Efrat
Von Roland S Süssmann
Ein alter Witz berichtet von der jüdischen Mutter, die stolz ihre zwei Söhnchen vorstellt, die 3 bzw. 5 Jahre alt sind : «Das ist Mosche, der Arzt, und dies ist Jakob, der Anwalt ». Bei unserer Reise durch die jüdischen Gebiete von Judäa, Samaria und Gaza haben wir heute in einer aufstrebenden Siedlung namens EFRAT Halt gemacht, welche die Träume aller jüdischen Mütter des obenerwähnten Typs wahr werden lässt, da es sich um eine wahre Akademikerstadt handelt. Efrat liegt in der Gegend, die allgemein «Gusch Etzion - der Block Etzion» genannt wird und 16 Ortschaften umfasst (siehe SHALOM Vol.VIII), und hat eine interessante und recht ungewöhnliche Entwicklung durchlaufen. Dieser Ort ist die «Hauptstadt» dieses Blocks und besitzt seinen eigenen Stadtrat.

Bevor wir jedoch von der Entwicklung und der Besonderheit von Efrat sprechen, möchten wir kurz an die Geschichte von Gusch Etzion erinnern. Der Ort wurde 1927 gegründet, doch seine Bewohner mussten ihn 1929 nach den Massakern in Hebron verlassen. 1943 liess sich eine neue Gruppe von Immigranten hier nieder. Am 29. November 1947 beendete die historische UNO-Abstimmung das britische Mandat über das damals Palästina genannte Gebiet, und einige Tage später verliess während Chanukkah ein aus mehreren Fahrzeugen bestehender Konvoi Jerusalem Richtung Gusch. Er wurde angegriffen und zehn Männer fanden dabei den Tod. Damit begann die Belagerung von Gusch Etzion. Als die Enklave in die Hände der Araber fiel, waren die Frauen und Kinder bereits evakuiert worden, und es blieben nur die kämpfenden Männer, einige Krankenschwestern und die nicht transportfähigen Verwundeten und Kranken zurück. Nach ihrem Eintreffen im Ort versammelte die arabische Legion die Männer auf dem Hauptplatz mit der Begründung, sie vor dem Abtransport in die Gefangenschaft fotografieren zu wollen. Sobald alle beisammen waren, erschossen die Araber sie mit ihren Maschinengewehren und warfen Handgranaten in den Bunker, der als Krankenhaus diente : 250 Menschen starben auf diese Weise in Gusch Etzion, d.h. 5% aller jüdischen Opfer des Unabhängigkeitskrieges von 1948. Das Gemetzel fand nur einen Tag vor der Schaffung des Staates Israel statt.
Die Witwen und Kinder der Opfer überlebten die Tragödie mit dem einzigen fixen Gedanken, nach Gusch Etzion zurückzukehren, was nach der Befreiung von Judäa-Samaria infolge des arabischen Angriffs 1967 möglich wurde.
Gegenwärtig zählt die Region ca. 7’500 Einwohner, ohne Efrat einzuschliessen, wo allein weitere 6’500 Menschen leben. Die Stadt wurde 1983 von einem Mann namens Mosko gegründet, einem Überlebenden der Massaker von 1948, und Efrat gilt heute ein wenig als «schicker Vorort» von Jerusalem. Insgesamt gehört die Bevölkerung einer höheren gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schicht an als in den anderen jüdischen Städten und Dörfern von Judäa-Samaria. Die Häuser sind hier vornehmer und teurer als in den anderen Ortschaften, die in den Gebieten liegen, und die Nachfrage steigt beständig. Vor kurzem ist das erste Herrenhaus, das eine Million USD kostet, eingeweiht worden, was nichts daran ändert, dass es in der Nähe einer Gruppe von Wohnwagen steht, wo junge israelische Paare leben, die sich eine Wohnung oder ein Haus noch nicht leisten können. Dank einer neuen Umfahrungsstrasse um Bethlehem ist Efrat für alle leicht zu erreichen, die in Jerusalem leben und in der gesunden Land- oder Bergluft leben möchten, da die Stadt auf einer Höhe von 960 m über Meer liegt. Diese neue Strasse verdient unsere besondere Aufmerksamkeit, denn es ist die erste israelische Strasse, die zwei (!) Tunnels besitzt und damit den ganzen Stolz der Einwohner von Efrat ausmacht, die sie die «Tunnelstrasse» genannt haben. Die Fahrzeit von der Hauptstadt bis nach Efrat beträgt bei flüssigem Verkehr ca. 20 Minuten… wobei eine-bis zwei Minuten auf die Tunnels entfallen.
Um mehr über Efrat zu erfahren, sind wir dem Bürgermeister dieser Stadt, INON ACHIMAN, begegnet, der uns die Ehre erwies, uns in «seinem» Ort herumzuführen.

Das erste, was dem Besucher beim Eintreffen in Ihre Stadt auffällt, ist trotz allem die Nähe der ersten arabischen Behausungen, die sich nur wenige Meter von den jüdischen Häusern entfernt befinden. Können Sie uns die Beziehungen zwischen beiden Gemeinschaften beschreiben ?

