Koschere Kommunikation
Von Roland S. Süssmann
Viele träumen davon «zum Film zu gehen». Der Glanz, der Ruhm und der Starrummel, die diesen Beruf heute umgeben, üben auf viele junge Leute eine starke Anziehungskraft aus. Doch die Filmkunst beinhaltet einen Aspekt, den das Judentum ablehnt. Ganz abgesehen von der Pornographie oder von Gewaltszenen ist es eine Tatsache, dass die Filmproduktion, welche ästhetische oder gemässigte Erotikszenen, eine bestimmte Botschaft, eine vulgäre Sprache enthält, sowie verschiedene Arten von Dokumentarfilmen, von der jüdischen Tradition ganz einfach verboten sind. Das Herstellen dieser Filme oder der Handel mit ihnen verletzt alle Regeln der jüdischen Gesetzgebung. Sind deswegen die strenggläubigen Juden von der Welt des Films ausgeschlossen ? Ist es wirklich notwendig, Nacktszenen oder Bluttaten zu filmen und unflätige Ausdrücke zu benutzen, um seine Kunst oder seine Gefühle mit Hilfe einer Kamera zum Ausdruck zu bringen? In Jerusalem existiert eine in diesem Bereich einzigartige Institution, die Filmschule «MA’ALE SCHOOL OF COMMUNICATION, ART OF FILM AND TELEVISION», die einerseits diese Fragen kategorisch verneint, und andererseits durch ihre Ausbildung beweist, dass gutes Kino auch ohne Ausartungen entstehen kann und nicht gegen die Moral und die Sittlichkeit der Juden zu verstossen braucht.
Diese Akademie hat sich entschlossen, eine interessante Herausforderung unserer Zeit anzunehmen und mit Hilfe von Film und Fernsehen etwas zu schaffen und zu vermitteln, das seine Inspiration aus den Werten und der Tradition des echten jüdischen Kulturgutes schöpft. Diese Ziele möchte die Schule erreichen, indem sie moderne Kommunikationskurse anbietet, in denen die neuesten Techniken und das Know-how des Films in Verbindung mit dem Studium des Judentums betreffend die Kommunikation gelehrt werden.
Ma’ale wurde 1989 gegründet und hat es sich zum obersten Ziel gesetzt, Filmkünstler, Schauspieler, Produzenten und Regisseure auszubilden, die dank eines erstklassigen Unterrichts die Fähigkeit besitzen, mit Hilfe der Kamera nicht nur ihre Kunst, sondern auch die Werte auszudrücken, die dem spirituellen Reichtum des Judentums entspringen.
Neben dem direkt auf das Fernsehen und das Kino bezogenen Unterricht bietet Ma’ale heute auch Kurse im Bereich Rundfunk, geschriebene Presse, Theater und Ausdruck per Informatik (Multimedia usw.) an. Bis heute zählt Ma’ale 70 Diplomabgänger, die alle in irgendeiner Form in den verschiedenen Bereichen des Films und der elektronischen Medien tätig sind. Sie bringen auf diese Weise eine neue Dimension, eine neue Stimme in die Welt der Kommunikation und bereichern sie mit authentisch jüdischen Bildern. Dieser Ansatz verbessert auch das Verständnis und den Dialog zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen. Darüber hinaus werden ca. die Hälfte der von der Schule produzierten Filme (im Schnitt 8-12 pro Jahr) im israelischen Fernsehen gesendet, während andere in diversen Festivals für Kurzspielfilme überall auf der Welt vorgeführt werden, wobei einige Werke dabei sogar prämiert wurden.
In gewisser Weise stellt Ma’ale heute eine einzigartige Verbindung zwischen der Welt der Kommunikation und derjenigen der jüdischen Kultur im weitesten Sinne dar.
Interessanterweise kann festgestellt werden, dass die von Ma’ale produzierten Filme den Reichtum und die Vielfältigkeit des Judentums widerspiegeln. Die Texte gewisser Filme sind sowohl von der Bibel, vom Talmud und der zeitgenössischen israelischen Literatur inspiriert worden. Andere zeigen die verschiedenen Aspekte des multikulturellen Erbes des jüdischen Volkes infolge der diversen Herkunftsländer und die in Israel und in der Diaspora daraus entstehenden Konsequenzen. Aus dieser Verschmelzung sind unterschiedliche Formen des Kurzfilms entstanden: Dokumentarfilme über die verschiedenen Episoden der jüdischen Geschichte, biographische Filme über Menschen, die unsere Geschichte geprägt haben, oder diskussionsanregende Unterhaltungsfilme.
Wir wollten den Geist und die Funktionsweise von Ma’ale besser verstehen und sind zu diesem Zweck ihrem Direktor, ITZCHAK S. RECANATI, begegnet, der bereits zu den Gründern der Schule gehörte.

