Umwelt und individuelle Verantwortung
Von Rabbiner Shabtaï Rappoport *
P. liebt schnelle und rassige Autos und ist in der glücklichen Lage, sich diesen Luxus auch leisten zu können. Selbst in den 70er Jahren, als die Benzinpreise in die Höhe schnellten und die Besitzer grosser Wagen schwer darunter zu leiden hatten, fuhr er weiterhin ungerührt mit seinem Achtzylindermotor herum. P. behauptet seit eh und je, dieser Autotyp sei sicherer, obwohl er zugibt, dass er damit hauptsächlich seine Vorliebe für Geschwindigkeit befriedige. Seine Meinung darüber hat er lange Zeit nicht geändert, bis die ersten Berichte zur Klimaerwärmung veröffentlicht wurden, deren Ursache der Treibhauseffekt ist.
Der Treibhauseffekt beschreibt als Phänomen die Rolle der Erdatmosphäre bei der Isolierung und der Erwärmung der Erdoberfläche. Die Erdatmosphäre ist grösstenteils durchlässig für kurzwellige Sonnenstrahlung, die nach ihrer Absorption durch die Erde zu ihrer Erwärmung beiträgt. Ein guter Teil dieser Strahlen werden dann von der Erde durch Infrarotstrahlen wieder reflektiert und lassen die Erdoberfläche somit wieder abkühlen, werden aber von den Gasen, insbesondere dem Kohlendioxid, aus denen sich die Atmosphäre zusammensetzt, zur Erde zurückgeworfen. So stellt sich die Situation dar, solange der Anteil Kohlendioxid in der Erdatmosphäre konstant bleibt.
Im Verlauf der letzten Jahre ist der Anteil Kohlendioxid infolge der übermässigen Verwendung von fossilen Brennstoffen, wie beispielsweise Benzin, Gas und Kohlen, in der Erdatmosphäre jedoch um 0,4% pro Jahr angestiegen. Es ist bekannt, dass die Pflanzen Kohlendioxid absorbieren, und so hat sich die Rodung der tropischen Wälder, die Lungen unseres Planeten, katastrophal ausgewirkt. Aus dem Zusammentreffen dieser Faktoren scheint sich ein allgemeiner Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur zu ergeben, die im Jahr 2100 2°C erreichen wird. Eine derartige Erwärmung droht auf der ganzen Welt zu klimatischen Veränderungen zu führen, die in verschiedenen Regionen des Planeten durch grosse Dürreperioden zum Ausdruck kommen, was selbstverständlich die Ernten ernsthaft in Frage stellt. Andererseits wird auch der Meerespiegel durch das Abschmelzen der Polkappen bedeutend ansteigen. Millionen von Menschen laufen Gefahr, riesigen Überschwemmungen zu Opfer zu fallen.
Indem er seinem persönlichen Vergnügen frönt, trägt P. täglich seinen Teil zur Katastrophe bei. Sein persönlicher Anteil ist natürlich verschwindend klein gegenüber den unglaublichen Mengen fossiler Brennstoffe, die weltweit verbrannt werden. Selbst wenn P. nie wieder Auto fahren würde, bleibt seine Geste in bezug auf den Treibhauseffekt lächerlich klein. Es liegt nun bei den Regierungen, zusammenzutreten und Massnahmen zu ergreifen, um die Verbrennung fossiler Brennstoffe einzuschränken. Wenn jedes Individuum aber seinen Treibstoffverbrauch freiwillig reduzierte, könnte der allgemeine Temperaturanstieg gestoppt werden. P. wird demnach mit dem Dilemma seiner Verantwortung als Individuum konfrontiert. Soll er seinen Beitrag zu den Schäden einschränken, indem er sein Auto durch ein sparsameres Modell ersetzt oder es nur noch im absoluten Bedarfsfall verwendet ? Oder soll er, da er keinen Einfluss auf den Rest der Welt besitzt, im gleichen Stil weiterleben und einfach darauf warten, dass die Regierung endlich handelt ?
