auf den ersten Blick vielleicht sinnvoll erscheint, letztendlich aber nicht realistisch ist, da keine Verwaltung so funktionieren kann. Ein wenig im Sinne dieser Idee des Komikers hat nun aber der umtriebige und hochintelligente Finanzminister des Staates Israel, S.E. BENJAMIN NETANYAHU, seine revolutionäre Wirtschaftsreform lanciert.

Um uns die näheren Umstände seiner Initiative zu erklären, empfing uns der Minister während fast einer Stunde zu einem Exklusivinterview in Jerusalem, das wir in den wesentlichen Punkten hier zusammenfassen.

Sie haben vor kurzem ein sehr ehrgeiziges Programm im Hinblick auf Wirtschaftsreformen gestartet. Welche Motive stecken dahinter?

Wir versuchen einen grundlegenden Wandel zu bewirken, indem wir die israelische Wirtschaft und Gesellschaft zu einem freien Markt hin führen. Es ist erstaunlich zu sehen, dass das jüdische Volk, das überall auf der Welt erfolgreiche Geschäfte abschliesst, im eigenen Land hinterherhinkt. Die Schuld daran liegt einzig und allein bei einem starren Wirtschaftssystem, das unter zahlreichen Überresten einer überholten sozialistischen Doktrin leidet. Die einzige Möglichkeit, über die wir verfügen, um Israel Aufschwung und Wohlstand zu garantieren, besteht darin, den hier lebenden Talenten zum Durchbruch zu verhelfen. Dies kann nur dann Realität werden, wenn wir unsere Wirtschaft rasch und in allen Bereichen vollständig liberalisieren.

Aus welchen wesentlichen Punkten und Zielen besteht Ihr Ansatz?