Was hat Sie bewegt, vor ca. 10 Jahren eine Schule wie Ma’ale zu gründen ? Ging es darum, auf ein Bedürfnis einzugehen, eine Leere auszufüllen oder die Filmproduktion in Israel um einen authentisch jüdischen Blickwinkel zu bereichern ?

Die Anfänge des israelischen Films entbehrten sozusagen jeglicher Art jüdischer Thematik, da die behandelten Themen typisch israelisch waren. Zusammen mit einigen Freunden aus dem Fach waren wir der Ansicht, es sei unsere Pflicht, uns direkt an der Entwicklung des israelischen Films und Fernsehens zu beteiligen, damit sie eine andere Richtung einschlüge. Unser Ziel bestand, wie auch heute, darin, allmählich zahlreiche Elemente aus unserem vielschichtigen und facettenreichen Kulturgut und unserer Religion in die modernen Medien einfliessen zu lassen. Wir dachten auch, es sei notwendig, dass die jüdischen Werte sowohl im Kino als auch im Fernsehen vertreten seien, natürlich wegen des Einflusses dieser Medien auf unsere Kinder, die Erziehung, die Bildung usw. Heute ist es wichtiger denn je, dass das Judentum in all seinen Ausdrucksformen - Religion, Kultur, Kunst und Geist - seine Botschaft und seinen kulturellen Reichtum mit Hilfe von Film, Theater usw. zum Ausdruck bringt und weitervermittelt.


Welches ist der grundlegende Unterschied zwischen einer religiösen und einer herkömmlichen Filmschule?

Auf den ersten Blick könnte man meinen, es gebe keine Unterschiede, da dieselben Techniken unterrichtet werden. Beide Schulen lehren im Grunde dasselbe: wie kann eine Geschichte im Kino oder im Fernsehen gut erzählt werden. Der Unterschied liegt in der Tatsache, dass eine Diplomarbeit an unserer Schule automatisch eine jüdische Konnotation beinhaltet. In den meisten Fällen und neben den Arbeiten, die sich mit den grossen zeitgenössischen Problemen der israelischen Gesellschaft oder gar der jüdischen Gesellschaft überall auf der Welt befassen, sind unsere Abschlussarbeiten Filme, die ihre Inspiration oft direkt in den heiligen Schriften oder aus der modernen jüdischen Literatur beziehen. Nicht selten verfilmen wir kleine Geschichten, die aus der Feder von Nachman Bialik oder von anderen Schriftstellern hebräischer Sprache stammen.


Aus welchen Kreisen kommen Ihre Schüler ?

Die meisten unserer Studenten, jedoch nicht alle, sind gläubige Juden. Interessanterweise kann eine Aufteilung in zwei Gruppen nach Alter und “ Gläubigkeit ” beobachtet werden. Was das Alter betrifft, haben wir entweder junge Leute, die gerade ihren Militärdienst, oder gläubige Mädchen, die zwei Jahre Zivildienst geleistet haben, oder aber Personen, die in der Mitte des Lebens stehen und eine neue Karriere beginnen oder ein oder mehrere Jahre lang aussteigen möchten. Die eine Gläubigkeitskategorie setzt sich aus Menschen zusammen, die sich berufen fühlen, die jüdische Kultur in das israelische Fernsehen und den israelischen Film einfliessen zu lassen, und es als ihre Aufgabe ansehen, die Botschaft der von ihnen vertretenen religiösen Tendenz mit Hilfe des Films zu verbreiten. Die zweite Gruppe sieht sich als Künstler, die der Welt ihr tiefes Empfinden mit der Kamera in der Hand vermitteln wollen. Die Tatsache, dass sie gläubig sind, ist ihre private Angelegenheit, sie drücken nur ihre persönliche Meinung aus und beabsichtigen nicht, um jeden Preis «die Botschaft des Judentums» weiterzugeben.