Im Deuteronomium (Kap. XX, 19) heisst es: "Wenn du vor einer Stadt lange Zeit liegen musst, gegen die du kämpfst, um sie zu erobern, so sollst du ihre Bäume nicht verderben und mit Äxten umhauen, denn du kannst davon essen; darum sollst du sie nicht fällen" Die Weisen interpretieren dieses Verbot, die uns nährenden Bäume zu fällen, und erweitern seine Anwendung auf jedwede sinnlose oder übertriebene Zerstörung. Maimonides legt fest (Gesetze über die Könige und Gesetze VI, 10): "Dieses Verbot betrifft nicht nur die Bäume. Jeder Mensch, der nützliche Gegenstände kaputt macht, Kleider zerreisst, ein Gebäude zerstört, eine Wasserquelle austrocknet oder Nahrung sinnlos vernichtet, überschreitet das Verbot 'sie zu fällen'." Sogar die Verschwendung von Treibstoff gilt als sinnlose Zerstörung: "Raw Zutra hat gesagt: Derjenige, der eine Öllampe bedeckt oder eine Petrollampe abdeckt, verstösst gegen das Verbot der sinnlosen Vernichtung" (Schabbat 67 b), weil dieses Handeln ungerechtfertigterweise eine höhere Verbrennung des Brennstoffs verursacht. Im selben Sinne sagt Raw Chisda, dass ein Mensch, der Gerstenbrot essen kann, sich jedoch von Weizenbrot ernährt, das Prinzip "du sollst sie nicht fällen" verletzt, und Raw Papa sagt, dass ein Mensch, der Bier trinken könnte und stattdessen Wein trinkt, gegen dieselbe Regel verstösst (ibid. 140b). Müssen wir daraus schliessen, dass man nur bei wirklichem Bedarf Auto fahren und dabei nur die sparsamsten Fahrzeuge verwenden darf?
In Wirklichkeit wurden die von Raw Hisda und Raw Papa erwähnten Regeln nicht akzeptiert. Der Talmud schliesst daraus: "... aber dies stimmt nicht, die Erhaltung des eigenen Körpers besitzt den Vorrang vor dem Prinzip 'du sollst sie nicht fällen' [mit anderen Worten, vor dem Schutz der Natur]", was bedeutet, dass der Verzehr einer qualitätsmässig höherstehenden Nahrung nicht als Verschwendung angesehen wird, sondern als angemessene Verwendung dieser Nahrung, da sie der Gesundheit zuträglich ist. Hingegen stellen das Bedecken einer Öllampe oder das Abdecken einer Petrollampe eine reine Verschwendung dar, da die intensivere Verbrennung des Brennstoffs keinen Vorteil ergibt. Dasselbe hält auch Tosafot (Avoda Zara 11a) fest, dass nämlich der alte Brauch, beim Begräbnis eines Königs wertvolle Gegenstände - darunter Kleider, andere Dinge oder gar Tiere - zu zerstören, nicht als Verschwendung gilt. Es handelt sich um eine legitime Verwendung dieser Güter, vergleichbar mit dem Brauch, den königlichen Leichnam in ein kostbares Leichentuch zu hüllen. Daraus folgt, dass die Verwendung von Ressourcen gemäss anerkannter gesellschaftlicher Normen erlaubt ist, auch wenn dies nicht immer in effizienter oder sparsamer Weise geschieht. Das Verbrauchen von mehr Benzin, als unbedingt notwendig, weil man sich für einen leistungsstarken Wagen entscheidet, um eine höhere Sicherheit zu geniessen oder sich einfach ein Vergnügen zu gönnen, verkörpert demnach ganz ohne Zweifel eine mit den gesellschaftlichen Normen zu vereinbarende und demzufolge erlaubte Handlung.
Das biblische Gebot, das die Zerstörung der Bäume verbietet, weist jedoch einen weiteren Gesichtspunkt auf. Maimonides vergleicht ihn mit dem Austrocknen einer Wasserquelle, wobei dieser Vergleich für unser Problem, d.h. die globale Verschlechterung der Atmosphäre und des Klimas, sehr passend ist. Wie kann man mit diesem Verbot im Rahmen der erlaubten Verwendung der Ressourcen umgehen? Besitzt eine Stadt das Recht, ihre giftigen Industrieabfälle in den benachbarten Fluss zu schütten? Einerseits ist diese Art und Weise der Abfalleliminierung die logische Folge unseres bequemen Lebens, das von der Industrie gefördert wird.
Andererseits tragen wir so zur endgültigen Verschmutzung einer bedeutenden Wasserquelle bei.
