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Inhaltsangabe Holland Herbst 2008 - Tischri 5769

Editorial
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Rosch Haschanah 5769
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Politik
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Holland
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Jerusalem und den Haag

Von Roland S. Süssmann
Auf unserer Reise um die Welt haben wir dieses Mal in Den Haag, der Hauptstadt der Niederlande, Halt gemacht, um hier ein Gespräch mit dem israelischen Botschafter zu führen. S.E. HARRY KNEY-TAL, ein seit zwei Jahren in den Niederlanden amtierender herausragender Karrierediplomat, hat uns sehr herzlich empfangen.

Die Geschichte der Beziehungen zwischen Holland und Israel ist recht turbulent und erinnert ein wenig an den Abzählvers „Ich liebe dich von Herzen, mit Schmerzen, über alle Massen, ein wenig … oder gar nicht“. Sie werden uns gleich die aktuellen Beziehungen zwischen den beiden Ländern ausführlich beschreiben. Können Sie uns vorher kurz die wichtigsten Etappen dieser Kontakte zusammenfassen?

Die Niederlande haben Israel erst sehr spät anerkannt, nämlich im Laufe des Jahres 1950. Sie waren wahrscheinlich das letzte Land Europas, das sich zu diesem Schritt entschloss. Wegen des Kriegs in der holländischen Kolonie Indonesien, einem grossen Land mit einer umfangreichen muslimischen Bevölkerung, fürchteten die niederländischen Politiker, die Anerkennung des jüdischen Staates würde ihnen dort zusätzliche Schwierigkeiten bescheren. So lautete zumindest die offizielle Stellungnahme der Regierung, was aber nicht der öffentlichen Meinung nach dem Zweiten Weltkrieg entsprach, die im Allgemeinen viel Sympathie für uns hegte. Gleich nach der offiziellen Anerkennung vereinten sich öffentliche Meinung und Position der Regierung zu einer wahren Welle der Sympathie. Grund dafür waren u.a. das Leid der Juden und die Schuldgefühle der Niederländer in Bezug auf ihr Verhalten gegenüber der jüdischen Bevölkerung während der Schoah. Ausserdem waren die Politiker entschlossen, uns für ihre Verspätung bei der formellen Anerkennung von Israel zu entschädigen. So kam es, dass die 50er und 60er Jahre zu einem eigentlichen Goldenen Zeitalter für die Beziehungen zwischen den beiden Staaten gediehen. Dazu möchte ich in Erinnerung rufen, dass die Niederlande als einziges europäisches Land bis ins Jahr 1981 eine Botschaft in Jerusalem beibehalten hatten. In eben dieser Zeitspanne reisten unzählige offizielle Delegationen, wie z.B. die königliche Familie, die Minister aller Stufen und viele mehr nach Israel, um die neue Situation persönlich kennen zu lernen. Auch auf wirtschaftlicher Ebene wurden die Beziehungen immer intensiver. Ihren Höhepunkt erreichten sie wohl im Jahr 1967, als am ersten Tag des Sechstagekriegs in Amsterdam über 500’000 Menschen zu einer Massendemonstration zusammenkamen, um ihrer Solidarität mit Israel Ausdruck zu verleihen. Die holländischen Gewerkschaften entschieden sich, ein halbes Prozent ihres landesweiten Monatseinkommens an Israel abzutreten. Ausserdem wurde eine nationale Blutspendeaktion zugunsten von Israel durchgeführt. Dazu kam eine bemerkenswerte militärische Kooperation. Ähnliche Aktionen wiederholten sich 1973 während des Jom-Kippur-Krieges, als der Verteidigungsminister, ein Sozialdemokrat und Mitglied der Arbeitspartei, beschloss, das nationale Waffenarsenal zu öffnen, um die Grundbedürfnisse des jüdischen Staates abzudecken, und zwar ohne zuvor die Regierung darüber informiert zu haben. Als 1991 irakische Scud-Raketen auf Tel Aviv abgeschossen wurden, ergriff Holland die Initiative und schickte eine Batterie von Patriot-Abwehrraketen nach Israel. Die Sicherheit Israels entpuppte sich als ein Thema, das der Bevölkerung und der Regierung Hollands sehr am Herzen lag.

Warum, wann und wie kam es zu einer Verschlechterung der Beziehungen?

