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Inhaltsangabe Gerechtigkeit Herbst 2008 - Tischri 5769

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Rosch Haschanah 5769
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Hetzjagd

Von Dr. Efraim Zuroff *
Für viele Menschen ist der südamerikanische Kontinent - nicht ganz grundlos - fast gleichbedeutend mit einem Zufluchtsort nationalsozialistischer Kriegsverbrecher. In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg flohen zahlreiche Nazis, die in der Schoah eine gewichtige Rolle spielten, nach Lateinamerika und fanden vor allem in Argentinien Zuflucht. Unter ihnen auch Adolf Eichmann, der Verantwortliche für die Umsetzung der Endlösung in ganz Europa, der nach Buenos Aires flüchtete, sowie Josef Mengele, der Arzt von Auschwitz, der in erster Linie für seine pseudowissenschaftlichen Experimente an Zwillingen und Drillingen bekannt wurde (anhand derer er das Geheimnis der Mehrfachgeburten lüften wollte, um später in Deutschland eine demografische Explosion herbeizuführen). Diese beiden gelten zwar als die bekanntesten Flüchtlinge, doch sie waren bei weitem nicht die einzigen, die in der argentinischen Hauptstadt ein neues Leben begannen.
Da waren auch Walter Kuschmann (oder Pedro Olmo, wie er sich nannte), Polizeichef von Lvov; Edward Koschmann, einer der Organisatoren des Massakers an den Juden von Riga in Lettland; Ivo Rojnica, während des Kriegs Gouverneur von Dubrovnik in Kroatien und wichtiges Mitglied der faschistischen Bewegung Ustaschi.
Andere grausame Verbrecher liessen sich ebenfalls in Argentinien nieder. Josef Schwammberger, Kommandant von Rozvadow, Mielea und Przemysl, alles Arbeitslager in Polen, der eigenhändig eine ganze Reihe von Gefangenen umgebracht hatte, wohnte in Cordoba. Erich Priebke hatte sich für Bariloche entschieden: Dieser Gestapo-Offizier in Rom hatte als Vergeltungsmassnahme für einen Partisanenangriff, bei dem 30 deutsche Soldaten ums Leben kamen, die Hinrichtung von 335 italienischen Geiseln veranlasst (unter ihnen 75 Juden). Das Paar Dinko und Nada Sakic wurde in Santa Teresita aufgespürt; er war Kommandant von Stara Gradiska gewesen, sie hatte als Aufseherin dieses Frauenlagers gedient, das an das KZ Jasenovac in Kroatien angeschlossen war und als „Auschwitz des Balkans“ bekannt wurde.
Die Einreise unzähliger Nazi-Kriegsverbrecher nach Argentinien kam nicht von ungefähr. Dank dem wichtigen Buch des argentinischen Journalisten Uki Goñi (Odessa: Die wahre Geschichte) wissen wir heute, dass die Regierung Peron eine grosszügig finanzierte Kampagne lanciert hatte, um Asyl suchende Nazi-Verbrecher aufzustöbern und ihnen in Argentinien Unterschlupf anzubieten. Die Verbrecher der Schoah brauchten also keinesfalls die Immigrationsbehörden zu hintergehen, um in Argentinien einzureisen, sondern wurden dort wie lang erwartete Immigranten willkommen geheissen.
Die Geschichte der Einwanderung von Nazis in anderen Ländern Südamerikas wurde nicht so ausführlich dokumentiert, doch es steht fest, dass kein einziges dieser Länder sich so sehr darum bemühte wie Argentinien oder auch nur vergleichbare Anstrengungen unternahm. Zahlreiche hochrangige Nazis, die während der Schoah eine wichtige Rolle spielten, haben dennoch auf diesem Kontinent Zuflucht gefunden. Einige der Berüchtigsten unter ihnen liessen sich in Brasilien nieder. Zu den Einwohnern der Stadt Brasilia zählte u.a. Franz Stangl, stellvertretender Direktor des Euthanasiezentrums Harthern (in Österreich), Erbauer des Vernichtungslagers Sobibor (wo zwischen 1942 und 1943 insgesamt 250’000 Juden ermordet wurden) und Lagerkommandant von Treblinka. Sein Stellvertreter in Sobibor, Gustav Franz Wagner, sowie auch Herbert Cukurs entschieden sich für Sao Paulo. Letzterer war stellvertretender Befehlshaber des lettischen Kommandos Arajs: Diese aus Freiwilligen bestehende Todesschwadron war für die Ermordung von mindestens 30’000 Juden in Lettland verantwortlich und nahm aktiv an den Gemetzeln in Weissrussland teil, vor allem in Minsk. Erinnern wir auch daran, dass Josef Mengele zu Beginn der 1960er Jahre nach Brasilien umzog und dort 1979 starb.
