Aus der Hölle zum Leben... The Long Way Home
Von Roland S. Süssmann
"Wir wurden gehasst, weil wir dem Tod entronnen waren." So drückt es ein Opfer, das aus einem deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager für Juden befreit wurde, heute vor der Kamera von Mark Jonathan Harris aus, dem Autor und Regisseur des Films "THE LONG WAY HOME". Dieser ca. zweistündige Dokumentarfilm berichtet über den Leidensweg der Juden, die den Naziterror überlebten, von der Befreiung aus den deutschen Lagern bis zu ihrer Ankunft in Israel. Dieser schmerzliche Abschnitt unserer Geschichte, der von 1945-1948 reicht, wird auf eindrückliche Weise in der jüngsten Produktion der Studios Moriah erzählt, die dem Simon Wiesenthal Center in Los Angeles gehören. Der Koproduzent des Films an der Seite von Richard Trank ist niemand anderes als Rabbiner Marvin Hier, der Dekan des Zentrums, der bereits 1990 einen Oscar für seinen Film "Genocide" erhalten hatte, an dem er damals als Ko-Autor und Koproduzent mitwirkte.
"The Long Way Home" zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass es sich um eine raffinierte und ausgewogene Mischung von bewegenden Augenzeugenberichten, Archivdokumenten, Anekdoten und neueren Interviews handelt. Keinesfalls aber wurde der Film ausschliesslich aus alten Dokumenten zusammengestückelt. Er wird in chronologischer Abfolge dargestellt, und trotz der darin beschriebenen tragischen Ereignisse enthält er auch humorvolle und heitere Einschübe, so dass ein geschicktes Gegengewicht zu den Emotionen entsteht, die das Thema automatisch beim Zuschauer aufkommen lässt. Bekannte amerikanische Filmstars, wie beispielsweise Morgan Freeman und Michael York, haben kostenlos mitgewirkt und mit ihrer Stimme die Rolle des Erzählers übernommen.
Neben der sehr belastenden Atmosphäre, die den ganzen Film beherrscht, wird die allgemeine Einstellung gegenüber den überlebenden Juden aussergewöhnlich gut gezeigt. Die Welt, zu beschäftigt mit dem Wiederaufbau nach dem Krieg und der Furcht vor dem Kommunismus, zeigt sich völlig gleichgültig im Hinblick auf die Qual der Juden, die dem deutschen Grauen entkommen waren. Mark Jonathan Harris erinnert vor allem an die Haltung der Briten, denen nach dem Ende des ersten Weltkriegs vom Völkerbund die Verwaltung Palästinas übertragen worden war und die ihr Mandat dazu benutzten, sich einen leichten Zugang zu den Erdölvorkommen des Mittleren Ostens zu sichern. Es wurde alles unternommen, um die arabische Welt nicht zu "verärgern", und die Briten taten alles in ihrer Macht Stehende, um die europäischen Juden an der Auswanderung nach Palästina und der dortigen Gründung des jüdischen Staates zu hindern. Von den 200'000 jüdischen Flüchtlingen, welche die Schoah überlebt hatten, durften sich nur 1'500 pro Monat im Land ihrer Vorfahren niederlassen. Harris zeigt ebenfalls die grosse Entschlossenheit der Flüchtlinge, sich nach Palästina zu begeben und wie sie illegal einreisten, ungeachtet aller Gefahren, inbesondere der Unterdrückung durch die englische Armee.
Der Film beginnt im Mai 1945. Der Krieg ist offiziell beendet und Nazideutschland geschlagen. Die amerikanischen, englischen und russischen Soldaten haben die Todeslager befreit und die Welt entdeckt mit Entsetzen das ganze Ausmass der Schrecken der Schoah. Die ersten zehn Minuten berichten übrigens von der "Begegnung" zwischen den Befreiern und den Lagerinsassen. "Kaum ein Soldat war darauf vorbereitet, was er in den Lagern sehen sollte", sagt der Erzähler, und die Archivbilder sind der Beweis dafür, mit welcher Abscheu die "Befreier" die Überlebenden behandelten und ansahen. Tausende von ausgehungerten "Halbtoten" wurden auf diese Weise von der Verfolgung durch die Nazis erlöst, doch ihre Befreiung verschaffte ihnen letztendlich nur wenig Erleichterung. Viele unter ihnen waren physisch und psychisch krank und brauchten eine monatelange Erholungszeit. Die meisten hatten einen Teil ihrer Angehörigen oder ihre ganze Familie verloren. Diejenigen, die in ihre Städte und Dörfer zurückkehrten, trafen dort auf einen gewalttätigen Antisemitismus, sie wurden oft bedroht oder tätlich angegriffen oder gar ermordet. In einem Dorf in der Nähe von Wilnius in Litauen fand man fünf jüdische Überlebende, die "heimgekehrt" waren, ermordet, einen Zettel mit folgendem Wortlaut in ihrer Tasche: "Dieses Schicksal erwartet alle Juden, die zurückkommen."
