Politische Scheidung
Von Amnon Lord *
In Israel, der einzigen Demokratie im Nahen Osten, hat das Volk am 28. Januar 2003 gewählt. Es hat dabei nicht nur Ariel Sharon zu einem überwältigenden Sieg verholfen, sondern auch der Politik der Linken im Allgemeinen und der Befürworter der Osloer Verträge im Besonderen eine deutliche Abfuhr erteilt. Nach dem Wahlgang erwies sich, dass die gesamte Linke aller Ausrichtungen vom Stimmvolk nur 25 von 120 Sitzen erhielt, obwohl sie zuvor in der Knesset die Mehrheit besessen hatte. Zum besseren Verständnis der Ursachen und Gründe, die zum Scheitern dieser politischen Tendenz geführt haben, baten wir AMNON LORD, den Schriftsteller, Denker, Philosophen und Journalisten, um eine Analyse dieses Phänomens. Lord entstammt den Kreisen der Linken und ist in ihnen aufgewachsen; er gehörte zu den aktiven Vorkämpfern der radikalsten Gruppierung, nämlich der Bewegung "Schalom Achschaw - Frieden jetzt".

Der Schock, unter dem die israelische Linke steht, gehört zu den wichtigen Begleiterscheinungen der arabischen Terroroffensive. Nach über zwei Jahren scheint sich die Linke wieder aufgerappelt zu haben. Sie zählt zwar weniger Anhänger, doch sie ist extremer und radikaler geworden. Während dieser Zeit und vor allem nach dem anfänglichen Schock kam es zu zahlreichen Austritten. Wahrscheinlich haben wir einmal mehr eine historische Epoche erlebt, in deren Verlauf sich die Idealisten der Linken einer Gewissensprüfung unterwerfen und im Wissen, dass sie die dogmatische Haltung und den Herdentrieb in ihrem Umfeld nicht mehr aushalten, beschliessen, der Partei den Rücken zu kehren.
In gewissen Fällen verwandelt sich die linksfeindliche Einstellung gar in eine Bekehrung zur Rechten. Der jüdische US-Journalist Ron Rosenbaum, Autor des Buches "Explaining Hitler", erklärte diesen psycho-politischen Zustand auf sehr anschauliche Weise in einem Artikel, der vor kurzem im New York Observer unter dem Titel "Abschied von allem" erschien; der Untertitel lautete "Wie mich die Dummheit der Linken in die Flucht schlug." "Abschied von allem" ist zu dem Slogan geworden, mit dem man den historischen Prozess des Abfalls von der Linken bezeichnet. Er wurde zum ersten Mal in einem Artikel verwendet, in dem David Horowitz (dessen Autobiographie "Radical Son" heisst) die Gründe erläutert, die ihn zum Austritt aus der Linken bewogen hatten. Der Redaktor hatte seinen Titel in "Leftie's for Reagan" abgeändert - Linke für Reagan. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war die Reaktion eines amerikanischen Akademikers, der sich zu den Attentaten vom 11. September beglückwünschte mit der Begründung, sie gäben den Amerikanern endlich die Gelegenheit, ihre Vergangenheit unter die Lupe zu nehmen, wie dies schon die Deutschen getan hatten.
"Ich konnte es nicht mehr ertragen", schrieb Rosenbaum, "es ist ein endgültiger Abschied... die Unfähigkeit, zwischen den vergangenen Fehlern der USA und Hitler-Deutschland zu unterscheiden... es ist ein endgültiger Abschied... ein Abschied von den 'Friedensmärschen', wie demjenigen in Madrid, bei dem die Frauen Bikinis aus Sprengstoffgürteln trugen. Es scheint, dass dieser 'Frieden' dem Mord an jüdischen Kindern nicht widerspricht."
In Israel wird dieses Phänomen der vehementen Ablehnung von Chaim Schor auf eindrückliche Art dargestellt. Der ehemalige Chefredaktor der linken Tageszeitung Al Hamichmar führte im Juni 2000 ein langes Gespräch mit Maariv, in dem er einigen Palästinensern vorwirft, ihn persönlich hintergangen und die gesamte israelische Linke betrogen zu haben. Er erklärt, er werde ihnen nie verzeihen können. Der heute 76-jährige Chaim Schor gehörte zu den zentralen Akteuren im Dialog mit der PLO: er war es, der in den 80er Jahren ihre Vertreter in den Vereinigten Staaten einführte. Wer weiss denn heute noch, dass die Mitglieder der "Palästinensischen Befreiungsorganisation" den amerikanischen Boden nicht betreten durften, da die PLO damals als Terrorbewegung galt. Schor und seine Kollegen von der israelischen Linken setzten sich nach Kräften ein, um Visa für Nabil Sha'ath und seine Freunde zu erhalten, damit sie Kontakt zu den Kreisen der jüdischen Linken in den USA aufnehmen konnten. Seit den Terrorangriffen fühlt sich Chaim Schor nun verraten.