In diesen Tagen richtet sich die Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit der Jagd auf Nazis erneut auf Südamerika: Man versucht Dr. Aribert Heim aufzuspüren, den weltweit meistgesuchten Nazi-Kriegsverbrecher. Die Suche konzentriert sich hauptsächlich auf Patagonien im Süden von Chile und Argentinien.
Heim diente in den Jahren 1940 und 1941 in den drei Nazi-Konzentrationslagern Buchenwald, Sachsenhausen und Mauthausen als Arzt. In Mauthausen erwarb er sich im Herbst 1941 wegen der sadistischen Verbrechen, die er an seinen Patienten verübte, den zweifelhaften Übernamen „Doktor Tod“. In seinen eigenen gewissenhaften Aufzeichnungen zu den zahlreichen chirurgischen Eingriffen an seinen Opfern ist nachzulesen, dass Heim eigenhändig Hunderte von Gefangenen umbrachte, indem er ihnen Phenol direkt ins Herz injizierte. Er führte ebenfalls Operationen ohne Betäubung sowie diverse Experimente an den Gefangenen durch; er zögerte nicht, Organe oder Glieder seiner Opfer zu verwenden, um sein Büro zu dekorieren. Gegen Ende 1941 wurde er versetzt und verbrachte den Rest des Krieges in einer Einheit der Waffen-SS in Finnland. So befand er sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs seit mehreren Jahren nicht mehr am letzten Schauplatz seiner Verbrechen, Mauthausen. Dies erklärt vielleicht, weshalb er nicht sofort von den Alliierten verurteilt wurde. Obwohl Heim verhaftet wurde und bis 1947 Gefangener in einem amerikanischen Lager war, gehörte er nicht zu jenen Personen, die wegen ihrer in Mauthausen begangenen Verbrechen vor Gericht kamen. Nach seiner Freilassung arbeitete Heim als Gynäkologe in Deutschland, vor allem in der Stadt Baden-Baden. 1962 standen die westdeutschen Behörden kurz davor, ihn dort zu verhaften, doch er war ganz offensichtlich gewarnt worden und es gelang ihm in der Folge zu flüchten. Bis zum heutigen Tag hat er sich der Justiz entziehen können. Im Verlaufe der Jahre wurde berichtet, er habe nacheinander Zuflucht in Ägypten (Anstellung als Arzt bei der lokalen Polizei), in Kanada, Uruguay und Spanien sowie an einigen anderen Orten gefunden. Doch er wurde nie geschnappt. Obwohl Heim von Simon Wiesenthal als einer der bedeutendsten Kriegsverbrecher der Nazis bezeichnet wurde, die noch auf freiem Fuss sind, sank mit der Zeit das Interesse an seiner Person.
