Maulwurfsratten – Weizen - Pilze
Von Roland S. Süssmann
Was haben eine Maulwurfsratte, ein Pilz und ein Weizenfeld gemeinsam? Ganz einfach: das Institut für Evolution der Universität Haifa, das von Professor EVIATAR NEVO geleitet wird! Auf den ersten Blick mag diese Kombination merkwürdig erscheinen, es handelt sich jedoch um eine extrem seriöse Universität, die zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten auf höchstem Niveau durchführt und deren Steckenpferd die Erforschung des menschlichen Genoms ist.
Diese 1972 gegründete Institution umfasst heute 18 Labors, in denen 60 Menschen, darunter 21 Akademiker und Professoren tätig sind. Hauptziele sind die Untersuchung der Evolutionsbiologie, die Biodiversität (d.h. die grossen Gruppen der Lebewesen, einschliesslich der Genome, der Arten, der Populationen und der Ökosysteme) sowie ihre Entwicklung in Zeit und Raum. Das Institut für Evolution hat sich in erster Linie für die Methode entschieden, klassische Forschungsarbeiten im Bereich der Biodiversität der Pflanzen und Tiere sowohl auf der Ebene der Proteine als auch auf derjenigen der DNS mit den Arbeiten der modernen Genetik zu verbinden. Die Evolutionsbiologie trägt in hohem Masse dazu bei, Lösungen für folgende Probleme zu finden: Ursprung und Natur des Menschen und der Rassen; Übervölkerung; Qualität der Umwelt; Nahrungsknappheit; öffentliches Gesundheitswesen; biologische Kontrolle der Pest; biologische Konservierung; und Verbesserung der Pflanzenkulturen und Zuchttiere.
Um die Hintergründe dieses geheimnisvollen Instituts zu durchleuchten, in dem Maulwurfsratten und Pilze zum Wohle der Menschheit einträchtig nebeneinander gedeihen, haben wir Professor Eviatar Nevo, eine weltweit bekannte Koryphäe auf seinem Gebiet, um ein Gespräch gebeten.

Können Sie uns in wenigen, auch uns Normalsterblichen verständlichen Worten die Arbeiten erklären, die in dem von Ihnen geleiteten Institut für Evolution durchgeführt werden?

Uns steht hier die weltweit grösste genetisch und agrarwissenschaftlich ausgewertete Gen-Bank im Bereich der stärkehaltigen Getreidearten und der Wildgersten, der Pilze und Maulwurfsratten zur Verfügung. Es gibt natürlich andere genetische Datenbanken, die noch grösser sind, doch diese sind noch nicht ausgewertet worden und ihre ökologischen Wurzeln sind weniger bekannt als die unseren. Ich habe übrigens höchstpersönlich einen bedeutenden Teil dieses Materials in den Feldern zusammengetragen. Alle diese Datenbanken werden für extrem wichtige Anwendungen in den Bereichen der Agronomie, der Medizin, der Industrie, der Pharmazie usw. eingesetzt. Das Institut bietet ausserdem in allen von unseren Arbeiten betroffenen Universitätsfakultäten ein eigenes Studienprogramm an, das heute von ca. zweitausend Studenten besucht wird. Vor einigen Monaten leistete unser Institut einen Beitrag zur Schaffung einer vollständigen Fakultät für Wissenschaften im Rahmen der Universität Haifa, was für letztere einen bedeutenden Schritt nach vorn entspricht. Wir arbeiten weltweit mit 350 Labors in 35 Ländern zusammen, und zwar auf dem Gebiet der verschiedenen Organismen. Auch im Institut selber werden zahlreiche Projekte erfolgreich durchgeführt, andere entstehen in Zusammenarbeit mit ausländischen und israelischen Labors.

Sie haben uns einen sehr allgemeinen Überblick über Ihre Aktivitäten verschafft; könnten Sie uns nun ein oder zwei wichtige Projekte, an denen Sie arbeiten, etwas genauer beschreiben?