Ich habe das Werk "Abschied von allem" hingegen bereits 1999 verfasst, fast ein Jahr vor der Eröffnung der Feindseligkeiten an Rosch Haschanah 5761 (den 28. September 2000). Das Buch erschien an Pessach 2000 unter dem Titel "Wir haben verloren, was uns am meisten am Herzen lag - Die Ursprünge der post-jüdischen Linken" (englischer Titel: The Israeli Left: From Socialism to Nihilism). Es handelt sich dabei um eine Zusammenfassung meiner politischen Erfahrungen in den 90er Jahren. Bei den Wahlen im Juni 1992 stimmte ich für Meretz und freute mich wie 50% der Menschheit über die Machtübernahme von Itzchak Rabin. Für mich war das nichts Besonderes. Man kann sagen, dass ich irgendwie in den radikalsten Kern der Linken hinein geboren wurde. Ich wuchs im Kibbuz Ein Dor der Bewegung Haschomer Hazair auf, in dem ganze Generationen von linksgerichteten israelischen Bürgern geprägt wurden.
Ich sprach mich für die Osloer Verträge aus, die am 13. September 1993 unterschrieben wurden, obwohl ich mich an ein schon damals aufkommendes diffuses Gefühl der Beklemmung erinnere. Weil sich die Abkommen auf alle Gebiete in Judäa, Samaria und Gaza bezogen. Die mit der PLO unterzeichneten Dokumente stellten somit die Verwirklichung aller Pläne und Vorhaben dar, welche die Linke fast zwanzig Jahre lang den israelischen Bürgern vorgelegt hatte; sie waren eine Antwort auf den weltweiten Druck, auch wenn sie immer noch grosse Gefahren für Israel beinhalteten, die der Staat seit jeher fürchtete. Dem (heute verstorbenen) Historiker Yacov Talmon gelang es bereits 1976, die Zweifel von Israel sehr genau auf den Punkt zu bringen: "Das Land Israel, im Dilemma zwischen gemischten Gefühlen und widersprüchlichen Pflichten, muss mit einem unnachgiebigen Feind fertig werden; da die tiefen Wunden der Gräueltaten von München und Auschwitz noch nicht verheilt sind, fürchtet es die schrecklichen Gefahren, die jede Alternative in sich birgt; es wird jedoch aus Mut oder Pflichtbewusstsein wählen müssen und ringt mit grösster Anstrengung um eine Entscheidung. In genau diesem Moment wird Israel provoziert, gedrängt, zu einem sofortigen Sprung ins kalte Wasser gezwungen, man tadelt es wegen seiner Unentschlossenheit, wegen seines Widerstrebens, die Schaffung eines Terroristenstaates vor seinen Grenzen zuzulassen: eines Staates, dessen Schlachtruf die Vernichtung Israels fordert... und der davon überzeugt ist, dass die Geschichte auf seiner Seite steht und dass die Zeit zu seinen Gunsten arbeitet."
Der verstorbene Professor Talmon, eine der herausragenden intellektuellen Persönlichkeiten des Landes, sprach zahlreichen Israelis aus der Seele. Er schrieb diese Gedanken nieder, obwohl man ihn als einen Vertreter der Linken ansah.
Im Laufe der Jahre 1994, 1995 und 1996 wurde mir bereits klar, dass alle Befürchtungen in Bezug auf die Niederlassung der PLO westlich des Jordans sich als berechtigt erwiesen. Die blutigen Gewalttaten in diesen Jahren folgten in einer Regelmässigkeit aufeinander, wie sie in der Geschichte des Staates noch nie da gewesen war. Kaum hatten wir zwei Vereinbarungen mit der Organisation unterschrieben, die nach allgemeiner Ansicht die Lösung zum israelisch-arabischen Problem darstellte, konnten wir bereits die Ergebnisse dieser Bemühungen ermessen. Im Herzen des Landes wurde eine Basis geschaffen, die als Ausgangspunkt für brutale Terroranschläge diente! Es war mir unmöglich, bei diesen Selbstmordattentaten nicht an die Warnungen zu denken, welche die Rechte unablässig ausgesprochen hatte. Jahrelang war ich als einfacher Soldat in den Demonstrationen der israelischen Linken, in den Rängen der Bewegung "Frieden jetzt" und in anderen, noch extremeren Gruppen mitgelaufen. 1981 hatte ich an einer Demo in Ramallah sogar Tränengas eingeatmet und war von der Polizei verhaftet worden. Ich erinnere mich aber auch, dass die Leute der Rechten am Rande unserer Veranstaltungen immer anwesend waren und uns mit vor Angst zugeschnürter Kehle unsere Fehler darlegten. Sie versuchten uns davon zu überzeugen, dass die Gründung eines Palästinenserstaates den Terrorismus nur ankurbeln würde. Als die Sowjetunion noch existierte, warnten sie uns vor der Schaffung eines sowjetischen Stützpunktes, vor dem Einmarsch der Syrer. Heute gibt es die UdSSR natürlich nicht mehr, doch es besteht kein Zweifel daran, dass die düsteren Prognosen betreffend den Einsatz einer PLO-Basis westlich des Jordans durch die arabischen Staaten sich mit aller Schrecklichkeit bewahrheitet haben.