Unser erstes Ziel ist es, die Aktivität der öffentlichen Hand zu verringern und den Privatsektor zu erweitern. Zur Veranschaulichung meiner Worte möchte ich daran erinnern, dass die öffentliche Hand 55 % des BIP (Bruttoinlandsprodukt) verkörpert, während die Privatwirtschaft nur 45% ausmacht. Das ist, als ob ein Mann, der 45 kg wiegt, auf seinen Schultern ständig einen 55 kg schweren Menschen herumschleppen würde. Auf die Dauer ist das einfach nicht tragbar. Darüber hinaus wies alles darauf hin, dass die öffentliche Hand immer mehr an Bedeutung gewinnen und der Privatbereich, und mit ihm unsere gesamte Wirtschaft, zusammenbrechen würde. Noch vor wenigen Monaten waren wir um Haaresbreite von einer derartigen Entwicklung entfernt, denn wir gaben wesentlich mehr aus als wir einnahmen, die Ausgaben der Regierung waren enorm und bewirkten ein bodenloses Defizit. Um dieses Ungleichgewicht zu beheben mussten wir die Steuern erhöhen, was das Defizit noch vergrösserte, da die finanziellen Mittel über ein bestimmtes Besteuerungsniveau hinaus nur noch sehr langsam hereinfliessen. Daher mussten wir an den internationalen Börsen, an denen uns aber niemand auch nur einen Dollar leihen wollte, Darlehen aufnehmen. Wir waren folglich gezwungen, die Zinssätze auf dem lokalen Markt immer mehr heraufzusetzen und befanden uns plötzlich auf einem sehr rutschigen und äusserst gefährlichen Terrain, auf dem uns der rasche und vollständige Zusammenbruch unseres gesamten Wirtschaftssystems drohte. Da haben wir unser Programm der Budgetrestriktionen und vor allem der Gehaltsreduktionen auf Regierungsebene gestartet, da die Löhne in der Verwaltung um 2% gestiegen waren, während der Durchschnitt im Privatsektor landesweit in den letzten zwei Jahren um 8% gesunken war. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes erklärte sich die Histadruth (die nationale Gewerkschaft) mit einer Senkung der Löhne um zwei Milliarden Schekalim pro Jahr während einer Periode von zwei Jahren einverstanden. Dadurch entsteht nicht nur ein Präzedenzfall, dies vermittelt auch eine klare Botschaft in Bezug auf die Höchstbeträge, die der öffentliche Sektor verlangen... und erhalten kann. Der andere wichtige Punkt betrifft die Entscheidung, die automatischen Transfers von Mitteln für die Sozialhilfe einzustellen. Die Zahl der von dieser spontanen Unterstützung profitierenden Menschen war sprunghaft in die Höhe geschnellt: innerhalb von 12 Jahren war sie um 600% angestiegen, obwohl die Bevölkerung im selben Zeitabschnitt nur um 30% zugenommen hatte. Es war rentabler geworden, gar nicht zu arbeiten und sich an eine Sozialhilfestelle zu wenden, um dort staatliche Unterstützung zu erhalten. Gleichzeitig zählten wir 300’000 ausländische Arbeitnehmer. Die Situation beschränkte sich demzufolge auf diese dreifache Katastrophe: eine gewerkschaftlich ausgerichtete und durch unverhältnismässige Ausgaben künstlich aufgeblähte Regierung, eine beständige Zunahme eines Bevölkerungsteils, der nicht arbeitete, sondern auf Kosten der Steuerzahler lebte, und die viel zitierten 300’000 ausländischen Arbeitnehmer, welche die Arbeit verrichteten, die von unseren 300’000 Arbeitslosen hätte erledigt werden können! Dieser Zustand erwies sich natürlich als unhaltbar und wir haben daher Massnahmen gegen jeden einzelnen der erwähnten Punkte ergriffen. Wir haben ebenfalls die Steuern auf ausländische Arbeitnehmer erhöht und schwere Strafen gegen diejenigen eingeführt, die sie illegal beschäftigen. Ausserdem haben wir beschlossen, einige Monopole zu durchbrechen, und haben z.B. ein Gesetz zur Auflösung unseres grössten Unternehmens und unserer grössten Gewerkschaft, der Stromgesellschaft, verabschiedet. Gleichzeitig haben wir die Privatisierung von EL AL verwirklicht, die seit siebzehn Jahren angekündigt wurde und die wir nun innerhalb weniger Monate durchführten. Wir werden nun die Privatisierung der Bank Leumi und der Discount Bank in Angriff nehmen, die sich teilweise noch im Besitz des Staates befinden. Wir werden, in anderen Worten, die Konkurrenz ankurbeln, die Privatisierung fördern und Monopole aufbrechen. Ein weiterer wichtiger Aspekt unseres Programms besteht aus der unverzüglichen Senkung der Steuern. Es lag ein alter Reformplan vor, in dem eine schrittweise Herabsetzung des Steuersatzes auf das Einkommen vorgesehen war und der im Jahr 2008 vollständig umgesetzt werden sollte: wir haben diesen Übergang auf zwei Jahre komprimiert. In dieser Zeit zahlt in Israel niemand mehr über 49%, einschliesslich der Sozialabgaben und der Krankenkasse, was eigentlich immer noch zu viel ist, aber dem Steuerzahler die Möglichkeit gibt, den grössten Teil seines Einkommens zu behalten. Je nach Entwicklung des wirtschaftlichen Aufschwungs denke ich, dass wir die Steuern unter den Satz senken können, der von Präsident Reagan festgelegt worden war und der bei rund 23% liegt.

Ihr Plan ist nicht nur ehrgeizig, er entspricht einer eigentlichen wirtschaftlichen Revolution in Israel. Ein derartiges Unterfangen erfordert aber eine Phase der Einführung und Anpassung. Es herrscht der Eindruck vor, dass die Öffentlichkeit Sie einerseits nicht versteht und dass Sie andererseits nicht genügend Anstrengungen unternehmen, um zu erklären, dass letztendlich alle von diesen Neuerungen profitieren werden. Glauben Sie, dass Sie sich ausreichend darum bemühen, den Leuten Ihre Pläne zu erläutern?