Ich werde von unseren Arbeiten über wildwachsende Getreidearten berichten, d.h. Weizen, Gerste und Lattich, sowie von unseren Studien über die Maulwurfsratten.
Zunächst muss man wissen, dass Weizen- und Gerstekulturen aus wilder Gerste und wildem Weizen hervorgegangen sind. In Israel gibt es eine ganz besondere Getreideart, den «Triticum dicoccoides» (stärkehaltiger Weizen, auch Jerusalemweizen genannt), der sehr viele Gene hervorbringt, die widerstandsfähig gegen Krankheit und andere Schädlinge sind, welche die Ernten bedrohen. Leider werden die Getreidekulturen überall auf der Welt in erster Linie auf der Grundlage ihres Ertrags und nicht ihrer Resistenz gegenüber physischen oder biologischen Aggressionen ausgewählt. Daher werden sie sehr oft von Viren, Bakterien oder Pilzerkrankungen befallen, die sie schwer in Mitleidenschaft ziehen. Diese Aggressionen führen zu enormen Schäden, die bis zu 12% der weltweiten Produktion betreffen können, was einem Verlust von ca. 14 Milliarden Dollar entspricht. Diese Infektionen werden in den meisten Fällen mit Fungiziden bekämpft (pilztötende Mittel), die sowohl kostspielig als auch umweltschädlich sind. Darüber hinaus weisen diese wilden Getreidearten nur eine geringe Resistenz gegenüber Salz und Dürre auf. In unserer genetischen Datenbank besitzen wir die notwendigen Elemente, um diese Probleme auf natürlichem Weg zu bekämpfen. So ist es ab sofort dank den Errungenschaften im Bereich der Biomolekulartechnologie und der Entwicklung von genomischen Karten möglich, in qualitativ hochstehenden Kulturen Molekulartransfers anzuwenden. Diese neue Technik ist von enormer Bedeutung, da sie mit der Zeit zu einer globalen Revolution in der Landwirtschaft führen wird. Wir ermitteln auf den Chromosomen regelmässig alle Gene, die gegen Salz, Trockenheit usw. resistent sind, und übertragen sie anschliessend auf die betroffenen Kulturen. Wir setzen folglich die positiven Kräfte, die wie in den wildwachsenden israelischen Pflanzen finden, ein und verwenden sie in den grossen Anbauflächen. Diese Arbeit ist deswegen so wichtig, als der explosionsartige Anstieg der Weltbevölkerung zu einer immer höheren Nachfrage an Nahrungsmitteln führt. In einer Welt mit immer dramatischeren Hungersnöten müssen wir alles unternehmen, damit die Menschen in den notleidenden Regionen trotz klimatischer Schwierigkeiten ihre Felder bebauen und sich ernähren können. Einige Gebiete sind bis heute wegen der ungünstigen Klimabedingungen nie bebaut worden. Mit Hilfe unserer Forschungsergebnisse ist es nun möglich, Weizen auch in Gebieten zu ernten, wo es nur Salzwasser gibt; dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Unsere Gen-Bank ist natürlich sehr umfangreich und vielfältig, sie bietet zahlreiche Möglichkeiten für alle erdenklichen Situationen: extreme Hitze, Kälte, verschiedene Rostsorten, die Pflanzen befallen usw. Gegenwärtig haben wir ungefähr 3500 Genotypen von stärkehaltigem Weizen zusammengetragen, die an 37 verschiedenen Orten, davon 33 in Israel und 4 in der Türkei, entdeckt wurden. Im Hinblick auf die Wildgerste haben wir Material in Iran, Israel und in der Türkei gefunden.
Die zweite bedeutende Tätigkeit unseres Instituts befasst sich mit dem Einsatz der Maulwurfsratte, die man hauptsächlich in Israel, auf dem Golan und in Galiläa sowie in Ägypten findet. Es handelt sich um ganz besondere Tiere, die unter der Erde leben und völlig blind sind. Das Auge erfüllt, wie Sie wissen, vor allem zwei Funktionen, das Sehen in der Nähe und das Erfassen von Bewegungen und Licht. Wir haben nun festgestellt, dass die Maulwurfsratte in der Lage ist, das Licht unter der Erde mit Hilfe eines Systems von Fotorezeptoren auszumachen, das in ihrem verkümmerten Auge weiterbesteht und diese Signale an das Gehirn weiterleitet; auf diese Weise weiss sie, ob es Tag oder Nacht, ob Sommer oder Winter ist usw. Dieses Tier lebt ausschliesslich unter der Erdoberfläche in einem Labyrinth aus Tunnels und Höhlen, in denen es Wurzeln und diverse fette Pflanzen hortet, die ihm als Nahrung dienen. Der Bau befindet sich ca. 20-40 cm unter der Erde und kann in einem besonders heissen und trockenen Sommer bis zu einem Meter tief liegen. Wird zufällig ein Loch gegraben, das einen der Tunnels berührt, bemüht sich die Maulwurfsratte sofort, es zu verschliessen. Ausserdem ist die Maulwurfsratte ein Einzelgänger, der sein Leben lang, ausser zur Paarungszeit, allein lebt. Sie verfügt über ein Kommunikationssystem, das über Erschütterungen und Düfte funktioniert, doch letztendlich wird die Wahl vom Weibchen getroffen. Nach der Paarung gehen beide Tiere wieder ihrer Wege. Das Weibchen bringt ihre Jungen 28 bis 36 Tage später zur Welt. Im Alter von ungefähr einem Monat werden die kleinen Maulwurfsratten von ihrer Mutter aus dem Bau geworfen. Es ist uns gelungen, mehrere für sie typische Gene zu isolieren, darunter auch den VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor), und haben Anwendungen in verschiedenen Bereichen entdeckt: in der Luft- und Raumfahrt, im Tiefseetauchen und in der Medizin, insbesondere bei der Behandlung von Herzschwäche und Ischämie. Unsere Untersuchungen haben in der Tat erwiesen, dass diese unter der Erde lebenden Tiere zwar Säugetiere sind, jedoch in einem Umfeld mit nur 2%-3% Sauerstoff überleben können. Dieser Zustand kann selbstverständlich mit verschiedenen Gründen erklärt werden, interessant ist jedoch, dass wir eine genetische Anwendung dieses Phänomens gefunden haben, die wahrscheinlich als Grundlage für neue Behandlungsmethoden bei Hypoxämie (Sauerstoffmangel im Blut) oder Ischämie dienen wird.

