Graue Eminenzen
Von Roland S. Süssmann
Vor den Wahlen in Israel kursierte ein offensichtlich falsches Gerücht, das behauptete, die Rechte im allgemeinen und Benjamin Netanyahu im besonderen könnten den Wahlsieg nur dann erringen, wenn am Vorabend der Abstimmung ein brutales Attentat stattfände. Diese Vorstellung ging stillschweigend davon aus, die Rechte habe keine Alternative zur selbstzerstörerischen Politik von Schimon Peres und seiner arabischen und linksextremen jüdischen Politpartner anzubieten. Die Folge ist allgemein bekannt.

Um zu verdeutlichen, dass die Rechte sich nicht aus machtgierigen und ideenlosen Politikern zusammensetzt, sind wir Dr. YORAM HAZONY begegnet. Er ist Direktor des "Shalem Center for National Policy" in Jerusalem, eines Forschungs- und Denkzentrums für die Ausarbeitung politischer Programme nach dem Vorbild der "Heritage Foundation" in Washington. Obwohl es als sehr konservativ gilt, bezeichnet sich das "Shalem Center" als apolitisch.


Yoram Hazony wurde in Israel geboren und in den USA erzogen, ist 32 Jahre alt und Vater von fünf Kindern; er kehrte vor ungefähr zehn Jahren nach Israel zurück, mit einem Studienabschluss in Japanologie und einem Doktorat in politischer Philosophie der Princeton University in der Tasche, wo sein Vater Physikprofessor war. Nach seiner Niederlassung in Israel wirkte Yoram Hazony bei der "Jerusalem Post" und arbeitete ab September 1991 als Forschungsdirektor mit Benjamin Netanyahu zusammen, mit dem er die Bücher "A Place among the Nations" und "Fighting Terror" verfasste. Im Herbst 1993, kurz nach dem schändlichen Handschlag zwischen Rabin und Arafat, wurde Yoram Hazony von Ronald Lauder (Mitbesitzer der Estée Lauder-Produkte) kontaktiert, um in Israel einen konservativen und rechtsstehenden jüdischen "Think Tank" zu schaffen. Die Organisation beschäftigt zur Zeit zwölf Personen ganztags und arbeitet sporadisch mit ca. dreissig Forschern in der ganzen Welt und anderen, ähnlichen Institutionen zusammen.


Aus welchen Motiven wurde das "Shalem Center" gegründet ?

Die eigentliche israelische Politik, insbesondere im Rahmen der Knesset, funktioniert fast ohne Grundlagenforschung oder langfristige Planung. Es handelt sich in erster Linie um eine Politik der Reaktionen. Israel verfügt über einen Zyklus der Erklärungen und Antworten, der auf der Welt seinesgleichen sucht, und im Rhythmus von je zwei Stunden abläuft. Das Radio sendet stündlich politische Analysen, und sobald jemand eine Erklärung abgegeben hat, trifft sofort die Antwort der Opposition ein. Jemand, der sein Gerät nur alle sechs Stunden einschaltet, verpasst zwangsläufig eine Reihe von Antworten und Reaktionen. Die politische Debatte ist folglich sehr intensiv, rasch und gekennzeichnet durch einen Hin- und Herfluss von Informationen und Erklärungen.

Als ich 1993 von Ronald Lauder angesprochen wurde, der bereits über grosse Erfahrung bei der Schaffung von "Think Tanks" in den USA besass, sagte er mir insbesondere: "Obwohl es über einige gute Kandidaten verfügt, fehlt es dem rechten Zentrum Israels eindeutig an Ideen. Es existiert keine politische Forschung und auch kein solider strategischer Plan. Ich werde ein Institut schaffen, dessen Aufgabe es sein wird, auf der Grundlage ernsthafter Forschung kurz-, mittel- und langfristige politische Strategien auszuarbeiten." Er fragte mich, ob ich bereit wäre, die Leitung dieses Instituts zu übernehmen und ich habe zugesagt. Dazu ist zu sagen, dass diese Art der politischen Forschungszentren in den Vereinigten Staaten und in Grossbritannien sehr verbreitet ist.