Nach den Selbstmordattentaten an der Dizengoff-Strasse in Tel Aviv, in Beit Lid und an anderen Orten veröffentlichte ich diverse Artikel in der Zeitung Tel-Aviv, bei der ich zu jener Zeit angestellt war. Ich wandte mich hauptsächlich an die Verantwortlichen der Linken und flehte sie an, sich eine Auszeit zu gönnen, zu überlegen, ihre ideologische Ausrichtung in Frage zu stellen, nun da man wusste, welche katastrophalen Folgen der "Friedensprozess" von Oslo gezeitigt hatte. In der Reportage, die ich im Mai 1994 in der Zeitung publizierte, war Yossi Sarid kategorisch: "Die eigentliche Prüfung für Arafat wird seine Fähigkeit sein, uns davon zu überzeugen, dass er wirklich alles in seiner Macht Stehende unternimmt, um den Terrorismus auf ein Minimum zu beschränken. Sollte die Anzahl der Anschläge nicht zurückgehen und fallen die Bemühungen von Arafat nicht überzeugend aus, wissen wir, dass die Abkommen gescheitert sind und wir sie nicht fortsetzen. Trifft dies wirklich ein, werden wir aus dem Friedensprozess vorläufig aussteigen; Arafat wird seine Karriere als Bürgermeister von Jericho beenden."
In der Folge haben sich die Terroranschläge unter der Regierung Rabin und später unter der Regierung Peres weiterhin gehäuft, doch Yossi Sarid und die Parteileitung der Linken haben ihr Wort nicht gehalten. Sie sind nicht "ausgestiegen", sie haben die Fortsetzung des Prozesses befürwortet und es abgelehnt, die Konsequenzen zu ziehen. Sie haben alle logischen Argumente in den Wind geschlagen, die von zahlreichen Persönlichkeiten vorgebracht wurden, unter ihnen auch die Sprecher der Rechten, Benjamin Netanjahu und Benny Begin. Zu dieser Zeit war ich Filmkritiker bei der Zeitung Tel-Aviv. Unter dem Einfluss der Ereignisse verfasste ich nun aber immer öfter politische Artikel. Die immer prekärer werdende Situation zwang mich geradezu zum Schreiben. Eine Woche vor der Ermordung Rabins veröffentlichte ich in der (heute nicht mehr existierenden) Zeitung Dawar Rischon einen Artikel in Zusammenarbeit mit meinem Freund Dr. Maoz Azaryahu unter dem Titel "Die Mythen der israelischen Linken". Ich fühlte, wie ich mich jeden Tag mehr von der politischen Kultur entfernte, in der ich gelebt hatte und die mir jahrelang eingetrichtert worden war. In meinem Innersten begann ich schon zu begreifen, dass die politische Dogmatik der Linken angesichts der Terroranschläge, die durch die pazifistische Utopie herbeigeführt wurden, einen festen Bestandteil der linken Kultur und ihrer Geschichte darstellte. Mein Gefühl, im Umfeld der Linken zu ersticken, war so stark geworden, dass mir nur noch die Flucht blieb. Es war genau das Gefühl, von dem auch Ron Rosenbaum gesprochen hatte: das Bedürfnis, sich von dieser Horde von Dummköpfen und Bornierten abzugrenzen, die einen Fehler nicht einsehen konnten. Ganz egal, wie gross er war! Ein Fehler, der so viele Menschenleben gekostet hat.
