Versteigerung von Judaika
Von Jennifer Breger *
In diesem Sommer haben bedeutende Versteigerungen von jüdischen Kunstgegenständen stattgefunden, welche den Sammlern die Gelegenheit boten, alte Bücher und Manuskripte zu erwerben. Die erste Versteigerung wurde am 23. Juni bei Christie’s in New York organisiert; bei den angebotenen Artikeln, die alle von einem einzigen Besitzer stammten, handelte es sich um hebräische Manuskripte und jüdische Bücher aus der ersten Zeit der Buchdruckerkunst, die Teil der Bibliothek des Beth Din der United Synagoge von London waren. Der Verkauf dieser umfangreichen Sammlung ist, wie vorauszusehen war, auf reges Interesse gestossen. Finanzielle Schwierigkeiten hatten die United Synagoge veranlasst, sich von ihren Schätzen zu trennen. Sie hatte bereits zahlreiche Kultgegenstände aus Silber veräussert. Da diese Werke der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren und dennoch vor kurzem zu einem Einbruch verleitet hatten, fanden es die Verantwortlichen der Synagoge vernünftiger, sie zum Verkauf freizugeben und den Gewinn für eine Pensionskasse und andere dringende Bedürfnisse zu verwenden.
Diese Entscheidung hat in England einige schwache Protestrufe bewirkt. Der Verwaltungsausschuss der vereinigten Synagoge, die sich aus den Vertretern von 66 Synagogen zusammensetzt, hatte den Verkauf der Bücher und Manuskripte mit 100 gegen 5 Stimmen gutgeheissen. Eine Sammlung wird letztendlich immer irgendwann aufgelöst, um anderswo in neuer Form wiederaufzuerstehen, das ist der Lauf der Dinge. Die umgekehrte Entwicklung ist ebenfalls zu beobachten, es kommt vor, dass Kunstgegenstände aus dem privaten in den öffentlichen Besitz übergehen.
Die Gegner des Verkaufs haben unter anderem ein noch triftigeres Argument vorgebracht und sagten, er sei das Zeichen für die Aufsplitterung eines Teils des Erbes, das dem englischen Judentum gehörte. Harry Rabinowicz, Gelehrter und Rabbiner, bezeichnet diese Initiative als „Verbrechen“ und „Skandal“ und fügt hinzu, dass “eine derartige Zerstörung und der Verkauf eines englisch-jüdischen Kulturguts dieser Bedeutung noch nie zuvor stattgefunden hat”. Dieses Ereignis wird noch betrüblicher dadurch, dass der Kern der Sammlung aus der Bibliothek von Salomon Hirschell (1761-1842) bestand, der als erster Grossrabbiner Englands amtierte und im Jahr 1802 an diesen Posten an der Grossen Synagoge von London berufen wurde. Als Nachkomme des Maharam von Padua (1482-1565) und Neffe des berühmten Rabbiners Jacob Emden war sein Vater, Zwi Hirsch Levin, Rabbiner in Berlin gewesen. Vor dem Umzug nach London hatte er neun Jahre lang das Rabbineramt in Prenzlau in Preussen betreut. Hirschell wurde als herausragende rabbinische Koryphäe angesehen; er hatte sich ebenfalls für die Schaffung eines Beth Midrasch-Instituts für Torah-Studenten und angehende Rabbiner eingesetzt. Gemäss dem “Jewish Chronicle” vom 6. Oktober 1845 umfasste die Bibliothek nach seinem Tod über viertausend Werke, “darunter sehr wertvolle, von unserem verstorbenen Grossrabbiner, seinem Vater und seinem Grossvater zusammengetragene Bücher und Manuskripte”. Sie wurde für eine Summe von 300 Pfund verkauft, die man für die Schaffung des Beth Midrasch verwendete.
