Ausstellungen zu jüdischen Themen in Amerika
Von Jennifer Breger *
Auf die Besucher, die dieses Jahr nach Amerika reisen, warten einige bemerkenswerte Ausstellungen zu jüdischen Themen. Dieser Artikel wird Sie über drei davon informieren; eine von ihnen befasst sich mit den ersten Juden in Amerika, eine andere ist einer bedeutenden Soutine-Retrospektive gewidmet und eine dritte betrifft den amerikanisch-jüdischen Künstler und Bildhauer George Segal.
Eine Ausstellung, welche seltene amerikanisch-jüdische Porträts und dekorative Gegenstände aus den Jahren zwischen 1700 bis ca. 1830 zeigt, kann bis zum 24. Mai in der Maryland Historical Society in Baltimore besichtigt werden. Die Ausstellung trägt den Titel Facing the New World: Jewish Portraits and Decorative Arts in Colonial and Federal America (Angesichts der Neuen Welt: Jüdische Porträts und dekorative Gegenstände im Amerika der Kolonialzeit und der Föderation) und wurde vom Jewish Museum in New York organisiert; sie beinhaltet zahlreiche Gegenstände, die den ersten jüdischen Familien von Baltimore gehörten, wie z.B. den Ettings und Cohens, darunter Möbel aus der föderalen Epoche, Miniaturen, Textilien, Silberarbeiten und rituelle jüdische Gegenstände. Besonders eindrücklich ist eine Gruppe von Miniaturporträts, die in Amerika am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts so beliebt waren und oft als Medaillons, Anstecknadeln oder Armbänder getragen wurden, sowie Silberschmuck, der vom berühmten frühen amerikanisch-jüdischen Silberschmied Myer Myers hergestellt wurd. Die Shalom-Leser erinnern sich sicher an den Artikel (Vol.XIV) über eine Ausstellung zu den Familien Levy-Franks im kolonialen New York. Diese Porträts gehören zusammen mit vielen anderen bekannter jüdischer Familien aus Boston, Newport, Philadelphia und Baltimore zur Ausstellung. Viele Porträts sind stilisierte Porträts der Epoche, und viele von ihnen besitzten nichts typisch Jüdisches. Die Abgebildeten sehen aus wie ihre nichtjüdischen Nachbarn und ihresgleichen und möchten auch so gesehen werden. Aus dem 18. Jahrhundert liegen Beispiele für Porträts von Juden vor, die von berühmten Malern wie Gilbert Stuart, Thomas Sully, Charles Wilson Peale und seinem Sohn Rembrandt Peale stammen. Dank einigen dieser Bildnisse können wir Namen aus der frühen jüdisch-amerikanischen Geschichte mit einem Gesicht versehen. Colonel Isaac Frank, beispielsweise, war ein Offizier der Revolutionsarmee, der unter dem direkten Kommando von George Washington kämpfte. Später, als das tödliche gelbe Fieber Philadelphia heimsuchte, bot Franks sein Haus dem Präsidenten Washington und seiner Familie als sicheren Zufluchtsort an. Thomas Jefferson, Alexander Hamilton und andere versammelten sich dort 1793 und 1794 zu Kabinettssitzungen. Eine weitere faszinierende Persönlichkeit, deren Bildnis sich ebenfalls hier befindet, ist Mordechai Noah. Er wurde in einer Familie geboren, die sowohl aschkenasische als auch sephardische Wurzeln aufweist, und wurde in Charleston, New York und Philadelphia erzogen. Er schrieb Theaterstücke, war Politiker, Diplomat und Herausgeber einer Zeitung, hegte aber auch den utopischen Plan, im Norden des Bundesstaates New York ein autonomes jüdisches Heimatland namens "Ararat" zu schaffen, was allerdings nie verwirklicht wurde.