Arbeiten Sie an anderen Projekten dieser Tragweite?

Wir haben vor kurzem eine Untersuchung zur Ermittlung der medizinischen Risiken (einschliesslich Krebs) durchgeführt, denen die in der Region von Tschernobyl lebenden Menschen durch Radioaktivität ausgesetzt sind. Unser Ziel ist es, eine rasche und zuverlässige Methode zu entwickeln, mit der man die genetischen Schäden ermitteln kann. Diese Studie ist sehr wichtig für Israel, da ca. hunderttausend Einwanderer aus der ehemaligen UdSSR aus der verseuchten Region stammen und sich die meisten von ihnen im sogenannten zeugungswilligen Alter befinden. Folglich wird sich ein Teil der genetischen Erbmasse, die von der Katastrophe in Tschernobyl betroffen ist, unweigerlich auf die israelische Gesellschaft und ihre genetischen Gegebenheiten auswirken. Neben den eigentlichen Tests besteht unsere Arbeit auch darin, Präventivmassnahmen zu treffen, die negativen genetischen Folgen zu verringern und neue Mutationen zu entdecken. Das letztgenannte Element ist besonders wichtig bei Elterndiagnosen, damit Geburten mit schwerwiegenden genetischen Schäden vermieden werden können.
Abschliessend möchte ich noch unsere Forschungsabteilung für medizinische Pilze zitieren. Diese von Professor Salomon P. Wasser, einem der grössten Spezialisten der Welt auf dem Gebiet der Lamellenpilze, geleitete Abteilung hat zahlreiche Nahrungszusätze entwickelt, die auf der ganzen Welt zu präventiven und therapeutischen Zwecken kommerzialisiert und verwendet werden, und zwar in unterschiedlichen Bereichen: Herabsetzung des Cholesterinspiegels, Kosmetik, diverse Formen der Diabetes usw. (Siehe Artikel «Pilze fürs Leben»).
Das Institut für Evolution verwertet, wie Sie sehen, zahlreiche Entdeckungen, die zum Wohle vieler Menschen beitragen; dabei denke ich vor allem an die Nahrungsmittelproduktion überall auf der Welt. Um alle unsere Arbeiten noch besser voranzutreiben, sind wir jederzeit offen für Investitionsvorschläge, entweder zur Finanzierung der Forschung oder zur Sicherung der weltweiten Kommerzialisierung unserer Entdeckungen.