Von den 140 Manuskripten, die von Christie’s angeboten werden, stammen mindestens 14 aus der Bibliothek des Vaters von Hirschell und über 20 sind mittelalterliche Handschriften. Unter diesen letzteren befinden sich einige ganz besondere Stücke. Das Sefer Sinai, zum Beispiel, ein vom Bruder des berühmten Meir von Rottenburg erstellter Halacha-Kodex, stellt das einzige bekannte Exemplar dieses Werks aus dem Mittelalter dar. Es wurde 1391 von drei Schriftgelehrten in Süddeutschland auf Pergament kopiert. Es gibt ebenfalls ein handschriftliches Sidur vom Beginn des 17. Jahrhunderts, der das Gebetbuch des Rabbi Scheftel Sofer von Prezemyl war. Der Text ist mit allen Vokalen versehen, was dieser Ausgabe Seltenheitswert und Einzigartigkeit verleiht. Rabbi Sofer war ein Experte für Vokalisierung, ein berühmter Grammatiker, und sein Sidur ist aus diesem Grund zu einem Referenzwerk für die genaue Version der Liturgie geworden. Das Manuskript zeichnet sich auch durch die darin enthaltenen “Haskamot” (Zustimmungen) aus, die von bekannten Rabbinern des 17. Jhds. gezeichnet wurden, insbesondere von Rabbi Joschua Falk, Autor des “Derischa und Perischa”, der Bach (Rabbi Joël Sirkes), der Maharscha, der Kli Yakar und viele andere. Diese berühmten Unterschriften zeugen von der weitreichenden Gelehrsamkeit in der jüdischen Welt Polens im 17. Jhd. Weiter sind eine Serie von 77 Manuskripten vorhanden, die mystische oder kabbalistische Texte enthalten, darunter mehrere Exemplare von Abhandlungen, die von den Schülern des “Ari” (Rabbi Isaac Luria) verfasst wurden, eines berühmten Mystikers und Gelehrten des 16. Jhds.
Unter den gezeigten Werken befindet sich eine Handschrift eines Halacha-Werkes, das für die schweizerischen Juden von besonderem Interesse ist: es handelt sich um den “Semak”, der Glossen des Rabbiners Mosche aus Zürich enthält, eines der seltenen schweizerischen Rabbis und Gelehrten aus dem Mittelalter. Er hat wahrscheinlich zu Beginn des 14. Jhds. in Zürich gelebt, bevor er sich in Bern niederliess. Es stimmt, dass ein gewisser Moses ben Sussman aus Zürich in den Archiven des Jahres 1329 und auch später erwähnt wird.
Obwohl die Bibliothek des Beth Din eine bedeutende Sammlung von gedruckten Büchern besitzt, wurden nur 8 Inkunabeln und ein später gedrucktes Werk zum Verkauf gebracht. Die bemerkenswerteste Inkunabel ist zweifellos das Sefer Raschba des spanischen Gelehrten Ibn Adret, die Teil einer berühmten, zwischen 1469 und 1472 in Rom gedruckten Textserie ist. Das 1515 in Prag auf Velin gedruckte Sidur hat von allen Gegenständen das lebhafteste Interesse geweckt. Als drittes auf Hebräisch geschriebenes Werk, das nördlich der Alpen gedruckt wurde, gehört es zu den beiden einzigen bekannten Exemplaren, wobei das zweite, das in Oxford aufbewahrt wird, nicht vollständig ist. Es wurde von einem zeitgenössischen Künstler in seinem ganzen Umfang mit Aquarell- und Temperamalerei illuminiert und mit Gold-, manchmal Silberverzierungen, ausgeschmückt.
Der diesjährige Verkauf von Christie’s folgte auf denjenigen der Shane Sammlung im vergangenen Jahr, die ebenfalls aus Grossbritannien stammte und einem Privatsammler gehörte. Da das Angebot sehr beachtlich war und eine weite Palette von Gegenständen umfasste, zog der Verkauf sehr viele Interessenten an, und Christie’s konnte einen Umsatz von über 5 Millionen Dollar erzielen. Die diesjährige Versteigerung betrifft ein stärker eingegrenztes Spezialgebiet, doch angesichts der bereits geschaffenen Bewegung steht fest, dass zahlreiche Käufer wenigstens einen Teil dieser berühmten Bibliothek erwerben wollten, wobei dieses Phänomen an dasjenige anlässlich der Verkaufs der Bibliothek Sassoon erinnert.