In Baltimore, Maryland, lebt heute eine zahlreiche jüdische Bevölkerung, von der ein sehr grosser Teil orthodox ist. Zu Beginn liessen sich nur sehr wenige Juden in Maryland nieder, einerseits wegen der religiösen Intoleranz dieses Staates und andererseits weil die Wirtschaft ganz auf den Tabak ausgerichtet war. Nach der Revolution nahm die religiöse Toleranz zu, die Wirtschaft expandierte und immer mehr Juden zogen hierher. 1825 lebten ca. 150 Juden in diesem Staat. Die Ettings gehörten zu den bekanntesten Familien; Elijah Etting emigrierte 1758 aus Frankfurt nach York, Pennsylvania, wo er mit den eingeborenen Indianern Handel betrieb. Nach seinem Tod 1778 zog seine Witwe mit ihren acht Kindern nach Baltimore, wo sie ihren Lebensunterhalt durch das Betreiben einer Pension bestritt. Auf ihrem Porträt trägt sie einen Scheitel. Ihr Sohn Solomon Etting war ein bedeutender Geschäftsmann und Bürgerrechtler in Baltimore. Er bekämpfte auch die Sklaverei und setzte sich für die Bürgerrechte der Juden ein; er war einer der ersten jüdischen Mitglieder des Stadtrates von Baltimore. Von 1818 bis 1825 erhielt die Legislative von Maryland Petitionen, damit den Juden von Maryland dieselben Rechte und Privilegien zugestanden würden, wie allen Bürgern gemäss der Verfassung. Das 1826 verabschiedete Gesetz ermächtigte jeden, der in ein Amt ernannt wurde und "dem jüdischen Glauben angehörte", "in einem zukünftigen System von Belohnung und Strafe ein Glaubensbekenntnis in seiner Religion abzulegen" anstatt eines Bekenntnisses zum Christentum.
Solomon Etting heiratete Rachel Gratz aus Philadelphia, was die Ettings mit der bekannten Familie Gratz verband. Die Ausstellung schliesst ein von Rachel Gratz 1773 - sie war damals erst neun - gesticktes Mustertuch ein. Ihr Vater Bernard Gratz war ein in Deutschland geborener Kaufmann, der gegen die Briten kämpfte. Später führten er und sein Bruder Michael ihre Spekulationen mit Geschäften und Land an der westlichen Grenze fort. Bernard Gratz war ein Gründungsmitglied und der erste Präsident der Congregation Mikveh Israel in Philadelphia. Sein Porträt in der Ausstellung zeigt ihn mit religiösen und weltlichen Büchern, weil er damit sein Selbstbild verdeutlichen wollte, dass er sich in zwei Kulturen heimisch fühlte. Die Gegenstände im Zusammenhang mit der Familie Etting enthüllen oft viel über das Leben der bekannten jüdischen Familien von damals, und es gibt auch einige wunderschöne Mödelstücke , wie beispielsweise eine Frisierkommode aus Mahagoni- und Satinholz mit Intarsien und Glasmalerei, die für Solomon und Rachel Etting hergestellt wurde. Diese Ausstellung erweckt die frühe Geschichte der amerikanischen Juden auf authentische Weise zu neuem Leben.

CHAIM SOUTINE

Am 26. April wird eine bedeutende Ausstellung über Chaim Soutine mit dem Titel "An Expressionist in Paris: The Paintings of Chaim Soutine" (Ein Expressionist in Paris: Die Gemälde von Chaim Soutine) im Jewish Museum von New York eröffnet. Die Ausstellung umfasst über fünfzig Werke von Soutine und befasst sich eingehend mit der Periode zwischen Soutines Eintreffen in Paris 1913 und seinem Tod 1943 im Alter von fünfzig Jahren. Sie befindet sich bis zum 16. August in New York und wird dann vom 17. September bis zum 3. Januar 1999 im Los Angeles County Museum of Art und vom 14. Februar bis zum 2. Mai 1999 im Kunstmuseum von Cincinnati zu sehen sein.
Die Ausstellung gibt den Besuchern die Gelegenheit, die Rolle von Soutine in der Kunst des 20. Jahrhunderts neu zu überdenken und auch die Frage zu beantworten, inwiefern Soutine als jüdischer Künstler bezeichnet werden kann.
Soutine wurde als Sohn eines Kleiderflickers 1894 in Smilovitschy bei Minsk in Weissrussland geboren. Er war ein ausserordentlich begabter Künstler, der nach einer Kindheit in ärmlichen Verhältnissen in Minsk und dann in Vilnius Kunst studierte. 1913 kam er nach Paris und schrieb sich in der Ecole des Beaux-Arts ein. Er gehörte der Pariser Schule (Ecole de Paris) an, zu der Chagall, Lipschitz und Kisling gezählt werden, sowie den "Peintres maudits" - Modigliani, Pascin und Utrillo - und anderen Künstlern, welche die Farben sehr dick auf die Leinwand auftrugen, wie Vlaminck oder Rouault. Modigliani, der 1920 starb, wurde zum Beschützer und engsten Freund von Soutine. 1923 wurde Soutine vom wohlhabenden amerikanischen Sammler Dr. Albert Barnes aus Pennsylvania entdeckt, der viele seiner Gemälde kaufte. Soutines Werk wurde anerkannt, was ihm finanzielle Sicherheit verschaffte; er konnte beständig reisen, insbesondere nach Südfrankreich. Seine Gesundheit war nicht besonders gut, und der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs schwächte ihn erheblich, obwohl er es ablehnte, Frankreich zu verlassen und nach Amerika zu reisen. Er starb 1943 in einem Pariser Krankenhaus infolge durchgebrochener Geschwüre.
