Würde - Effizienz - Schweigen
Von Roland S. Süssmann
Der arabische Terrorismus hat schon immer Tod und Unheil in Israel verbreitet. Unter der Regierung Peres/Rabin, die eine Politik des Rückzugs und der Konzessionen vertraten, griff das Grauen aber besonders weit um sich. Von Juli 1992 bis Mai 1996 wurden mehr Juden ermordet als im Verlauf des gesamten Jahrzehnts vor dem Amtsantritt der Linken in Israel.

Wir haben alle die Schreckensszenen am Fernsehen gesehen: Ein zerfetzter Bus, verstümmelte Körper, verletzte Männer, Frauen und Kinder, weinend und unter Schock stehend. Auf denselben Bildern haben wir auch die Chassidim wahrgenommen, die so verpönten "Ultraorthodoxen", in ihren schwarzen Mänteln, weissen Kappen oder schwarzen Kippot und langen, im Wind wehenden Schläfenlocken; schweigend und tapfer sammeln sie die Überreste der menschlichen Körper auf, die um die Explosionsstelle verstreut liegen. Die Männer, welche diese schwere Aufgabe erfüllen, gehören alle einer Freiwilligenorganisation namens CHESSED SCHEL EMET an, die von ELEAZAR GELBSTEIN gegründet und geleitet wird.


Unter welchen Umständen haben Sie beschlossen, sich dieser schweren und harten Aufgabe zu widmen und "Chessed schel Emet" zu gründen ?

Ich arbeite seit über zwanzig Jahren als freiwilliger Krankenwagenfahrer des Magen David Adom (israelisches Rotes Kreuz). Im Rahmen dieser Tätigkeit bin ich es gewohnt, bei einem Problem sofort gerufen zu werden, mein Funkgerät ist Tag und Nacht auf Empfang. Ich treffe daher auch immer als einer der ersten am Ort der Katastrophe ein. Dies war auch anlässlich des Angriffs auf Bus Nr. 405 im Juli 1989 der Fall, als ein Terrorist den Bus in eine Schlucht stürzte. Ich kam als einfacher Krankenwagenfahrer dorthin... und verliess den Ort als Gründer von "Chessed schel Emet" !


Weshalb ?

Um diese Frage zu beantworten, muss ich von einem Ereignis berichten, das 1968 stattfand. Ich machte damals mit einigen Freunden einen Ausflug in die Region von Tiberias. Da explodierte ein Katjuscha-Geschoss in Galiläa und zerstörte ein Haus; einer der Bewohner kam ums Leben. Aus purer Neugierde haben wir den Ort der Explosion aufgesucht. Obwohl es dunkel war, fielen uns zwei Phänomene auf: es streunten sehr viele Katzen herum, und vor allem strömten zwei schwarze Ameisenstrassen von einer bestimmten Stelle in den Ameisenhaufen zurück. Der Leichnam war offensichtlich entfernt worden, doch da das Geschoss auf ein eben fertig gebautes Haus gefallen war, hatte man die umliegenden, im Bau befindlichen Stellen nicht gründlich gesäubert. Die Katzen und Ameisen jedoch hatten "frisches Fleisch" gewittert und waren von den menschlichen Überresten angezogen worden, insbesondere von den Gehirnteilen. Wir arbeiteten die ganze Nacht, um alles zusammenzutragen, was wir von der Leiche finden konnten. Dann riefen wir die Polizei an und beerdigten neben dem Körper des Verstorbenen alle geretteten Überreste. Mir war bewusst, dass wir etwas getan hatten, das sowohl für den Ermordeten als auch für seine Familie sehr wichtig war. Man muss sich im klaren sein, dass sich sonst niemand um diese Aufgabe kümmert. Der Magen David Adom rettet Menschenleben und die Chewra Kadischa (Bestattungsinstitut) befasst sich mit den Leichnamen. Nur die Armee verfügt über einen Dienst, der diese Aspekte miteinbezieht, der jedoch nicht automatisch eingesetzt wird. Nach diesem Erlebnis haben wir mit einigen Freunden beschlossen, an die Katastrophenschauplätze zu gehen, um den Opfern von Terroranschlägen, Naturkatastrophen oder Unfällen diese letzte Ehre zu erweisen. Bis 1989 waren wir aber nur ein Zusammenschluss von Freiwilligen, ohne die Struktur einer Organisation. "Chessed schel Emet" ist erst nach dem Attentat auf Bus Nr. 405 ins Leben gerufen worden.


Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Gemeinde- oder Regierungsdiensten aus ?