Rabbiner Yaakov Emden, ein herausragender Gelehrter des 18. Jhds., bemerkt (Scheelat Yavetz Bd. I Kap. 76), dass je nach talmudischem Zeugnis (Tamid 29b) einzig die sterilen Feigenbäume im Tempel von Jerusalem als Brennholz verwendet wurden. Er bestätigt, dass das Fällen von fruchttragenden Feigenbäumen, da sie das einzige für den Altar in Frage kommende Holz darstellten, nicht als eine sinnlose Zerstörung angesehen wurde. Die ausschliessliche Verwendung steriler Bäume erfolgte demnach aufgrund der Besorgnis um die Zukunft: wenn man nämlich weiterhin fruchttragende Bäume fällte, lief man Gefahr, langfristig das völlige Aussterben der Feigenbäume in Israel herbeizuführen. Selbst wenn eine individuelle Handlung erlaubt ist, da sie einer der Norm entsprechenden Verwendung der Ressourcen entspricht und nur minime Schäden verursacht, muss die Gesellschaft als solche grössere Vorsicht an den Tag legen.
Rabbiner Joseph Rozin, der in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts in Polen lebte, wurde nach seinem Geburtsort (Rogatschov) auch der "Rogatschover" genannt. Dieser bemerkenswerte Gesetzeskommentator hat eine sehr zutreffende Bemerkung (Tsofnat Paaneah Kilaim S. 45) über die Einstellung der Halacha im Hinblick auf die individuelle Verantwortung bei Handlungen mit Kumulativeffekt gemacht. Wenn das Wesen des Verbots eigentlich die verbotene Handlung selbst bedeutet - wenn man beispielsweise die Schabbat-Gesetze bricht -, kann eine individuelle Handlung, die nur zum Teil aus der verbotenen Tat besteht, gestattet werden. So ist das Anzünden des elektrischen Lichts am Schabbat untersagt, doch unter bestimmten Umständen erlaubt man es zwei Personen, gemeinsam den Schalter zu betätigen. Wenn die Essenz des Verbots hingegen die Ergebnisse und die Auswirkungen der Handlung betrifft, - z.B. bei einem Mord - , ist jede Beteiligung, auch in geringstem Ausmass, strikt verboten. Wenn also eine Bande von Kriminellen einen Mord begeht, wird jedes Mitglied als Mörder angesehen. Im selben Sinne ist, wenn die Ergebnisse und Auswirkungen der Handlung das Wesen des Verbots ausmachen, ein auch indirektes Herbeiführen dieser Auswirkungen verboten. Das indirekte Anzünden von Licht am Schabbat mag erlaubt sein, das indirekte und ausdrücklich verbotene Begehen eines Mordes ist jedoch streng untersagt. Abschliessend könnte man sagen, dass jedes biblische Verbot, das ausdrücklich die indirekte Ursache einer verbotenen Folge umfasst, das Schlussergebnis natürlich als sein Wesen betrachtet.
Die Einführung von Maimonides (Gesetz über Könige und Kriege VI, 8) zum Thema des Verbots einer sinnlosen Zerstörungshandlung (oder der Verschwendung) beginnt mit folgenden Worten: "Es ist verboten, Obstbäume zu fällen... oder ihre Wassergefässe derart zu blockieren, dass sie austrocknen und sterben." Das Unterbinden der Wasserversorgung stellt zweifellos eine Handlung dar, die indirekt zur Zerstörung des Obstbaumes führt, und dies ist ausdrücklich verboten. Daraus folgt, dass die Essenz des Verbots in bezug auf die sinnlose Zerstörung nicht die Tat der Zerstörung, sondern seine Auswirkung beinhaltet. Gemäss der Analyse des Rogatschovers folgt daraus sogar, dass auch eine minime Beteiligung streng verboten ist.
Wenn P. einen Wagen fährt, der mehr Benzin als unbedingt erforderlich verbraucht, nimmt er an der Verschmutzung der Erdatmosphäre und des weltweiten Klimas teil und verstösst gegen ein biblisches Gebot. Er hat keine andere Wahl, als auf seine grossen Wagen zu verzichten.

* Rabbiner Shabtaï A. Rappoport leitet die Yeschiwah "Schwut Israel" in Efrat (Gusch Etzion). Neben anderen Werken hat er die beiden letzten Bände der Responsen herausgegeben, die von Rabbiner Mosche Feinstein, s.A., geschrieben wurden. Er entwickelt gegenwärtig eine Datenbank, die alle aktuellen Themen der Halacha umfasst. Anfragen oder Kommentare an folgende E-Mail-Adresse: shrap@mofet.macam98.ac.il