Die Antwort lautet ja, doch man muss sich klar machen, dass wir uns in einer Situation befinden, in der man den Patienten während der Operation fragt, wie er sich fühlt. Er wird sich nicht nur über alle seine Schmerzen beklagen, er wird auch den Chirurgen ver- fluchen. Ich hatte ein wenig damit gerechnet, und zu meiner grossen Überraschung spielt es sich nicht genauso ab. Ich werde mir der Tatsache bewusst, dass eine Form des Respekts und ein Anflug von Verständnis für meine Wirtschaftspolitik vorhanden sind. Ein Beispiel kann meinen Worten vielleicht mehr Gewicht verleihen: das Problem der ledigen Mütter. Ich habe verlangt, dass sie deutlich weniger Unterstützung erhalten und arbeiten gehen. Zu Beginn haben die Medien ausführlich über ihre Demonstrationen berichtet, die Öffentlichkeit stand hinter ihnen. Mit der Zeit versiegten diese beiden Quellen der Unterstützung und heute versteht und akzeptiert der grösste Teil der Bevölkerung meinen Standpunkt. Die Grosszügigkeit der Sozialprogramme, die seit Beginn der 90er Jahre in Kraft waren, überstieg jedes Mass. Eine ledige Mutter mit zwei Kindern, die zwölf Stunden pro Woche arbeitete, erhielt eine Unterstützung, die den durchschnittlichen Lohn von 70% der Berufstätigen in Israel überstieg. Sie hatte absolut keinen Grund arbeiten zu gehen, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass diese Situation die Paare zu fiktiven Scheidungen veranlasste. Ich habe also ein neues System eingeführt, das fordert, dass unverheiratete Mütter mindestens halbtags arbeiten, bevor sie Sozialhilfe empfangen dürfen. Es war wichtig, diese Forderung zu stellen, um die Leute allmählich von der Idee des Goldesels mit den automatischen Unterstützungsleistungen abzubringen. In diesem Zusammenhang möchte ich hier daran erinnern, dass unser grosser Meister, der Rambam (Maimonides), uns lehrte, dass es zehn Ebenen der Wohltätigkeit gibt: die unterste ist die Spende, in der Mitte liegt das Darlehen und die höchste Stufe ist die Ermutigung eines Menschen zu arbeiten oder ihm eine Stelle zu verschaffen. Unsere Wirtschaftspolitik ist demnach fest in den Lehren der grossen Denker Israels verankert. Kurz, wir müssen uns von der Mentalität der Sozialhilfeempfänger verabschieden und sie durch eine Einstellung der Bemühung, sowie die Denkart, in der eine zentralisierte Regierung alles dirigiert und kontrolliert, durch einen Ansatz der freien Marktwirtschaft ersetzen. Die Finanzmärkte haben sehr positiv auf unsere neue Politik reagiert, was einer Bestätigung gleichkommt. Auf internationaler Ebene klang mir ein sehr positives Echo entgegen und ich habe erfahren, dass Israel als das Land gilt, das seine Reformen zu Gunsten einer freien Marktwirtschaft am aggressivsten durchführt, was weltweit sehr geschätzt wird.
Man muss sich bewusst sein, dass nicht beliebig viele Wege zum Erfolg führen. Ich glaube nicht, dass die Menschen, die für eine Verwaltung arbeiten, weniger Talent oder weniger Ehrgeiz besitzen als diejenigen in der Privatindustrie. Doch in einer Verwaltung gibt es kein System, das die Mitarbeiter bei ihrer Tätigkeit oder in der Herstellung irgendeines Produkts motiviert, während es im Privatsektor diesen Gedanken gibt - er wird allgemein «die Gewinnmotivation» genannt. Aus diesem Grund müssen wir so viele Funktionen des Staates wie möglich abschaffen und von der Regierung verlangen, dass sie uns erklärt, weshalb sie eine Abteilung oder eine Institution beibehalten möchte, und dass sie diese dann kontrolliert, verwaltet und betreibt. Sogar im Rahmen der Landesverteidigung könnten bestimmte Tätigkeiten ausgelagert werden. Es gibt demnach nur einen Weg zum Erfolg: man muss gemäss den Richtlinien der freien Marktwirtschaft handeln. Dies wurde in Singapur, Irland, Grossbritannien, Spanien und heute in Russland und Argentinien umgesetzt, wo die Steuern vor kurzem beträchtlich gesenkt wurden. Zum ersten Mal erleben die beiden letztgenannten Länder einen wirtschaftlichen Aufschwung. Unsere Hauptschwierigkeit liegt nicht darin, Gesetze zu verabschieden, sondern die Mentalität einer Bevölkerung zu verändern, die von einem Regime mit pseudo-sozialistischen Vorstellungen verwöhnt wurde. Man muss allen begreiflich machen, dass die einzige Möglichkeit des Erfolgs aus dem wirtschaftlichen Aufschwung besteht.
Dazu möchte ich auch betonen, dass unser Ansatz nicht nur ausländische Investoren anzieht. Die Zahlen beweisen, dass in den vergangenen vier Monaten die Israelis, die Milliarden in Grossbritannien und in die osteuropäischen Länder investiert hatten, nun damit begonnen haben, ihre Anlagen im Ausland zu verringern und ihr Vermögen wieder in Israel investieren. Einige Monate nach der Lancierung unserer wirtschaftlichen Revolution kann ich ohne zu zögern behaupten, dass die Wirtschaftsindikatoren zwar noch keine andauernde Schönwetterlage anzeigen, dass wir aber erste ermutigende Anzeichen eines Umschwungs erkennen.