Wie funktioniert Ihr Zentrum und welches sind seine Ziele ?

Das "Shalem Center" beruht auf dem Vorbild der konservativen politischen Institutionen in Washington und London: die "Heritage Foundation" in Washington, welche in Wirklichkeit die politische Grundlage der ersten Regierung Reagan geschrieben und definiert hat, und das "Center for Policy Studies" in London, das für und mit Margareth Thatcher geschaffen wurde. In der nahen Zukunft möchten wir eine politische Agenda ins Leben rufen, welche ein Gegengewicht zur einzigen heute in Israel existierenden Option, nämlich dem von der neuen Linken geforderten "Postzionismus", bilden soll. Es handelt sich um eine kulturelle und politische Philosophie, welche alle Theorien der Arbeitspartei übersteigt und den Zionismus aufgibt. Diese politische Philosophie à la John Lennon lässt sich folgendermassen zusammenfassen: "Wir glauben weder an die Ordnung, noch an die Familie, das Privateigentum oder die Nationalität, wir sind eine brüderliche Menschengemeinschaft." Diese Denkweise hat sich im Israel der Gegenwart durchgesetzt. Dies erklärt sich hauptsächlich durch die Tatsache, dass die israelischen Universitäten seit den 60er Jahren ausschliesslich Generationen von Denkern, Schriftstellern, Anwälten und Gelehrten hervorgebracht haben, deren Ansichten grösstenteils dieser Form des "Postzionismus" entsprechen, dem jedes jüdische, zionistische und patriotische Element fehlt.


Woraus besteht diese alternative, eindeutig konservative politische Agenda ?

Unser Hauptprogramm setzt sich aus vier grundlegenden Punkten zusammen. Erstens, aus der intellektuellen und wirtschaftlichen Freiheit; zweitens, aus der jüdischen Erziehung; drittens, aus der Schaffung einer echt jüdischen Staatsverfassung, und viertens, aus einer starken und entschiedenen Aussenpolitik.


Können Sie uns in wenigen Worten konkrete Beispiele für jedes dieser Ziele nennen ?

In bezug auf die intellektuelle und wirtschaftliche Freiheit denke ich, dass die berühmte Frage der Privatisierung der Medien ein grundlegendes Element verkörpert. Heute werden die Medien in Israel entweder direkt von der Regierung kontrolliert oder sie sind Teil einer Art "wirtschaftlichen Sosse", in der die Regierung über die Art der Finanzierung entscheidet, welche diese oder jene Institution erhält. Alle elektronischen Medien sind so konzipiert, dass eine Form des kommerziellen Wettbewerbs gar nicht erst aufkommen kann. Vor ungefähr zwei Jahren haben wir eine Forschungsstudie vorgelegt, in der dargelegt wird, dass intellektuelle Freiheit in einem Land, in dem es keine legale Möglichkeit gibt eine freie Rundfunk- oder Fernsehstation zu gründen, wohl kaum existieren kann. Der Piratensender "Arutz 7" (siehe SHALOM Vol. XVIII) strahlt seine Sendungen übrigens von einem Schiff aus. Ich muss sagen, dass der Likud sich einem freien Markt im Bereich der Medien völlig widersetzte, da er davon ausging, dass dieser sowieso von der Linken dominiert würde. Erst als die Regierung Rabin/Peres "Arutz 7" mit Gewalt zu schliessen versuchte, erwachte die Rechte und hat bezüglich der Studie erneut mit uns Kontakt aufgenommen. Wenn heute sowohl der Premierminister als auch der Kommunikationsminister verkünden, die Medien sollten vollständig privatisiert werden, sind wir etwas dafür verantwortlich. Wir beraten den Kommunikationsminister sowohl innerhalb seines Ministeriums als auch durch externes Consulting.