Ab 1967 war auch in Holland dasselbe zu beobachten wie auch im übrigen Europa, nämlich eine allmähliche, aber tief greifende Veränderung der öffentlichen Einstellung gegenüber Israel. Die sozialistischen, sozialdemokratischen und liberalen Elemente setzten alles daran, dass die sogenannte „palästinensische“ Version des Konflikts immer mehr in den Vordergrund rückte. Als die israelische Präsenz in Judäa-Samaria-Gaza sich immer mehr in die Länge zog, identifizierte sich die europäische Jugend, die politisch insgesamt eher Mitte-Links ausgerichtet ist, immer mehr mit der palästinensischen Sache. Diese Entwicklung spiegelte sowohl in wirtschaftlicher als auch in diplomatischer Hinsicht einen Wandel in der israelischen Gesellschaft wider. Die USA galten nämlich immer mehr als der einzige wirklich zuverlässige Alliierte von Israel und umgekehrt, und gleichzeitig wurde Europa etwas vernachlässigt, was zur Folge hatte, dass die europäischen Staaten deutlich und überstürzt von uns abrückten. Darüber hinaus hat die Umstellung Israels von einer sozialistischen Wirtschaft, die von der Regierung bestimmt und vorgeschrieben wurde, auf ein neoliberales Wirtschaftsmodell ebenfalls dazu beigetragen, dass die Entfremdung von Europa grösser wurde, wo die sozialistischen Parteien in der Politik und in der Diplomatie einen hohen Stellenwert besitzen. Die europäischen Sozialdemokraten waren - bestimmt zu Unrecht - der Ansicht, dass sie nur noch wenig mit ihren Schwesterparteien in Israel gemeinsam hätten. Ausserdem wurde die neue Generation von israelischen Führungskräften und Geschäftsleuten nicht in Europa geboren; sie sind sehr pragmatisch und gehen davon aus, dass die Welt sich letztendlich in zwei Kategorien aufteilen lässt: in die Länder, mit denen sie sich einigen können und mit denen gemeinsame Projekte möglich sind, und in jene anderen, die sich letztlich nicht für Israel interessieren und dem Land eher ablehnend gegenüberstehen. Einen weiteren Aspekt darf man nicht ausser Acht lassen, nämlich den Zusammenbruch des traditionellen Parteiensystems in Israel. Die Beziehungen zwischen den Parteien ähnlicher Ausrichtung überall auf der Welt, wie beispielsweise die sozialistische Internationale, stellten insbesondere in Europa ein hilfreiches Netzwerk dar. Dieses System existiert zwar immer noch, ist aber deutlich abgeschwächt. Diese Entwicklung ist nicht nur bei den zwischenparteilichen Beziehungen zu beobachten, sondern auch bei den Kontakten der Histadruth zu den anderen Gewerkschaften Europas, und führt zu ganz konkreten negativen Auswirkungen. So stammt die britische Initiative, die zum Boykott der akademischen Welt Israels aufruft, ebenfalls von der Linken. Es gibt heute in Israel niemanden mehr, der über ausreichend enge Beziehungen zu den Verantwortlichen am Ursprung solcher Ideen mehr verfügen würde, um sie durch ein einfaches freundschaftliches Telefongespräch aus der Welt zu schaffen. Das Zusammenwirken dieser Elemente erklärt in gewisser Weise, wie und weshalb die Beziehungen Europas zu Israel im Allgemeinen und diejenigen der Niederlande zu Israel im Besonderen sich im Verlauf der vergangenen zehn Jahre so nachhaltig verändert haben. Einige entscheidende Faktoren stützen diese Realität: die Kontrolle Israels über die Gebiete, die in Europa als die Fortsetzung einer Ungerechtigkeit und als ein unüberwindliches Hindernis für den Frieden angesehen wird, die engen Beziehungen zu den USA, aber auch eine neue Generation, die natürlich keinen Bezug mehr zur Schoah hat und davon ausgeht, dass der kleine David nun zum grossen, mächtigen und bösen Goliath herangewachsen ist. Ein weiterer Grund ist die Tatsache, dass die Palästinenser und ihre Freunde es geschafft haben, den Konflikt auf ihr eigenes Problem zu reduzieren, obwohl man bei eingehender Betrachtung der gesamten Situation nicht leugnen kann, dass die wesentlichen Faktoren, die zum arabisch-israelischen Konflikt führen, sich seit 1948 nicht verändert haben. Die Welt hat sich verändert, auch die Araber haben etwas verändert… nämlich ihre Taktik. Sie verstehen es viel besser als wir, ihr Anliegen auf internationaler Ebene geltend zu machen. Und was auf die ganze Welt und auf Europa zutrifft, gilt natürlich auch in Holland.

Die Öffentlichkeitsarbeit der arabischen Welt ist wesentlich effizienter als diejenige von Israel. Was kann man konkret gegen diese Angriffe unternehmen?