Wir leben in einer Zeit, in der die Ideologie bei weitem nicht mehr der wichtigste Anreiz dafür darstellt, dass Juden der Diaspora den Rücken kehren und sich in Israel niederlassen. Die meisten von ihnen emigrieren nach Israel, weil sie in ihrem Herkunftsland mit ökonomischen Schwierigkeiten kämpfen. Sie haben nun einen grossen Teil der Vorteile aufgehoben, die der Staat den neuen Einwanderern anbot. War dies wirklich notwendig?

Wir standen kurz vor dem vollständigen wirtschaftlichen Zusammenbruch und waren daher zu drastischen Massnahmen gezwungen. Sobald es die Situation aber erlaubt, möchte ich wieder einige Vorteile für die neuen Immigranten einführen. Wenn unsere Reform endgültig umgesetzt wurde und Erfolg gezeitigt hat, wird Israel sowieso zu einem ganz anderen Staat als bisher. Es wird nicht mehr ein gewerkschaftlich denkender Staat sein mit Monopolen und hohen Steuern, sondern eine Nation, die über eine freie Marktwirtschaft mit einer minimalen Besteuerung verfügt. Wir planen ebenfalls ein ehrgeiziges Eisenbahnprogramm für das ganze Land, so dass sich neue Industriezweige auch in den Regionen niederlassen können, die heute schwer erreichbar sind, und die Transportdauer zu Gunsten einer effizienteren Arbeitsweise deutlich gesenkt wird. Die Verwirklichung dieses neuen Transportnetzwerks ist ein eindeutig wirksameres Mittel als die Verteilung von Prämien an Einzelpersonen, an Investoren oder Unternehmen.

Sie gehören der Regierung von Ariel Sharon an, der eine neue Verhandlungsrunde mit der PLO aufgenommen hat. Eine der Gesten, die den guten Willen Israels gegenüber den Arabern zeigt und im Rahmen der «Roadmap» gar nicht vorgesehen ist, besteht aus der Freilassung von Häftlingen. Sie haben diese Massnahme befürwortet. Weshalb ?

Für mich umfasst eine derartige Entscheidung drei Aspekte. Zunächst ist es ausgeschlossen, Gefangene frei zu lassen, die Blut an den Händen haben, das habe ich, als ich noch Premierminister war, nie getan und nie hätte ich eine derartige Verordnung unterstützt. Ausserdem muss jede Befreiung dieser Art mit einer Geste der Gegenseitigkeit seitens der Gegenpartei einhergehen. Und schliesslich muss jedes Dossier von unserem Sicherheitsdienst untersucht werden, der uns bestätigen muss, dass der frei gelassene Gefangene keine potentielle Gefahr für uns darstellt. In der Gruppe, die am 6. August 2003 befreit wurde, befand sich kein Mörder, und die palästinensische Autonomiebehörde hat sich als kooperativ erwiesen, natürlich nur in unzureichendem Ausmass, indem sie uns einige Informationen zukommen liess, dank denen wir präventiv gegen Terroranschläge vorgehen konnten. Sie hat jedoch bis heute rein gar nichts getan, um gewisse terroristische Organisationen und Infrastrukturen in den von ihr kontrollierten Zonen auffliegen zu lassen. Dazu muss man erwähnen, dass unser Premierminister nach Washington gereist ist und dort der amerikanischen Administration unseren guten Willen beteuerte, der natürlich den drei oben genannten Bedingungen unterworfen ist. Sharon hat insbesondere betont, dass unser «guter Wille» seine Grenzen hat und dass die palästinensische Behörde die Folgen zu tragen hat, falls sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommt, da sie ja dann ihr Wort, das sie den USA gegeben hat, bricht. Es wäre falsch zu glauben, dass Israel weiterhin Gefangene befreien wird, wenn der Vertragspartner seine Gegenleistungen nicht erbringt.

Was halten Sie von der Errichtung der Trennwand?