Die Vehemenz von Soutines Werk widerspiegelt seinen Versuch und seinen Kampf, die innere Natur seiner Gegenstände freizulegen. Sie zeugen alle von einer sehr persönlichen Vision, seien es die Stilleben mit Fleischstücken, die dramatischen Landschaften oder die psychologischen Porträts wie "Der Page in Maxim's" oder "Der Zuckerbäcker", die zu einer Gruppe von Porträts von Arbeitern in Einheitskleidung gehören, deren Individualität und Charakter Soutine durch ihre verdrehten Gesichter und Hände zum Ausdruck brachte. Ein frühes Selbstbildnis von 1918 befindet sich ebenfalls in der Ausstellung; es zeigt den Künstler mit intensivem, fixem Blick vor seiner Staffelei. Soutine ist für seine dick aufgetragenen Farben und die Verwendung von Ölfarben als Ausdruck ursprünglicher Emotionen bekannt. Im Katalog ist eine faszinierende technische Studie zu Soutines Gemälden zu finden, welche auch das Ergebnis von Röntgenuntersuchungen umfasst, was angesichts der Tatsache, dass Soutine seine Werke so oft "übermalte", von grosser Bedeutung ist. Die frenetischen Gemälde Soutines mit ihren dicken Farbklecksen wurden oft mit den Werken der American Abstract Expressionists wie William de Kooning und Jackson Pollock verglichen. Die Organisation der Ausstellung nach der Art und Weise, wie seine Werke von der Kritik aufgenommen wurden, wirft ein neues Licht auf die Karriere und die Gemälde von Soutine.
Als der Maler starb, stand auf seinem Totenschein: "Connu comme juif". Er wurde eigentlich immer als jüdischer Maler angesehen, und viele Kritiker hielten sein Judentum für grundlegend für seine Kunst: später interpretierte man seine Werke als Vorahnung des Holocaust. Es ist jedoch interessant, dass er nie jüdische Themen oder Gegenstände malte (obwohl er oft christliche Szenen darstellte), und sich auch nie mit seiner Kindheit oder seiner Familie befasste (obwohl er seinen Namen Chaim nie abänderte und auch immer wieder an seine Jugend im Stetl erinnerte). Diese reichaltige Ausstellung wirft einmal mehr die Fragen auf: Was macht die jüdische Kunst jüdisch ? Was ist ein jüdischer Künstler ?

GEORGE SEGAL

Eine Retrospektive ganz anderer Art läuft bis zum 17 Mai im Hirshhorn Museum and Sculptor Garden, dem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst des Smithsonian in Washington. George Segal, eine Retrospektive: Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen findet zu Ehren eines amerikanisch-jüdischen Künstlers statt, der für seine freistehenden Skulpturen berühmt war, die alltägliche Leute in städtischen Umgebungen darstellen, und vor allem seine lebensgrossen weissen Gipsformen für menschliche Figuren. Die 62 Stücke umfassende Ausstellung, zu der auch kühn expressive Gemälde und Pastelle aus frühen Jahren sowie eine jüngere Porträt-Serie grossformatiger Kohlezeichnungen gehören, darunter einige beeindruckende Abbildungen von Segals eigener Mutter Sophie, wird vom Montreal Museum of Fine Arts organisiert. Von dort aus wird sie zum Jewish Museum in New York weiterreisen, wo sie bis zum 4. Oktober zu sehen ist, und danach vom 17. Dezember 1998 bis zum 7. März 1999 im Miami Art Museum in Florida.
Segal wurde 1924 geboren und wuchs als Sohn eines koscheren Metzgers in der Bronx auf. (Die Ausstellung umfasst auch ein verblüffendes Gemälde einer koscheren Metzgerei, in der auf dem Schlachtblock ein Hühnerkopf eben abgeschnitten werden soll). In den 40er Jahren zog er nach New Jersey, wo sein Vater mit der Hühnerhaltung begann. Obwohl er bereits als Jugendlicher ein Künstler war, musste er auf der Hühnerfarm arbeiten, als sein Bruder von der Armee eingezogen wurde. Nach seiner Ausbildung liess er sich in derselben Gegend nieder und kaufte eine eigene Hühnerfarm mit dem Ziel, finanziell unabhängig zu sein, obwohl er sein Einkommen immer noch durch Kunst- und Englischunterricht in den lokalen High Schools aufbessern musste. Als er 1958 das Hühnergeschäft endlich aufgeben konnte, tanzten er und seine Frau vor Freude um den Hühnerstall, das er in ein Atelier verwandelte und auch später als solches beibehielt. Er stellte zunächst Figuren aus Gips und Hühnerdraht aus den Ställen her, doch 1961 begann er, medizinische Binden für das direkte Modellieren von Figuren zu verwenden. Die erste Plastik, die in jenem Jahr entstand, indem er seinen eigenen Körper Teil für Teil einwickelte, nennt sich "Man Sitting at a Table" und gehört heute dem Städtischen Museum Abteiberg in Mönchengladbach, Deutschland. Die meisten seiner Figuren wurden im Verlauf seiner Karriere durch Abdrücke von seinen Freunden, Verwandten und Künstlerkollegen hergestellt.