Im Hinblick auf die jüdische Erziehung wissen sehr viele nicht, dass Israel im Verlauf der vergangenen zwanzig Jahre einen bedeutenden Niedergang in allen Bereichen dieses Sektors hinnehmen musste. Dies geschah hauptsächlich unter der Likudregierung, als die Minister der religiösen Nationalpartei über das Schulwesen entschieden ! Wir stehen tatsächlich vor einer nationalen Katastrophe, von der niemand spricht und die in einer eigentlichen Verschwörung totgeschwiegen wird. Wir möchten einen Plan erstellen, mit dessen Hilfe eine nationale Bewegung mit religiösen und nichtreligiösen Juden entsteht; diese Bewegung soll das jüdische Wissen im allgemeinen, d.h. die Werte, die Geschichte und die Texte der Juden fördern. Die meisten Israelis lehnen den Zwang zur Religionsausübung ab, hegen aber den Wunsch, ihren Kindern vertieftes jüdisches Wissen mitzugeben. Auf der Grundlage dieses gemeinsamen Nenners zwischen religiösen und nichtreligiösen Bürgern könnten wir diese nationale Bewegung lancieren.

Die Frage der Staatsverfassung ist von höchster Wichtigkeit, es ist ein ernstes Problem. Seit der Gründung des Staates hat das rechtsstehende Zentrum eine Vogel Strauss-Politik geführt. Alle Bemühungen um die Erstellung einer israelischen Staatsverfassung wurden von linksextremistischen Parteien unternommen, die aus Israel immer nur eine westliche Demokratie machen wollten. Daraus hat sich ergeben, dass im Verlauf der letzten fünfzehn Jahre allmählich eine Staatsverfassung entstand, die alle Rechte des Individuums schützt, jedoch fast überhaupt nicht jüdisch geprägt ist. Das Wort "jüdisch" kommt darin vor, aber nur in dem Sinne, der ihm vom Obersten Gerichtshof verliehen wurde, d.h. mit der Bedeutung von "demokratisch". Wir möchten eine jüdische und konservative Verfassung schaffen, in der festgehalten wird, dass neben den Rechten des Individuums auch die Interessen der Familie, der Gemeinschaft und der Nation geschützt werden. Es ist unmöglich eine Verfassung zu kreieren, die sich mit dem Individuum befasst, nicht aber mit seinem unmittelbaren sozialen Umfeld.

Der letzte Punkt betrifft die Aussenpolitik, die unserer Ansicht nach stark und entschlossen sein muss. Wir beschäftigen uns mit zahllosen Themen, aber ich glaube, am erfolgreichsten waren wir im Bereich des Terrorismus. Wir haben eine vergleichende Untersuchung von Terroranschlägen vor und nach den Osloer Abkommen I erstellt, welche den Terrorismus eliminieren sollten. Als es klar wurde, das dies nicht eintreffen würde, erklärte die Linke, dass "der Terrorismus selbstverständlich nicht durch einen simplen Vertrag gestoppt werden könne und Terrorismus habe es immer schon gegeben". Unsere vergleichende Studie hat gezeigt, dass es seit der Unterzeichnung der Osloer Abkommen jährlich viel mehr Terroropfer gab als im gesamten Jahrzehnt vor den Abkommen. Die Verkündigung der Regierung Peres, "es habe immer Terrorismus gegeben", konnte somit widerlegt werden. Für die Rechte beschränkte sich die Politik bis dahin auf zwei Themen : die Gebiete und die PLO. Unser Ziel ist es, die Untersuchung und die Einführung von Strategien und von einer starken Politik in Bereichen zu bewerkstelligen, die nicht unbedingt auf der Tagesordnung stehen, wie beispielsweise die Beziehungen Israels zu Europa. Wenn heute nicht mit einem Amerikaner oder Araber verhandelt wird, gilt die Frage als unbedeutend.


Welches sind Ihre Pläne für die fernere Zukunft ?