Es handelt sich hierbei um eine der Präventionsmassnahmen, die wir parallel zu anderen direkten Militäraktionen ergreifen müssen, da die palästinensische Autonomiebehörde ja nichts zur Bekämpfung des Terrors unternimmt. Wir können nicht tatenlos zusehen und abwarten, dass das nächste Attentat stattfindet. Man muss sich vor Augen führen, dass die Abschirmung den Transport der winzigsten Bombe verhindert, die weltweit existiert: die menschliche Bombe. Das ist das Mindeste, was wir zum Schutz unserer Mitbürger tun können, nämlich die Selbstmordattentäter daran hindern, ungehindert in unser Land zu spazieren. Ein ähnlicher Wall besteht übrigens seit geraumer Zeit in Gaza und aus dieser Region ist bisher keine einzige menschliche Bombe durchgedrungen.
Es stimmt, dass die Terroristen andere Waffen benützen können, z.B. Raketen, die über die Schranke geschossen werden. Doch ihre wirksamste und tödlichste Waffe ist die Menschenbombe, und dies können wir dank diesem Wall verhindern. Vergessen wir nicht, dass es heute Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Kandidaten gibt, die bereit sind ihr Leben in den israelischen Städten als menschliche Bombe zu opfern. Darüber hinaus dämmen wir mit dieser Abriegelung auch die demographische Entwicklung ein, die in Wirklichkeit eine verdeckte Form der Umsetzung des von den Arabern geforderten Rechts auf Rückkehr ist. Durch das Verhindern von Eheschliessungen zwischen israelischen Arabern und arabischen Frauen, die in Judäa-Samaria leben, schränken wir den sprunghaften Anstieg dieser Bevölkerung in Israel ein. Es gibt natürlich Gesetze in diesem Bereich, doch es ist sehr viel einfacher, den verbotenen Grenzübergang ganz konkret zu unterbinden. Letztendlich erlaubt uns die Trennwand auch eine Reglementierung des Arbeitsmarktes und eine Kontrolle, damit nicht jeder bei uns arbeiten und sich eventuell hier niederlassen kann. Die Scheidelinie ist also absolut unerlässlich im Hinblick auf die Sicherheit, die Bevölkerungskontrolle und die Wirtschaft.
In letzter Zeit haben einige Entführungen stattgefunden. Dazu muss man wissen, dass diese schwer zu organisieren sind und nur gelingen können, wenn man auf einheimische Komplizen zählen kann, in diesem Fall auf israelische Araber. Ich kann Ihnen versichern, dass wir die Sache sehr ernst nehmen und sie energisch bekämpfen.

Es herrscht der Eindruck vor, dass die Regierung, der Sie angehören, durch das Akzeptieren der Roadmap der gegnerischen Partei den Anschein von Schwäche vermittelt, was letztere natürlich sofort ausnützen wird. Inwiefern können Sie sich mit der aktuellen Politik identifizieren?

Ich möchte Sie zunächst daran erinnern, dass ich mich in keiner Weise für die Roadmap ausgesprochen habe und mich bei der Abstimmung darüber der Stimme enthielt. Ausserdem haben ich wie auch unser Premierminister immer darauf bestanden, dass der Zusatz zur Roadmap, die berüchtigten 14 Restriktionen, als fester Bestandteil dieses Abkommen gelten. Der erste Punkt betrifft die Auflösung der Terrororganisationen und -infrastrukturen. Nach der ersten Etappe müssen wir die zweite in Angriff nehmen. In diesem Moment werden wir sehen, ob unsere Gegenpartei sich an die Abmachungen gehalten hat. Wir beharren auf dem Konzept der Gegenseitigkeit und werden keinen Schritt weiter tun, wenn es nicht genauestens eingehalten wird. Dazu möchte ich an dieser Stelle daran erinnern, dass der Premierminister und ich selbst uns über das Problem der Gegenseitigkeit absolut einig sind. Er hat zu diesem Thema eine sehr bedeutende Erklärung abgegeben, in der er die Welt daran erinnerte, dass eines der schwer wiegenden Versagen der Demokratien in den 1930er Jahren auf die mangelnde Beharrlichkeit in Bezug auf eben die Gegenseitigkeit zurückzuführen war, und zwar gegenüber Nazi-Deutschland, das von niemandem gezwungen wurde, die in Versailles unterzeichneten Verpflichtungen zu erfüllen. Meiner Ansicht nach hat er diese Erklärung abgegeben, um den Zweiflern begreiflich zu machen, dass die Politik unserer Regierung unter seiner Leitung nicht die geringste Absicht hegt, in der Forderung nach Gegenseitigkeit nachzugeben.

Sind Sie für die Auflösung der jüdischen Siedlungen in Judäa-Samaria-Gaza?

Nicht im Geringsten, es war überhaupt nie die Rede davon. Die Frage stellt sich bei einigen Vorhutposten, die ohne Bewilligung errichtet wurden und deren Schicksal von Fall zu Fall entschieden wird.