Im Falle von schweren Fällen sind die Städte und Gemeinden organisiert, die Krisenzellen funktionieren sofort, um den Opfern Unterkünfte, Nahrung, lebenswichtige Gegenstände, soziale und psychologische Hilfe zur Verfügung zu stellen, wobei sich eine Einheit natürlich um die Toten kümmert. Doch niemand ist mit dem Einsammeln der menschlichen Überreste beauftragt. Hier treten wir in enger Zusammenarbeit mit den Gemeinden in Aktion. Unsere Organisation ist aber unabhängig und trägt keinerlei Etikett der Regierung. Wir werden ebenfalls für den Einsatz im Krieg oder bei chemischen Angriffen ausgebildet und ausgerüstet, damit unsere Männer bei der Arbeit nicht verseucht werden.


"Chessed schel Emet" ist eine Freiwilligenorganisation. Wer sind die Mitglieder ?

Unsere Aufgabe ist extrem hart. Jeder, der bei uns mitmacht, muss die "Seele eines Engels" haben und rund um die Uhr abrufbar sein. Ausserdem muss man bedenken, dass jeder neue Einsatz uns alle in unserem tiefsten Wesen erschüttert, unabhängig von Kraft und Erfahrung. Dabei sind wir alle unwahrscheinlich dankbar, dass G'tt uns das Vergessen schenkt. Wenn wir uns nämlich beständig an alles erinnern müssten, was wir sehen oder aufsammeln, wäre dies unerträglich. Zu Beginn unserer Aktion liess ich eine Annonce in alle religiösen Zeitungen setzen und bat diejenigen, die sich des Problems bewusst waren oder während ihres Militärdienstes einige Erfahrung auf diesem Bereich gesammelt hatten und Freiwillige werden wollten, mit mir Kontakt aufzunehmen, um an einem Spezialkurs teilzunehmen. In der darauffolgenden Woche erhielten wir erstaunlicherweise ungefähr 70 Anmeldungen. Die Freiwilligen stammen aus allen Bevölkerungsschichten, vor allem aus religiösen Kreisen, selbst aus der Gruppe der Chassidim, welche den Staat Israel ablehnen. Ich nehme nur verheiratete Männer auf. Weil unsere Arbeit ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl und grosse Reife voraussetzt, habe ich ein sehr strenges Auswahlverfahren eingeführt. Zur Zeit zählen wir im gesamten Land über 200 freiwillige Mitarbeiter.


Wie sind Sie organisiert ?

Die Frage der Registrierung aller eingesammelten Teile ist von höchster Bedeutung, da sie schwerwiegende rechtliche (Erbschaft, Scheidung usw.) und familiäre Folgen haben kann. Alle Funde werden in ein Zentrum gebracht, in dem sich alle Leichen und Überreste befinden. Eines unserer ersten Ziele ist die Rekonstituierung der Körper, doch dies ist nur ein Aspekt unserer Tätigkeit. Dazu möchte ich folgendes Beispiel anführen. Nach einem Terroranschlag mit einer Explosion erreichen Aufregung und Besorgnis einen Höhepunkt. Jeder versteht, dass dieser Augenblick entsetzlich ist, es gibt Tote, dezimierte Familien, zerstörte Leben und Menschen, die bis ans Ende ihrer Tage Krüppel sein werden. Dies alles spielt sich vor dem Hintergrund heulender Sirenen von Polizei, Ambulanzen und Feuerwehr ab. Die Medien treffen ein, die Familien erreichen den Schauplatz des Geschehens... Nach ungefähr einer halben Stunde kann eine erste allgemeine Bilanz der Schäden erstellt werden. Ich sage "ungefähr", denn oft sind die Körper so zerfetzt, dass es unmöglich ist, die genaue Zahl der Businsassen festzustellen. Nehmen wir an, wir finden zwei Hände. Wir müssen zunächst ermitteln, wievielen Verletzten die Hände fehlen und wieviele Tote keine Hände mehr haben; erst dann können wir davon ausgehen, dass diese von uns registrierten Hände einem Dritten gehörten, dessen restlicher Körper nicht gefunden wurde. Allmählich fügt sich ein Teil zum anderen. Unsere Arbeit wird nun besonders wichtig. Wir erstellen eine Kartei, damit alles, was sich in unseren Plastiksäcken befindet, korrekt registriert wird. Dies ist nicht einfach, denn alles ist nass und schmutzig; es ist angenehmer, wenn es nicht regnet. Alle Funde gelangen ins pathologische Zentrum, wo das makabere Abzählen stattfindet. Es ist natürlich unmöglich, jedes kleinste gefundene Stückchen zu identifizieren, doch mit Hilfe mikrobiologischer Untersuchungen, der DNA und diverser anderer Techniken kann das schreckliche Puzzle vervollständigt werden. Es gibt keinen Teil des menschlichen Körpers, den wir bei unseren zahlreichen Interventionen nicht schon gefunden hätten, und wenn wir eine Leber, ein Herz oder einen Fuss zurückbringen, setzt das Pathologische Institut alles daran, den dazugehörigen Menschen zu identifizieren. Es war zu einem bestimmten Zeitpunkt die Rede davon, in Israel eine Datenbank zu schaffen, in der gewisse physische Merkmale aller Staatsbürger und neuen Immigranten aufgeführt wären. Sie ist bis heute noch nicht zustandegekommen aufgrund der juristischen Probleme in bezug auf den Schutz der Privatsphäre. Es existiert keine Form der präventiven Identifizierung. Nur die Zähne überleben sehr hohe Temperaturen und stellen eine wertvolle Informationsquelle mit einem gewissen Erkennungswert dar.


