Editorial
Von Roland S. Süssmann
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
"Mit Jordanien kommen wir gut voran. Bei den Palästinensern kämpfen wir mit Schwierigkeiten". Dieser knappen Beschreibung scheint die Situation heute zu entsprechen. Doch wie sieht sie in Wirklichkeit aus ?
Vor einem Jahr erfuhr die Welt voller Entsetzen, dass Rabin eines der grundlegenden Elemente, die Israel zum stolzen und würdigen jüdischen Staat machen das fest in seinen Grundsätzen verankert ist, voller Verachtung zerstört hatte: es ging um die Weigerung, mit Terroristen zu verhandeln, und um den Kampf gegen all jene, die jüdisches Blut vergiessen. Ein Jahr nach dem beschämenden Handschlag zwischen Rabin und Arafat und zahlreichen Begegnungen der beiden Männer, die für Israel sowohl banal als auch erniedrigend sind, erweist sich die Situation als spannungsgeladener denn je. Die Terroristenorganisation PLO besitzt bestimmte, heute judenrein gewordene Teile Eretz Israels. Ihre militärischen Streitkräfte haben nicht die Absicht, in den autonomen Zonen, wo sie mit dem Hamas zusammenarbeiten, für Ordnung zu sorgen. Die ökonomische Lage ist extrem schwierig und die sozialen Spannungen werden bald zu erneuten Mordanschlägen in Israel und zu antisemitischen Attentaten in der ganzen Welt führen; das Massaker in Buenos Aires war nur ein Anfang. Diese Taten werden gemeinsam von den vom Iran und von Syrien beauftragten Islamisten ausgeführt werden, in enger Zusammenarbeit mit den neonazistischen Gruppen im Umfeld der PLO und des Hamas. Der Terrorist Arafat seinerseits zieht in Gaza seine Show ab und empfängt im Büro, aus dem er die blutigen Angriffe gegen israelische Zivilpersonen und Soldaten der Tsahal organisiert und koordiniert, alle möglichen Würdenträger, unter ihnen auch Shimon Peres. Arafat hat sich nicht geändert: sein erklärtes Ziel, wie auch dasjenige des Hamas, bleibt die Vernichtung Israels. Sogleich nach seiner Ankunft in Gaza hat er seine "Brüder in Galiläa und im Negev" aufgefordert, sich ihm in seinem Kampf um die Befreiung Jerusalems anzuschliessen; an der PLO-Charta hat er bisher noch kein i-Tüpfelchen verändert.
Vor dem Hintergrund dieser Tatsachen, die meilenweit von den idealistischen Hoffnungen derjenigen entfernt sind, welche die Abkommen Rabin-PLO begeistert begrüsst hatten, haben die Feierlichkeiten in Washington zu Ehren der Annäherung zwischen Israel und Jordanien stattgefunden. Es ist schwierig, einem kriegsverhindernden Abkommen zwischen Israel und einem arabischen Staat, das von einer grossen Mehrheit der Knesset verabschiedet wurde, nicht zuzustimmen, ohne als "Kriegshetzer" oder Extremist abgestempelt zu werden. Ein wenig kritischer Menschenverstand ist hier jedoch vonnöten. Es gibt keinen Juden auf der Welt, der sich nicht den Frieden wünscht. Doch welchen Preis verlangt Jordanien für diesen Frieden mit Israel ? Als erstes haben sie die Kontrolle über den Tempelberg verlangt und auch erhalten. Wenn Jerusalem die Hauptstadt des jüdischen Staates ist, dann aber gerade wegen des Berges Moriah, auf dem der Felsendom und die Al Aksah-Moschee stehen. Seit über 4000 Jahren verkörpert dieser Berg den heiligsten Ort unseres Kulturgutes, zu dem sich die Juden der ganzen Welt dreimal täglich zum Gebet hinwenden, ob sie sich nun in Miami oder... in Auschwitz befinden. Die Jordanier fordern ebenfalls die Rückkehr der 800'000 palästinensischen Flüchtlinge, die seit 1948 bewusst in Lagern in Jordanien gepfercht wurden, nach Judäa-Samaria. Das haschemitische Königreich verlangt, dass Israel ihm 313 Millionen m3 Wasser liefert, was einem Drittel des israelischen Wasserverbrauchs entspricht, sowie 386 m2 Land im Negev abtritt. Hussein hat nun die Hand eines begeisterten Rabin geschüttelt, wobei diese Geste dem kleinen König die erkleckliche Summe von US$ 1 Milliarde einbrachte.