Ihre Fakultät und die anderen Filmschulen unterscheiden sich jedoch in einem ganz wesentlichen Punkt. An den anderen Schulen wird die Freizügigkeit und Liberalität im Hinblick auf Gewalt und Erotik geduldet, wenn nicht gar gefördert, während in Ma’ale jeder Ansatz dieser Art verboten ist. Verkörpert dies in Ihren Augen nicht eine Verletzung der Ausdrucksfreiheit ? Wo liegen die Grenzen ?

Es stimmt, wir stellen sehr strenge Regeln auf und legen sehr exakte Grenzen fest. Wir gehen davon aus, dass jede Person, die sich in unserer Kunstform freizügig, einschränkungslos und exzessiv ausdrücken möchte, sich mit Vorteil an einer anderen Schule einschreibt. Ja, wir befolgen die strengen Vorschriften der jüdischen Moral und wir denken, es gibt ausreichende Möglichkeiten, sich künstlerisch auszudrücken, ohne auszuarten und dabei die Würde des Menschen im allgemeinen und der Frau im besonderen zu verletzen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass unsere Schüler sich mit Scheuklappen in der Welt des Films bewegen und die Wirklichkeit ignorieren sollen. So zeigen wir beispielsweise in unserem Unterricht Filme, die bei mir zu Hause nichts zu suchen haben, und eindeutig die Grenzen überschreiten, die uns die strenge Einhaltung der Gesetze vorschreibt. Man muss sich im klaren sein, dass dies keinesfalls einfach ist, denn wir versuchen, ein sehr heikles Gleichgewicht zwischen der Ausdrucksfreiheit und den Verhaltensregeln aufrechtzuerhalten, die wir uns gesetzt haben. Uns liegt sehr viel daran, dass unsere Schüler nicht den Eindruck erhalten, ständig beobachtet und beaufsichtigt zu werden. Wir möchten, dass sie sich frei fühlen, mit ihren Kameras und an ihren Montagepulten kreativ zu sein und zu arbeiten. Es ist unser Wunsch, dass sie ihre filmischen Werke “aus dem Bauch heraus” schaffen können, doch gleichzeitig dulden wir nicht, dass bei uns Filme entstehen, und sei es nur als Übung, die gegen das verstossen, was von der jüdischen Gesetzgebung als unmoralisch oder unwürdig betrachtet wird.


Die Gewalt nimmt im Film einen immer grösseren Stellenwert ein. Wie stellen Sie sich zu diesem Problem und was lehren Sie Ihre Studenten zu diesem Thema ?

Ich denke, dass die Verbreitung der sogenannten «harten» Gewalt für den Menschen sehr viel schädlicher ist als beispielsweise eine erotische Szene. Es ist allgemein bekannt, dass jede Form von Gewalt sich direkt auf die Gesellschaft, die Familie, die Kinder usw. auswirkt, und wir sind strikt gegen die Produktion gewalttätiger Szenen einerseits, andererseits aber auch gegen die Ausstrahlung eines Films, der Szenen der Gewalt enthält, vor unseren Stundenten, selbst wenn diese erwachsen sind. Die Frage hat sich bei uns eigentlich nie gestellt, und unsere Studenten verspüren gar keine Lust, gewalttätige Filme zu drehen. Ich möchte ebenfalls betonen, dass dies auf einen Teil des Unterrichts zurückzuführen ist, den wir hier erteilen. Von den 42 Stunden Unterricht, den unsere Schüler erhalten, entfallen sechs auf Kurse, die wir «Judentum und Medien» nennen. Diese Kurse sind sehr vielschichtig. Zu den behandelten Themen gehören z.B. die Einstellung der jüdischen Gesetzgebung in Bezug auf Ästhetik, Verleumdung und Ethik in den Medien, aber auch die Vervielfältigungsrechte im Judentum und vieles mehr.

Wie wir sehen, spielt die «Ma’ale School of Communication, Art of Film and Television» eine wichtige Rolle. Sie öffnet nämlich die Tore des künstlerischen Ausdrucks der orthodoxen Welt, die oft keinen Zugang dazu besass. Gleichzeitig beweist sie, dass es möglich ist, gute Filme zu machen und dabei die Vorschriften der jüdischen Gesetzgebung, die sich auf Ästhetik und Kunst beziehen, streng einzuhalten.