Es wird Sie vielleicht erstaunen, doch sie sind recht gut. Selbst während der Intifada hatten wir eine Art ungeschriebenes «Gentlemen Agreement» beibehalten, so dass die Intifada sich auf den Strassen, jedoch nicht in den jüdischen oder arabischen Dörfern abspielte. Wir leben in einer sehr jüdischen Gegend, in der König David seine Herden weiden liess, als er noch Hirte war ; vergessen wir nicht, dass Efrat unter dem Namen Efrata oft in der Bibel erwähnt wird. Heute befindet sich die gesamte Landwirtschaft in den Händen der Araber, die Privatgrundbesitzer sind. Die Zusammenarbeit mit ihnen kann als ausgezeichnet beschrieben werden, und auch auf persönlicher Ebene sind die Beziehungen gut. Wie Sie feststellen konnten, trennen uns weder Hecken noch Stacheldrähte. Natürlich treffen wir eine Reihe von Vorsichtsmassnahmen in bezug auf die Sicherheit, doch Efrat ist keine belagerte Stadt und auch kein Hochsicherheitstrakt. Wir setzen alles daran, um gute nachbarliche Beziehungen zu fördern und beizubehalten. Zur Veranschaulichung meiner Worte weise ich darauf hin, dass der Fussballklub eines benachbarten arabischen Dorfes, der in der palästinensischen Liga gut plaziert ist, gratis auf unserem städtischen Platz trainieren darf.

Aus welchen sozioökonomischen Schichten setzt sich die Bevölkerung von Efrat hauptsächlich zusammen ?

Die Bevölkerung von Efrat besteht zu 45% aus Einwanderern, die hauptsächlich aus englischsprachigen Ländern stammen. Die meisten sind Anhänger derselben religiösen Ausrichtung, der modernen Orthodoxie, und sind sehr nationalistisch. Wir stellen eine recht interessante Gruppe dar, denn die grosse Mehrzahl der hier lebenden Menschen sind Intellektuelle, die entweder in den Universitäten (insbesondere Bar Ilan) oder im Schulwesen arbeiten. Fast 80% von ihnen haben ihr Studium mit mindestens einem Lizenziat abgeschlossen und über 35% der arbeitenden Bevölkerung haben promoviert, ein Diplom nach der Promotion abgeschlossen oder besitzen gar einen Lehrstuhl als Universitätsprofessor. Das Unterrichtsniveau ist hier sehr hoch und Efrat dient nicht nur als regionales Zentrum, sondern weist auch einige Schulen, darunter auch Internate auf, die von Schülern und Studenten aus dem ganzen Land besucht werden. Ich denke dabei insbesondere an das von Rabbiner Schlomo Rikskin gegründete Gymnasium sowie an einige Yeschiwoth. Ein grosser Teil der Einwohner arbeitet natürlich in Jerusalem, doch zahlreiche Menschen leben und arbeiten, vor allem in der Lehre, in Efrat selber. Wir können also nicht als reine Schlafstadt bezeichnet werden.
Wir verfügen heute bereits über eine kleine Industriezone, in der sich kleine, auf Spitzentechnologie und Informatik spezialisierte Unternehmen niedergelassen haben. Wir sind dabei, in direkter Zusammenarbeit mit unserem Regionalrat eine grosse Industriezone zu schaffen, die interessierten Unternehmen jede gewünschte Infrastruktur wird anbieten können.
Efrat ist eine sehr langgestreckte Stadt, die auf sieben Hügeln liegt, die nach den im Land Eretz Israel gedeihenden Früchten benannt sind. Die Stadt zählt noch einen achten Hügel, Eitan, der eigentlich der wichtigste ist und vor zweitausend Jahren dem Tempel von Jerusalem als Wasserreservat diente. Sie besitzt drei Schulen, zwei Einkaufszentren, zwei rituelle Bäder und zwanzig Synagogen. Was von der lokalen, aber auch von der regionalen Bevölkerung am meisten geschätzt wird, ist jedoch unser Freizeitzentrum.
Wir besitzen verschiedene Ausbau- und Entwicklungspläne. Wir bauen gegenwärtig eine neue Zone, die 2500 neue Wohneinheiten für 12 000 neue Bewohner umfassen wird.

Sie haben das Freizeitzentrum erwähnt. Können Sie es uns näher beschreiben ?

Unser von Yschaï Tachover geleitetes Freizeitzentrum bietet kulturelle und sportliche Veranstaltungen für jedes Alter ab zweieinhalb Jahren an. Wir werden zwischen September bis Juni von durchschnittlich 600 Familien pro Jahr aufgesucht, die aus Efrat selbst stammen oder aus der gesamten Region, und die ganz nach Wunsch an einer der 75 verschiedenen Aktivitäten teilnehmen, die wir anbieten. Unser Zentrum spielt eine sehr wichtige Rolle für die Eltern, die bis spät arbeiten, die Kinder werden bei uns auf interessante Weise beschäftigt und treiben sich nicht auf der Strasse herum. Um Ihnen eine Vorstellung vom Ausmass unserer Aktivitäten und von der Bedeutung unseres Zentrums zu geben, möchte ich ein kleines Fest erwähnen, das wir im Januar für Sechs- bis Zwölfjährige veranstaltet haben, und an dem 700 Kinder teilnahmen ! Da sich Efrat immer weiter ausdehnt, haben wir in einem anderen Stadtteil bereits eine «Filiale» eröffnet.

Abschliessend können wir sagen, dass von den Verantwortlichen und den Bewohnern von Efrat alles unternommen wird, damit die Lebensqualität angenehm ist und eine positive Atmosphäre herrscht. Die immer stärkere Nachfrage im Immobilienbereich lässt den Schluss zu, dass Efrat tatsächlich eine grosse Anziehungskraft besitzt.