Wie bilden Sie die Freiwilligen aus ?

Wir arbeiten eng mit der Armee, der Polizei und dem Innenministerium zusammen. Auf Anfrage der Armee hat die Polizei einen 28-minütigen Film produziert, aus Auszügen der wichtigsten Videos, welche die Polizei an Unfallorten oder bei Attentaten gedreht hat. Diesen Film zeigen wir allen Freiwilligen gleich im ersten Kurs. Wer nicht bis zum Ende bleiben kann, darf jederzeit fortgehen. Im allgemeinen bleiben sie alle. Danach geben wir theoretischen und praktischen Unterricht. Keine Theorie, kein Film können jedoch die Erfahrung oder die Begegnung mit dem Grauen vor Ort ersetzen. Alle meine Männer, die ein einziges konkretes Erlebnis dieser Art hatten, waren danach vollkommen verändert. Im Gegensatz zur allgemeinen Annahme verstärkt diese Erfahrung jedoch ihren Glauben. Anstatt sich tausend Fragen über die Ungerechtigkeit in der Welt zu stellen, schätzen sie sich "stolz", für diese schwere Aufgabe auserwählt worden zu sein. Wir sind im ganzen Land tätig und es ist uns gelungen, einige lokale Aussenstellen zu schaffen.


Was geschieht ganz konkret am Schauplatz der Katastrophe ?

Wir treten erst in Aktion, wenn die Polizei uns gestattet, an den Ort des Geschehens zu gelangen, das heisst, wenn sie weiss, dass keine Gefahr mehr besteht. Wir teilen den Ort in verschiedene Sektoren auf und gehen systematisch vor, indem wir aussen beginnen und uns ins Zentrum vorarbeiten. Neben unseren von der Polizei vergebenen Identifikationskarten tragen alle Freiwilligen eine orange Jacke mit der Aufschrift "Chessed schel Emet". Nach jedem Einsatz ziehen wir Bilanz und versuchen aus dieser neuen und entsetzlichen Erfahrung zu lernen.


Welches war ihre bisher schwierigste Mission ?

Unsere Arbeit ist nie einfach. Doch ich glaube einer der grauenvollsten Aspekte ist die Säuberung des Busses. Sobald der Ort der Katastrophe evakuiert wurde und unsere Nachforschungen um den Explosionsherd abgeschlossen sind, wird der Bus ins Polizeidepot gebracht. Und dort, in schweigender Stille, fern von den Medien und dem Lärm um die Tragödie, führen unsere Freiwilligen eine methodische Reinigung des Busses durch, Zentimeter um Zentimeter. Wir verlassen den Bus erst, wenn er komplett gesäubert wurde, denn wir wollen, dass jeder menschliche Überrest so rasch wie möglich begraben wird. Es ist natürlich nicht möglich, einen bestimmten Aspekt unserer Tätigkeit als besonders schwierig zu bezeichnen. Was geht im Freiwilligen vor, der auf einen Balkon klettert und dort... einen Kopf findet ?

Abschliessend möchte ich sagen, dass es für uns im Tod keine Unterschiede gibt. Unsere Aufgabe besteht darin, dass jeder Mensch in Würde und vor allem so vollständig und unversehrt wie möglich begraben wird, denn der Mensch wurde nach dem Abbild G'ttes geschaffen ! Dabei betone ich, dass dies für alle Menschen gilt... ganz gleich, ob es Juden, Araber oder Christen sind.

Wir fordern Sie auf, dieser nichtstaatlichen Organisation, die ihre schwere und würdige Arbeit in Stille und Entschiedenheit erfüllt, Ihre finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen. Sie können Ihre Spende direkt an folgende Adresse schicken:
CHESSED SCHEL EMET
Mizrachi Bank
Main Branch No.401
Konto-Nr. 587.900
JERUSALEM / ISRAEL