Er befasste sich fast ausschliesslich mit dem städtischen Leben. Seine Figuren werden oft gegen bemalte Leinwand gestellt oder befinden sich inmitten einer Gruppe von "Fundobjekten", wie ramponierten Möbelstücken aus alten Gebäuden und Schrottplätzen. Seine frühen Werke hiessen "Frozen Happenings" und galten als Pop Art, doch es herrscht eine Ernsthaftigkeit in seinen Arbeiten, die diesem Etikett widerspricht. Seine Werke befassen sich mit den alltäglichen Sorgen des Lebens in einer Atmosphäre des frühen Sozialen Realismus. Bus- und U-Bahnbenutzer, eine Begegnung beim Dinner, Farmarbeiter, Tankstellenangestellte - das tägliche Leben gewöhnlicher Leute bilden die Grundlage seiner Arbeit, in der ein riesiges Mitgefühl und Menschlichkeit zum Ausdruck kommen.
Drei seiner Skulpturen, Appalachian Farm Couple 1936, Depression Bread Line und Fireside Chat, die in dieser Ausstellung in Gips gezeigt werden, sind im vor kurzem eröffneten Memorial unter freiem Himmel zu Ehren von Franklin Delano Roosevelt in der Nähe des Flutbeckens in Washington in Bronze zu sehen. Es ist ihm gelungen, in diesen Skulpturen die Stimmung der Regierungen von Roosevelt in den 30er und 40er Jahren dieses Jahrhunderts heraufzubeschwören.
Ebenfalls in Gips wird das Holocaust-Denkmal von Segal gezeigt, das seit 1983 in weiss patinierter Bronze ausserhalb des Palastes der Ehrenlegion in San Francisco steht. Ein Haufen von Leichen liegt hinter einem Stacheldrahtzaun, und ein einsamer Überlebender befindet sich im Vordergrund und klammert sich an den Stacheldraht. Man spürt seine Einsamkeit und seine Furcht, doch diese Figur, deren Abdruck Segal vom Körper von Martin Weyl gemacht hat, dem früheren Direktor des Israel Museum und selbst Holocaust-Überlebender, umgibt auch ein Gefühl des Überlebens und der Hoffnung.
Segal benutzt oft Bibelgeschichten als Themen, um die tragischen Dilemmas zu zeigen, denen die Menschen in der ganzen Geschichte gegenüberstanden. Ein Frühwerk, "The Legend of Lot" aus dem Jahr 1958 weist eine modellierte Figur von Lot auf, wobei das Gesicht seiner Tochter als verschwommene Formen auf eine Leinwand gemalt als Hintergrund dient. Die Akedah (die Opferung) ist das Thema zweier Werke. Das eine in Tel Aviv zeigt einen Abraham mittleren Alters in Jeans, während Isaak ungefesselt ganz seinem Vater vertraut, der das Messer über ihn hält. Das andere, das zur Erinnerung an die Ereignisse von 1970 an der Kent State University geschaffen wurde, als vier Studenten von Polizisten getötet wurden, zeugt von einer starken Beziehung zwischen den Generationen; der gefesselte und knieende Isaak fleht um Gnade.
In "Dem Abschied Abrahams von Ischmael" zeigt Segal wieder den Schmerz eines Vaters, der hier gezwungen ist, seinen Sohn zu verbannen. Wir sehen Abraham, wie er Ischmael umarmt, während Hagar unter dem Blick Saras bereits resigniert hat und zum Gehen bereit ist. Die Szene strahlt fühlbare Emotion aus. Es ist interessant zu wissen, dass die Menschen, die ihm Modell standen, eine richtige Familie waren, die sich ebenfalls mit einem Abschied auseinandersetzten, wenn auch auf anderer Ebene - ihr Sohn ging aufs College.

* Jennifer Breger ist von Oxford und der Hebräischen Universität in Jerusalem diplomiert. Sie ist Spezialistin für jüdische Bücher und Manuskripte. Sie lebt heute in Washington.