Bei den Wahlen im Mai 1996 stimmte ich für Netanjahu. Ich nahm an dem wilden Tanz der Linken und der Medien um ihn herum teil. Es stellte sich heraus, dass die Osloer Abkommen nicht so sehr ein Friedensvertrag als vielmehr ein Pakt zwischen der israelischen Linken und der PLO gewesen waren, sozusagen die Einführung eines neuen Regimes in Israel. Trotz der offensichtlichen Erfolge, die Netanjahu drei Jahre lang in den Bereichen Politik, Sicherheit und Wirtschaft erzielte, versuchte man ihm immer wieder mit Hilfe antidemokratischer Machenschaften, die fast einem Putsch glichen, die Macht zu entziehen. Ich bin überzeugt, dass wir heute, wenn Netanjahu 1999 wieder gewählt worden wäre, nicht mitten in diesem Terrorkrieg steckten. Es wäre sogar wahrscheinlich, dass wir trotz aller Schwierigkeiten Schritt für Schritt weiter gekommen wären und immer solidere Verträge mit den Palästinensern erreicht hätten, ja, auch mit Arafat an der Macht. Die Ereignisse des Jahres 2000 haben bewiesen, wie zutreffend Netanjahus These war: zwischen Israel und den Arabern kann es nur dann Frieden geben, wenn Israel glaubwürdige Streitkräfte zur Abschreckung besitzt. Während des gesamten Jahres 2000 mussten wir mit ansehen, wie das Image von Israel völlig zunichte gemacht wurde und seine Abschreckungskraft gleichzeitig zusammenbrach. Es begann mit den fruchtlosen Verhandlungen mit Syrien und der Bereitschaft Israels, bis zu den Ufern des Kinneret zu verhandeln; darauf folgte der überstürzte Rückzug aus dem Sicherheitsstreifen im Südlibanon (Mai 2000); und schliesslich kam es zur von Barak in Camp David (Juni 2000) und in Taba anerbotenen "Totalauflösung". Alle ernsthaften Strategieexperten, darunter auch der gegenwärtige Generalstabschef, sind sich darüber einig: Die im September ausgelöste Flut von Attentaten beruht hauptsächlich auf dem Abzug aus dem Libanon und dem Eindruck der Araber, der Hizbollah habe einen Sieg errungen. Unter der Regierung Barak schien Israel geschwächt und zerrüttet und die Araber haben dieser Versuchung nicht widerstanden. Sie waren überzeugt, die Israelis würden nicht durchhalten angesichts des vom Terror geforderten Blutzolls und sich schleunigst aus den Gebieten von Judäa, Samaria und Gaza zurückziehen wie aus dem Libanon. Sogar diejenigen, welche die Terrorangriffe vorausgesagt hatten, ahnten nichts vom Ausmass der Anschläge, geschweige denn von den "bemerkenswerten" Fähigkeiten, welche die Palästinenser in diesem Bereich entwickelt hatten. Die entsetzlichen Folgen der Osloer Abkommen traten nun klar ans Tageslicht. Überraschend ist allein die Tatsache, dass die wichtigsten Verantwortlichen des Osloer Prozesses immer noch an der Macht sind, sie besetzen in der politischen Landschaft Israels immer noch bedeutende Positionen. Diejenigen jedoch, welche die Öffentlichkeit ständig vor der Gefahr der möglichen zukünftigen Entwicklungen warnten und deren Prognosen eingetroffen sind, gelten als Extremisten. Ich freue mich keinesfalls darüber, dass meine Befürchtungen und diejenigen meiner Freunde wahr geworden sind, es verschafft mir keine Genugtuung. Es ist auch nicht von Bedeutung, dass meine Vorahnungen sich schon 1995 bewahrheitet haben, als ich sah, dass die palästinensische Behörde zwangsläufig zu einem Stützpunkt des Terrorismus werden würde. Sehr viele Menschen, unter ihnen auch einfache Bürger, haben dies lange vor mir begriffen. Es gibt jedoch eine einmalige Empfindung, eine berauschende intellektuelle Erfahrung, die niemand verstehen kann, wenn er sie nicht erlebt hat: die Wahrheit ist befreiend. Derjenige, der vom "Frieden" sprach, hat sich als Feind Israels entpuppt, der seine Vernichtung anstrebt. Derjenige, der von "Eroberung" sprach, wurde als Antisemit entlarvt. Derjenige, der früher von der Notwendigkeit sprach, die Schoah anzuerkennen, ist durchschaut, denn er wird es nur tun, wenn man ihm beweist, dass die Juden Nazis sind. Derjenige, der sich früher gegen den "Terror" aussprach, freut sich über das Massaker an den Juden. Denn geht es in Wirklichkeit nicht um den "Kampf der Palästinenser", die "Fortsetzung der Revolution"?
Meine neue Position gibt mir auf einmal das Recht, die Masken bei diesem politischen Kostümball herunter zu reissen. Dieses aussergewöhnliche Gefühl kompensiert ein wenig den Schmerz angesichts des vergossenen Bluts.

*Amnon Lord ist Schriftsteller und verfasst eine Chronik in der Zeitung "Machor Rischon". Sein Buch über die israelische Linke "Wir haben das verloren, was uns am meisten am Herzen lag..." erschien im April 2000.