Ein "Think Tank" ist eigentlich eine Universität ohne Studenten. Zur erfolgreichen Durchführung unserer Aktion und Veränderung der israelischen Kultur reicht es nicht aus, die Politiker zu beeinflussen oder ihnen ein Konzept zu verkaufen. Es geht um viel Grundlegenderes. Zur Veranschaulichung meiner Worte möchte ich Ihnen ein Beispiel geben. Schimon Peres schlug vor, den "Neuen Mittleren Osten" zu schaffen, den jüdischen Staat aufzulösen und Mitglied einer neuen jüdisch-arabischen Einheit zu werden. Das Problem ist nicht seine Idee, sondern die Tatsache, dass sich überhaupt keine namhafte intellektuelle oder kulturelle Opposition gegen dieses Programm gewendet hat, auf dessen Grundlage er sich wieder zu den Wahlen stellte. Das Fehlen jeder Opposition, sowohl in der Arbeitspartei als auch innerhalb der Rechten rührt einzig von der Tatsache her, dass die israelische Gesellschaft sehr weit vom zionistischen Ideal entfernt ist. Fast kein einziges Buch, kein ernsthafter Artikel wurden veröffentlicht, die diese Idee aus soziologischer, historischer oder politologischer Sicht angegriffen hätten. Unser langfristiges Ziel ist also die Gründung einer jüdischen Universität in Jerusalem. Israel braucht einen intellektuellen Grundlagendialog, denn die intellektuelle Kultur unterwirft sich heute voll den Ideen der "neuen Linken".


Wie erklären Sie sich diese ideologische Schwäche der Rechten ?

Zum besseren Verständnis dieses Phänomens muss man die Geschichte zu Rate ziehen. Seit der Gründung des Staates haben die zionistischen und nationalen jüdischen Bewegungen all ihre Bemühungen in konkrete Elemente gesteckt, wie z.B. Bauernhöfe, Fabriken und Kampfflugzeuge. Das war ihre Art, ein Land aufzubauen. Sie haben nicht in das Ideal investiert, das die Grundlage jeder Nation darstellt. Heute befinden wir uns in einer Situation, in der die Gründerväter nicht mehr leben, für welche die Notwendigkeit eines jüdischen Staates dermassen augenfällig war, dass sie nicht erklärt werden musste. Die neue Generation weiss nicht, warum eine jüdische Nation in Staatsform existieren und inwiefern sie positiv sein sollte; für die Jugend ist dies nichts als eine Konfliktquelle mit den Arabern. Angesichts dieser Realität müssen dringendst Antworten angeboten werden. Das Hochschulsystem Israels beruht auf dem Vorbild des universellen deutschen Idealismus und steht noch stark unter dem Einfluss der 60er Jahre. Der grösste Teil der Intelligentsija identifiziert sich mit der extremen äussersten Linken. Es gibt keinen anderen Weg, einen kulturellen Krieg zu führen, als kulturelle Waffen zu benützen. Die von uns geplante Universität wird in Jerusalem stehen, denn hier müssen die Ideen entstehen und verbreitet werden, welche ganz Israel und die jüdische Welt beeinflussen sollen. Vergessen wir nicht, dass Israel das ideologische Zentrum des Landes darstellt. Ich hoffe, unser Ansatz wird die Gedankenwelt in den kommenden dreissig Jahren ernsthaft in Bewegung setzen. Wir wollen eine neue Generation erziehen, die anders denkt. Sehen Sie, die grundlegende Kontroverse, die das Land heute teilt, ist nicht territorial, doch wir können den Kampf um die jüdischen Siedlungen in Judäa und Samaria nur gewinnen, wenn wir über einen wirklich jüdischen Staat verfügen. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass wir eine ideologische Institution sind, dass wir keine Parteipolitik betreiben und mit all jenen zusammenarbeiten, die daran interessiert sind und mit denen wir Ideen und Projekte teilen können.