Angesichts der jordanischen Forderungen sollte sich Israel fragen, ob der Frieden als Selbstzweck angestrebt wird oder ob bestimmte nationale Interessen nicht wichtiger sein sollten. Denn sollte die haschemitische Dynastie die Macht verlieren, steht Israel einem palästinensischen Staat mit Gebieten diesseits und jenseits des Jordans gegenüber, der mit Saddam, Assad, dem Iran und Saudiarabien verbündet ist, die sich gemeinsam für die Eroberung Jerusalems einsetzen werden !
Mangels echter Erfolge ist Rabin zur Flucht nach vorn verurteilt, die wahrscheinlich zu einem gefährlichen Abkommen mit Syrien führen wird. Assad wird den Golan zurückverlangen und dadurch Galiläa und das Jordantal der Bedrohung durch seine Geschütze aussetzen. Syrien kann davon nur profitieren: es wird von der amerikanischen Liste der terrorismusfördernden Staaten gestrichen und der Hisbollah wird weiterhin ungestraft auf syrischem oder libanesischem Boden tätig sein. Syrien wird immer noch die Mohnfelder der Bekaa bebauen und dadurch den islamischen Narko-Terrorismus finanzieren und die Verbindung Damaskus-Teheran pflegen. Ist eine israelische Botschaft in Damaskus diesen hohen Preis wert ? Diesen "Frieden" versucht Rabin den Israelis und dem jüdischen Volk schmackhaft zu machen, einen "strategischen Frieden", der den israelisch-arabischen Konflikt für immer beendet ! Die Opposition hingegen verhält sich so, als ob diese neuen Gegebenheiten nur ein vorübergehender Alptraum wären, und verschliesst die Augen vor den vollendeten Tatsachen in den Gebieten und dem Problem der israelischen Araber, einer Bombe mit Spätzündung.
Im Grunde sind alle diese schwerwiegenden politischen, militärischen und diplomatischen Fehler und das Abtreten jüdischen Bodens das Resultat der mangelnden jüdischen und zionistischen Überzeugung und der Demotivation der jüdischen Bevölkerung Israels. Die wichtigsten Prinzipien des Judentums werden mit Füssen getreten, Kosmopolitismus, Materialismus, Nihilismus, Epikureismus und Sozialismus sind zu den einzigen Werten geworden. Es naht die Stunde der Wahrheit, da Israel sich zwischen einem weltlichen Staat und einem authentischen jüdischen Staat wird entscheiden müssen. Wird die nichtreligiöse Bewegung des "Friedenslagers" erst dann zufrieden sein, wenn Israel auf ein winziges Stück Land reduziert worden ist, das dem Teilungsplan von 1947 entspricht ? Wenn ja, wäre Israel verloren. Doch der jüdische Staat ist weit mehr als eine simple sozioökonomische Gegebenheit oder eine Ansammlung von verfolgten und idealistischen Juden, die sich auf einem Fleckchen Land zusammengefunden haben. Der Niedergang des jüdischen Volkes hat aus historischer und religiöser Sicht mit der Zerstörung des Zweiten Tempels begonnen und seinen Tiefstpunkt mit der Schoah erreicht. Seither hat es aufgrund riesiger Opfer einen Neuanfang gemacht: Gründung des Staates, Befreiung Jerusalems und Hebrons, Verzehnfachung der jüdischen Bevölkerung in Eretz Israel seit 1948. Die schrecklichen Entwicklungen der Gegenwart sollten nur eine vorübergehende Abweichung von dieser aufstrebenden Kurve darstellen.
In dieser schwierigen Zeit gibt uns eine Botschaft des Propheten Jesajas (54,10) Halt, denn weder logisches noch planvolles Denken können uns noch Mut einflössen. "Denn die Berge mögen wohl wanken und Hügel hinfallen, aber meine Gnade wird nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens wird nicht wanken, spricht der Ewige, dein Erbarmer".
Frohe Festtage ! Glückliches neues Jahr !

Roland S. Süssmann
Chefredakteur

Gaza, Israel, Juli 1994.