Die amerikanischen und britischen Behörden hatten "Displaced Persons Camps" errichtet; in diesen Lagern, die in vielen Fällen unter den Deutschen als Todeslager gedient hatten, sollten die Überlebenden untergebracht werden. Da die Menschen aufgrund ihrer Nationalität aufgeteilt wurden, lebten die Juden je nach Herkunftsland mit Kollaborateuren und Sympathisanten der Nazis, Kriegsverbrechern und Mördern zusammen, während die Deutschen in ihre Familien zurückgeschafft worden waren. Die Flüchtlinge hatten für diese Situation ein geflügeltes Wort geschaffen: "Lieber ein besiegter Deutscher als ein befreiter Jude!"
Der Film erinnert auch an die Rolle der Jüdischen Brigade, deren Entstehung die Briten gegen Ende des Krieges widerstrebend gestattet hatten. Zahlreiche Soldaten dieser Brigade waren anschliessend in Europa geblieben, um die Engländer zu bekämpfen und die heimliche jüdischen Emigration nach Palästina zu unterstützen. Als die Briten 1939 das schändliche "Weissbuch" veröffentlichten, das die jüdische Einwanderung nach Palästina auf 75'000 Personen im Verlauf von fünf Jahren beschränkte und plante, jede zukünftige jüdische Immigration von der Zustimmung der Araber abhängig zu machen, erklärte David Ben Gurion: "Wir müssen den Briten beim Kampf gegen Deutschland helfen, als ob das Weissbuch nicht existierte, und wir müssen die Briten bekämpfen, als ob es den Krieg nicht gäbe."
Die Handlung in "The Long Way Home" findet parallel auf verschiedenen Ebenen statt. Einerseits zeigt der Film das Leiden und die Schwierigkeiten, mit denen die Überlebenden in den "Displaced Persons Camps" zu kämpfen hatten, die fehlende Menschlichkeit und die Grausamkeit der Briten in Palästina, aber auch die tragische Episode des Exodus, die englischen Internierungslager für Juden in Zypern, die Schliessung der Grenzen verschiedener Länder usw. Unter dem Druck rechtsextremistischer nationalistischer, sogenannt patriotischer Gruppierungen hatte Amerika andererseits unter dem fadenscheinigen Vorwand, es handle sich um "kommunistische Agenten" die Anzahl der Juden eingeschränkt, die zur Einreise berechtigt waren.
Unter all diesen Tragödien gibt es einen besonders traurigen Aspekt, den Jonathan Harris deutlich hervorhebt, die Tatsache nämlich, dass zahlreiche Juden, die von der Schoah verschont geblieben waren, nichts von den entsetzlichen Erlebnissen der Überlebenden erfahren und ihnen nicht zuhören wollten.
Der Film berichtet natürlich über eine ganz besonders schmerzliche Seite unserer Geschichte. Doch die Jahre zwischen dem Ende der Schoah und der Gründung des Staates Israel sind auch reich an Beweisen des Mutes und der gegenseitigen Unterstützung. Viele Freiwillige haben grosse Anstrengungen unternommen, um den Überlebenden dabei zu helfen, so gut wie möglich wieder ein "normales" Leben führen zu können. Andere setzten sich unter Einsatz ihres Lebens für die illegale Immigration in Palästina ein.
"The Long Way Home" ist zwar tatsächlich ein erstklassiger Dokumentarfilm, doch in erster Linie verkörpert er die Geschichte und zeugt von Mut und der unglaublichen Kraft des menschlichen Geistes und Willens. Er zeigt trotz aller Schrecken und Wunden, trotz der zahlreichen zerstörten Leben und der Ermordung von geliebten Menschen, Kindern und Freunden und vor allem angesichts des Unverständnisses und der Gleichgültigkeit gegenüber diesen Leiden, dass die meisten Überlebenden sich eine neue Existenz aufbauen konnten. Sie sind zwar für immer in der einen oder anderen Weise geprägt worden oder quälen sich mit der Erinnerung an das Unsagbare, doch sie haben wieder geheiratet, eine Familie gegründet, eine berufliche Karriere aufgebaut, kurz, sie haben ins Leben zurückgefunden.
"The Long Way Home" sollte in allen Schulen vorgeführt werden. Die Qualität des Films ist überdies von den Fachleuten der Filmwelt anerkannt worden, da er als bester Dokumentarfilm für die Oscar-Verleihung 1998 nominiert wurde.