Israel in Schanghai
Von Roland S. Süssmann
Der ruhige, moderne Komfort des Flughafens von Schanghai gehört nach fünf Minuten Autofahrt einer fernen Vergangenheit an. Der Reisende taucht nämlich sofort in das typische Gewühl einer übervölkerten, chinesischen Stadt ein, wo Abertausende von Fahrradfahrern die Strassen verstopfen, ganz zu schweigen von den dichtgedrängten Massen der Fussgänger. Diese chinesische Metropole hat im Verlauf der letzten Jahre eine sprunghafte Entwicklung durchgemacht. Obwohl Schanghai heute die wichtigste Handelsstadt Chinas ist, verfügt sie noch nicht über eine ausreichende Infrastruktur. Doch da die Chinesen sehr rasch arbeiten, sollten die entsprechenden Verbesserungen bald durchgeführt werden.
In dieser aufstrebenden Stadt mit einer vielversprechenden Zukunft hat nun die israelische Regierung die Eröffnung eines Konsulats im September 1994 beschlossen. Zweieinhalb Jahre nach der Schaffung ihrer Botschaft in Beijing (siehe SHALOM Vol.XV) verstärkt und diversifiziert Israel seine Präsenz in China. Um die Gründe für diese Entscheidung zu verstehen, sind wir mit S.E. MOSHE RAM, dem ersten israelischen Generalkonsul in Schanghai, zusammengetroffen, der in seiner Laufbahn als Diplomat bereits im Fernen Osten tätig war.


Aus welchen Gründen braucht Israel ein Konsulat in Schanghai ?

Das Aussenministerium befindet sich gegenwärtig in einer Phase der Umstrukturierung. Während langen Jahren richtete sich das Zentrum der israelischen Diplomatie aus einleuchtenden Gründen auf die Vereinigten Staaten aus. Seit einer gewissen Zeit und vor allem seit dem Zusammenbruch der UdSSR hat sich der Ferne Osten zu einem ausnehmend wichtigen wirtschaftlichen und politischen Zentrum entwickelt. Im Verlauf der letzten fünf Jahre haben wir alles eingesetzt, um unsere Beziehungen mit den Ländern dieser Region der Welt zu fördern, darunter insbesondere mit Japan. Die Volkswirtschaft Chinas erfährt heute weltweit die stärkste und schnellste Entwicklung; die jährliche Zuwachsrate liegt für das gesamte Land bei 13%, für Schanghai bei 18%. Wir glauben, dass China zu Beginn des nächsten Jahrtausends die bedeutendste wirtschaftliche Supermacht sein wird. In der Zukunft werden nicht mehr die politischen Beziehungen, sondern der geschäftliche und wirtschaftliche Austausch den Unterschied dabei ausmachen, wie die Länder zueinander stehen. Die Prioritäten und Gebräuche der Diplomatie haben einen radikalen Wandel erfahren, da der Schlüssel zum Erfolg von nun an bei der Wirtschaft liegt. Daher müssen wir unsere Exporte erhöhen, und in dieser Hinsicht bietet der chinesische Markt mit seinen 1,2 Milliarden Verbrauchern ungeahnte Möglichkeiten. Die Eröffnung des Konsulats in Schanghai ist somit vor allem vom wirtschaftlichen Standpunkt aus zu betrachten, doch gleichzeitig möchten wir ebenfalls die wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen vertiefen. Die Handelsbilanz zwischen unseren beiden Ländern erreicht im Moment nur ca. US$ 150 Millionen, was angesichts der Grösse des potentiellen Marktes eine verschwindend kleine Zahl darstellt. Neben der Spitzentechnologie und der Landwirtschaft können wir unsere Exporte im Bereich des Gesundheitswesens erhöhen, die noch sehr steigerungsfähig sind, da Schanghai 32 Spitäler zählt, Privatkliniken oder ausländische Institutionen nicht eingerechnet. Eine neuere Untersuchung der Israelischen Vereinigung der Hersteller medizinischer Produkte ist zum Schluss gekommen, dass ein ständiger Vertreter in Schanghai von grossem Nutzen wäre. Einige israelische Unternehmen haben dort bereits Niederlassungen eröffnet.


Verfügt die israelische Botschaft in Beijing nicht bereits über eine Abteilung für Wirtschaftsfragen ?

Doch, selbstverständlich, doch wenn Hongkong ab 1997 von China verwaltet wird, werden die meisten grossen Banken sich in Schanghai niederlassen. Nach 1997 wird die Bedeutung dieser Stadt demnach noch ansteigen. Daher möchten wir bereits heute hier präsent sein, um die neue Ära nach 1997 vorzubereiten. Dennoch sieht es so aus, als ob wir unser Konsulat in Hongkong (siehe SHALOM Vol.XV) beibehalten würden. Das Konsulat wird ausserdem die Abteilung für Wirtschaftsfragen der Botschaft in Beijing nicht ersetzen, denn seine juristische Befugnis wird nur drei Regionen umfassen: Schanghai, Sche-Jiang und Jiang-Tsu, zu der auch Nanjing gehört, die ehemalige Hauptstadt Chinas. Es ist ebenfalls von ausserordentlicher Wichtigkeit, mit den Behörden und lokalen Persönlichkeiten von Schanghai ausgezeichnete Kontakte zu pflegen, denn viele von ihnen werden aller Wahrscheinlichkeit nach auch in der näheren und ferneren Zukunft in Beijing an den Schaltstellen sitzen und in der chinesischen Politik eine bedeutende Rolle spielen. Die wirtschaftliche Macht Schanghais, seine Öffnung zur Welt und das kosmopolitische Wesen der Stadt verleihen dieser Metropole und der umgebenden Region eine vorherrschende Stellung für die Zukunft des Landes. Abschliessend möchte ich hinzufügen, dass meine grundlegende Funktion darin besteht, den israelischen Unternehmen bei der Suche nach einem Geschäftspartner zu helfen, damit sie ihre Tätigkeit in China vorantreiben können, wovon die gesamte israelische Wirtschaft profitieren wird.