Sie scheinen insgesamt eher optimistisch zu sein. Glauben Sie, dass die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft den richtigen Weg eingeschlagen haben?

Klar. Was die wirtschaftlichen Massnahmen angeht, liegt ihr Erfolg in unseren Händen, was viel Weitblick und Verständnis für die vordringlichen Angelegenheiten verlangt. Glücklicherweise scheinen in Israel immer mehr Menschen begriffen zu haben, was nötig ist, damit unsere Reform funktioniert. Wir sind unsererseits zutiefst davon überzeugt, dass unsere Wirtschaftspolitik richtig ist, und wir sind entschlossen, alles zu unternehmen, damit sie gelingt, auch wenn dies mit zahlreichen Problemen verbunden ist. Israel besitzt zum ersten Mal seit langer Zeit wieder eine kohärente Regierung, in der alle am selben Strick ziehen. Noch keine Regierung vor uns war so stark auf die freie Marktwirtschaft ausgerichtet wie wir. Das Gelingen der Reform liegt also in unserer Hand. Die Politik wiederum wird vom Sicherheitsproblem dominiert, das die Fortführung des oben angesprochenen Wandbaus, die Abschreckung, falls nötig mit militärischen Aktionen, und die grösstmögliche Reduzierung des Terrors beinhaltet. Die Verhandlungen mit der Palästinenserbehörde hängen von den Gegenleistungen ab. Wenn der Beweis erbracht wird, dass ihr Hauptziel - die Vernichtung des Staates Israel - aufgegeben wurde und sie offiziell und tatsächlich auf das verzichtet, was sie «das Recht auf Rückkehr» nennt, was nichts anderes bedeutet als die Überflutung unseres Landes mit mehreren hunderttausend Arabern, und wenn sie endlich ihre Methode aufgibt, mit der sie uns bekämpft, nämlich den Terrorismus, wage ich zu behaupten, dass uns ein Partner gegenüber steht, mit dem wir harte und ernsthafte Verhandlungen führen können. Sollte die Autonomiebehörde der Palästinenser in nur einem einzigen dieser Punkte versagen, haben wir keinen Partner mehr. In diesem Fall sind wir gezwungen, eine Reihe von einseitigen Massnahmen zu treffen, um unser Land in Sicherheit verteidigen und entwickeln zu können.

Denken Sie, dass die Schaffung eines palästinensischen Staates einen gangbaren Weg darstellt?

Es ist allgemein bekannt, dass ich diese Idee ablehne. Doch selbst diejenigen, die eine derartige Lösung befürworten, darunter auch unser Premierminister, sind nicht bereit, dies zu jedem beliebigen Preis zu akzeptieren. Alle stellen eine Reihe von Bedingungen auf: die Festlegung der Grenzen, die Entmilitarisierung dieses hypothetischen Staates, die Einfuhr von Waren, aber nicht von Waffen, die Ausfuhr von Gütern, aber nicht von Gegenständen im Zusammenhang mit dem Terrorismus, wie beispielsweise Raketen, die Kontrolle des Luftraums, des Wassers, des Stroms usw. durch Israel. Dabei handelt es sich um einige grundlegende Mindestforderungen, die selbst die überzeugtesten Befürworter eines palästinensischen Staates weiterhin in unserer Hand wünschen. Es ginge also um die allfällige Schaffung eines Gebildes mit beschränkter Souveränität. Der Begriff «Staat» trifft auf dieses Konzept nicht zu, denn es setzt eine umfassende Souveränität und Unabhängigkeit voraus, die einem derartigen palästinensischen Gebilde unbeschränkte Macht verleihen würden. Wenn man nun davon ausgeht, dass die Palästinenserbehörde den Beweis für die Erfüllung ihrer Verpflichtungen erbringt, was noch nicht geschehen ist, besteht in Israel ein sehr breiter Konsens, dass ein staatsähnliches palästinensisches Gebilde unter der Bedingung zustande kommt, dass eine Reihe von Befugnissen in israelischer Hand verbleiben. Wir werden eventuell eine Vereinbarung mit unserem Verhandlungspartner abschliessen können, in deren Rahmen er die notwendigen Mittel erhält, um seine Verwaltung zu betreuen. Wir werden ihm unter keinen Umständen die Befugnisse erteilen, dank denen er in der Lage wäre, den einzigen und einmaligen jüdischen Staat zu vernichten.