Der Fall wurde überraschend wieder aktuell, als 2004 einer der beiden in Deutschland lebenden Söhne von Heim sich ein Finanzdelikt zuschulden kommen liess. In der Folge wurden die Bankkonten der Familie unter die Lupe genommen. Die Ermittler waren nicht wenig verblüfft, als sie in einer britischen Bank ein Konto auf den Namen von Aribert Heim entdeckten, auf dem eine beträchtliche Summe hinterlegt war: 1'200’000 € in Bargeld und 800’000 € in Wertpapieren und Obligationen. Die Erben hätten nur einen Totenschein ihres Vaters vorlegen müssen, um sich das Geld auszahlen zu lassen. Doch das hatten sie nie getan. Logische Schlussfolgerung: Heim war noch am Leben. Die deutsche Polizei stellte also eine Sondereinheit zusammen, die den „Dr. Tod“ finden sollte. Diese Einheit wandte sich an das Simon Wiesenthal Center, das sie über seine Pläne zur Operation „Letzte Chance“ informierte, die in Deutschland im Januar 2005 beginnen sollte. Sie bat uns, dem Namen von Dr. Aribert Heim im Projekt oberste Priorität einzuräumen, was wir auch taten, obwohl das Hauptziel der Operation darin bestand, die Nazi-Kriegsverbrecher ausfindig zu machen, deren Existenz und Aufenthaltsort uns unbekannt waren.
Seither führen wir intensive Nachforschungen durch, um den Aufenthaltsort von Heim zu finden, der in der Zwischenzeit auf den ersten Platz unserer jährlichen Liste der „meistgesuchten“ Verbrecher aufgerückt ist (dieser Aufstieg ist darauf zurückzuführen, dass Alois Brunner, die rechte Hand von Eichmann, der sich lange Jahre in Syrien aufhielt, sicher nicht mehr am Leben ist).
Im Verlauf der letzten dreieinhalb Jahre hat unser Büro in Jerusalem Hunderte von Hinweisen, Informationen und Anhaltspunkten zu Heim erhalten. Er wurde an praktisch jedem Ort auf der Erdkugel gesichtet, von einem Flughafen in Phoenix über Las Vegas bis nach Japan, Vietnam, Belgien, Österreich, Brasilien, Chile, Argentinien und auch in weiteren Ländern. Nach der Auswertung aller Daten kamen wir in enger Zusammenarbeit mit der Sondereinheit der deutschen Polizei zum Schluss, dass Heim sich sehr wahrscheinlich irgendwo im Korridor zwischen dem chilenischen Hafen Puerto Monte und dem argentinischen Skiort Sau Carlos di Bariloche versteckt. Am erstgenannten Ort ist die uneheliche Tochter von Heim, Waltraud Diharce, geborene Boesen, ansässig. Am zweiten haben bekanntlich zahlreiche Nazi-Kriegsverbrecher Zuflucht gefunden. Wir reisten also Anfang Juli nach Südamerika, um die Untersuchungen voranzutreiben, von denen wir hoffen, dass sie zur Gefangennahme und Verurteilung Mannes führen werden, der wegen seiner Verbrechen während der Schoah zu den meistgesuchten Menschen gehört.
Es war von Anfang an klar, dass unser Handlungsspielraum recht beschränkt war. Wir durften ihn weder eigenhändig verhaften noch ihn gefangen halten, falls wir ihn aufspüren würden. Wir haben es aber geschafft, zwei nicht zu unterschätzende Ziele zu erreichen: die Koordination unserer Bemühungen mit den höheren Polizeiinstanzen und den Vertretern von Interpol in Chile und in Argentinien, sowie die Ankündigung der Belohnung von 315’000 € für die Festnahme von Heim, mit gleichzeitiger Bekanntgabe in den internationalen Medien seiner schrecklichen Verbrechen, was uns besonders am Herzen lag. Nach unserem Eintreffen in Patagonien wurde uns nämlich recht schnell bewusst, wie wenig unsere frühere Kampagne, die 2007 in Santiago und Buenos Aires lancierte Operation „Letzte Chance“, von der lokalen Bevölkerung wahrgenommen worden war. Dieses Mal nahmen, zweifellos dank der Verbreitung in den Medien, mehrere lokale Informanten Kontakt zu uns auf, die potenziell wertvolle Hinweise für die Festnahme von Heim liefern konnten.

*Dr. Efraim Zuroff ist Nazi-Jäger, Historiker, Schoah-Spezialist und Leiter des Jerusalemer Büros des Simon Wiesenthal Center von Los Angeles. Sie können ihn unter swcjerus@netvision.net.il kontaktieren oder seine Website aufsuchen: www.operationlastchance.org.

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