Natürlich ist ein Teil der entstehenden Faszination auf einen “besonderen” Verkauf zurückzuführen, doch die durch regelmässige Versteigerungen von jeweils seltenen und qualitativ hochstehenden Objekten bewirkte Langzeitwirkung darf nicht unterschätzt werden. Sotheby’s hält in Israel regelmässig Versteigerungen von jüdischen Kunstgegenständen ab, die ca. zweimal jährlich stattfinden, doch seit mehreren Jahren organisiert auch «Judaica» Verkäufe in Jerusalem, die in hebräisch- und englischsprachigen Katalogen angekündigt werden. Es wird immer eine reiche Auswahl an Einzelstücken, historisch bedeutenden Objekten, angeboten, die von den Fachleuten des hebräischen Buches und den Studenten jüdischer Geschichte sehr geschätzt werden. In diesem Jahr kamen 69 Werke aus der Werkstatt von Zeev Raban (von der Kunstakademie Bezalel) und eine einzigartige, aus Lyon stammende und von ca. 1900 datierte Estherrolle unter den Hammer. Diese “Hamelech”-Rolle weist erstaunliche Originalminiaturen auf, welche Theaterszenen illustrieren. Man sieht Esther, wie sie Haman manipuliert, als ob er eine Marionettenfigur wäre. Ebenfalls zum Verkauf angeboten wurden einige der ersten im 17. Jhd. in London gedruckten Werke in hebräischer Sprache, mehrere Bücher aus dem Orient und dem Fernen Osten (Bagdad, Kalkutta und Poona). Wie üblich wurden zahlreiche Werke im Heiligen Land gedruckt, insbesondere einige der ersten in Jerusalem gedruckten Bücher, sowie Plakate und öffentliche Aufrufe der Rabbiner.
«Kestenbaum & Co» aus New York haben im November 1996 in New York ihre erste öffentliche Versteigerung von hebräischen Büchern abgehalten und organisieren jetzt den siebten Verkauf, wobei sie immer in ausgezeichneten Katalogen präsentierte Waren von bester Qualität anbieten. Der im Juni durchgeführte Verkauf ist der bedeutendste, der je von diesem Haus veranstaltet wurde. Über 700 Gegenstände werden im Katalog aufgeführt, darunter eine umfangreiche Sammlung von jüdischen rituellen Gegenständen. Zwei Drittel der Artikel stammen aus einer einzigen Sammlung, derjenigen eines 1940 in den Vereinigten Staaten eingetroffenen Paares aus Zentraleuropa. Es gehören einige sehr schöne Chanukka-Leuchter und “Rimonim” (dekorative Glöckchen für die Torahrollen) dazu. Das Angebot umfasst auch ein 1772 in Venedig entstandenes Sidur mit einem herrlichen italienischen Silbereinband, der aus der Sammlung des Prinzen Nicolai Callimachi aus Moldawien stammt. Angeblich exisitiert ein Dokument, das bestätigt, dass dieses Gebetbuch von einem Vorfahren des Prinzen erworben wurde, einem von jüdischen Werken begeisterten Kirchenmann. Er kaufte es anlässlich eines Besuchs beim Papst 1774 in Rom, und das Sidur war seither im Besitz der Familie geblieben.
Hervorzuheben ist auch eine Inkunabel aus Neapel: es handelt sich um einen Torahkommentar von Rabbenu Behayé, der 1492 gedruckt wurde. Veräussert wird ebenfalls eine grosse Sammlung seltener Gegenstände, die mit der umstrittenen Figur des Rabbiners und Gelehrten Jacob Emden verbunden sind. Besonders interessant ist ein Gebetbuch in zwei Bänden: es wurde um 1520 in Venedig vom berühmten christlichen Buchdrucker Daniel Bomberg geschaffen und entspricht dem griechisch-rumänischen Ritus, der aus dem in byzantinischen Reich üblichen Ritus entstanden ist. Da kein anderes vollständiges Exemplar dieses Werkes existiert, gilt diese Ausgabe als ausgesprochen kostbar. Das “Machsor” enthält Informationen über die Gesetze und Gebräuche der rumänischen Gemeinschaft, die den damals in Eretz Israel üblichen Gepflogenheiten weitgehend entsprechen. Mit der Zeit wurde der rumänische Ritus durch den sefardischen ersetzt.
Zahlreiche weitere seltene Objekte sind Teil dieses Verkaufs, zum Beispiel das erste hebräische Buch - und wahrscheinlich das einzige -, das 1605 in Damaskus gedruckt wurde, als die jüdischen Buchdrucker aus Safed hier vor einem Angriff der Drusen Zuflucht suchten. Unter den Manuskripten sticht ein Werk in Hebräisch hervor, das mit einer im 19. Jhd. in Ancona angefertigten italienischen Übersetzung einhergeht; es ist mit zarten Illustrationen versehen und spricht in Form von Fragen und Antworten von den Gesetzen der rituellen Schächtung.
In diesem Sommer fand die zweite öffentliche Versteigerung zugunsten der Jeschiwah von Baranovitsch statt. Die letztjährige war mit 95% verkaufter Objekte von einem erfreulichen Erfolg gekrönt gewesen. Das Angebot umfasst dieses Mal eine Reihe von bedeutenden Objekten und faszinierende Manuskripte, u.a. diejenigen der Baale Tossaphot. Eines von ihnen hat jedoch bereits einige Kontroversen ausgelöst. Sobald nämlich in der Welt der jüdischen Bücher von einer “Entdeckung” die Rede ist, steigt die Spannung merklich an, vor allem wenn man davon ausgeht, es könnte vielleicht eine Fälschung sein! Eine siebenseitige, von Soncino 1486 auf Velin gedruckte Haggadah ist angeblich im Einband eines anderen Werkes aus dem 16. Jhd. vor anderthalb oder zwei Jahren in Israel entdeckt worden. Es war allgemein üblich, alte Blätter für das Auffüllen von Einbänden neuerer Werke zu verwenden. Es handelt sich um ein anderes Format als das der Haggadah von Soncino, die Teil eines anderen Gebetbuches ist. Nach Ansicht der Auktionatoren haben die Blätter gewaschen und chemisch behandelt werden müssen, um das völlig zerknitterte Papier zu glätten. Durch diese Behandlung ist das Velin durchsichtig geworden und die Datierung mit Hilfe der C14-Methode scheint unmöglich geworden zu sein; andere Labortests haben jedoch erwiesen, dass eine Verbindung zwischen diesen Blättern und anderen, im selben Jahr auf derselben Presse gedruckten Werken besteht. Diese Seiten haben keinen Käufer gefunden.
Die Versteigerungen im Juni haben mit einem bedeutenden Verkauf bei Christie’s in Amsterdam begonnen, wo zwei Paare Rimonim, das eine aus England (Hester Bateman, England 1780), das andere aus den Vereinigten Staaten ( Zalmon Bostwick, New York 1850) weit über dem geschätzten Wert veräussert werden konnten, d.h. für US$.330'000,--, bzw. US$.420'000,--.
Die Versteigerung von Christie’s in New York hingegen hat einen Umsatz von fast vier Millionen Dollar erreicht. Das von 1515 datierte, aus Prag stammende illuminierte Gebetbuch wurde für US$.937'500.-- verkauft, was einen absoluten Rekord darstellt. Ein anderes handschriftliches Gebetbuch aus dem 17. Jhd., das Unterschriften und Anmerkungen von Rabbinern enthält, wechselte für US$.225'000,-- die Hand. Bei den Versteigerungen von Kestenbaum & Co in New York erzielte ein Silbereinband eines aus der Sammlung der Königsfamilie von Moldawien stammenden Gebetbuches den Preis von US$.27'500,-- (dreimal höher als der Schätzwert). So geht eine Saison spektakulärer Versteigerungen zu Ende, in deren Verlauf zahlreiche Rekordpreise erzielt wurden, was bereits im März bei Sotheby’s New York begann, wo eine Torah-Krone aus dem chassidischen Hof des Rabbiners Israël von Ruzhin (1797-1850) für US$.1'322'500,-- verkauft wurde, gefolgt von einigen Gegenständen aus der berühmten Sammlung Sassoon, die im April bei Sotheby’s in Tel Aviv Rekordsummen einbrachten.
Heute geniessen die Liebhaber von Büchern und Handschriften das Vergnügen, in den wunderbaren, reich illustrierten und ausführlich dokumentierten Katalogen zu blättern. Sie fiebern bei den spannungsgeladenen Versteigerungen mit, denn es besteht eine echte Faszination für diese Welt der hebräischen Bücher und Manuskripte, die weit über den finanziellen Wert dieser kostbaren Gegenstände hinausgeht.

* Jennifer Breger besitzt ein Diplom der Universität von Oxford und der Hebräischen Universität von Jerusalem. Sie ist Spezialistin für jüdische und hebräische Bücher und lebt in Washington.