Es stimmt, die Araber verfügen ganz objektiv gesehen über riesige Budgets zur Verteidigung ihrer Anliegen. Sie profitieren von Presseberichten, die ihnen freundlich gesinnt sind, und die UNO verabschiedet immer mehr Resolutionen zugunsten der Palästinenser! Doch was haben sie damit wirklich erreicht? Besitzen sie einen eigenen Staat? - Nein! Haben sich die arabisch-israelischen Beziehungen so stark verbessert, dass eine friedliche Koexistenz oder der Frieden in Greifweite gerückt wären? - Nein! Es gäbe noch viele weitere Beispiele. Das beweist, dass die seit sechzig Jahren andauernden Bemühungen der israelischen Diplomatie einen riesigen Erfolg verbuchen können, was bis heute niemand erkannt hat. Alles spricht von den technologischen, militärischen und wirtschaftlichen Errungenschaften Israels, doch die Diplomatie fehlt unverständlicherweise jeweils auf der Liste. Das Ziel der israelischen Diplomatie besteht letztendlich darin, den führenden Politikern des Landes auf internationaler Ebene den erforderlichen Spielraum zu geben. Und dies ist ihr wunderbar gelungen, da bis heute keine endgültige Entscheidung zu den wesentlichen Fragen gefällt oder uns aufgezwungen wurde, die Israel direkt betreffen. Die extrem positiven Beziehungen zu den USA beispielsweise, die in erster Linie der Armee zugute kommen, sind zweifellos das Resultat der bemerkenswerten Arbeit unseres Auswärtigen Amtes. Dies gilt ebenfalls für Europa, wo die Presse Israel regelmässig und systematisch an den Pranger stellt und Israel dennoch bei den europäischen Kanzlerämtern ein Ansehen geniesst, das deutlich besser ist als in der Vergangenheit. Im vergangenen Juni konnten wir bekannt geben, dass wir eine Vereinbarung mit der EU betreffend eine Aufwertung unserer Beziehungen zu sämtlichen Mitgliedstaaten abschliessen konnten. Hätten sich die viel zitierten PR-Bemühungen und die feindliche Presse wirklich ausgewirkt, hätten sich die Staaten der EU wahrscheinlich nicht zu einer Verbesserung der Kontakte durchringen können, sondern hätten diese im Gegenteil eher eingefroren und vielleicht gar einen Boykott in Erwägung gezogen. Heute setzen sich die EU-Staaten nach Kräften dafür ein, die Kontakte zu uns zu intensivieren, immer mehr Delegationen statten uns einen Besuch ab und die Handelsbeziehungen nehmen zu. Dies beweist auch, dass Europa endlich begriffen hat, wie wichtig gute Arbeitsbeziehungen zu Israel sind, um unser Vertrauen zu gewinnen, um eventuell eines Tages auch einen gewissen Einfluss auf uns ausüben zu können und somit zur Lösung des Konflikts beizutragen. Diese Entwicklung ist natürlich als Erfolg der israelischen Diplomatie zu werten, deren Budget drastisch gekürzt wurde. Es ist auch zu beachten, dass das Budget Israels für Öffentlichkeitsarbeit geringer ist als die Summe, die für die Werbung der israelischen Gesellschaft für Milchprodukte Tnuva zur Verfügung steht!

Glauben Sie nicht, dass eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit sowie eine vermehrte Präsenz der Vertreter Israels in den Fernsehnachrichten dazu beitragen würden, unser Anliegen voranzutreiben?

Wie ich Ihnen bereits dargelegt habe, bin ich der Meinung, dass die Anstrengungen der Diplomaten in erster Linie in die Tiefe gehen und auf der Ebene der Kanzlerämter und Parlamente stattfinden sollten, was bereits zu konkreten Ergebnissen zu unseren Gunsten geführt hat. Die Medien dürfen dabei nicht vernachlässigt werden, sollten aber nicht im Zentrum unserer Arbeit stehen. Die Diplomatie hat ihre Aufgabe zu erfüllen, d.h. sie soll der Regierung und der Armee die Gelegenheit geben, die für notwendig erachteten Tätigkeiten erfolgreich durchzuführen, ohne sich dabei dem Druck der internationalen Gemeinschaft auszusetzen.

Ein kurzer Blick auf die führenden Politiker Europas der Gegenwart ergibt, dass die Präsidenten und Premierminister in Frankreich, Deutschland, Italien und selbst Grossbritannien Israel insgesamt weniger feindlich gegenüberstehen als ihre Vorgänger, ja sich einige sogar als Freunde Israels bezeichnen. Inwiefern wird sich dieser Umstand Ihrer Meinung nach positiv auf die Entwicklung der Beziehungen zwischen EU und Israel auswirken?

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese neue Sachlage mit der Zeit Früchte tragen wird. Ich würde Ihre Liste ohne zu zögern durch Holland ergänzen, dessen Regierungskoalition uns freundschaftlich gesinnt ist. Es kommt nicht selten vor, dass die Holländer innerhalb Europas Initiativen zu unseren Gunsten ergreifen, und zwar in viel weiterem Ausmass als einige der von Ihnen aufgeführten Regierungen. Die wichtigen europäischen Staaten beteuern zwar uns gegenüber oft, dass sie uns selbstverständlich zur Seite stehen würden, dass aber die nationalen Interessen ihnen eine andere Politik aufzwingen. Zur Veranschaulichung verweise ich darauf, dass es spannend sein wird zu beobachten, wie die italienische Regierung, die sich rhetorisch sehr solidarisch uns gegenüber gibt, in Bezug auf den Iran reagieren wird, wenn man weiss, wie gross die wirtschaftlichen Interessen Italiens in diesem Land sind. Ein weiteres Beispiel ist der betont herzliche und freundschaftliche Besuch von Präsident Sarkozy in Israel. Hört man sich aber seine Rede vor der Knesset etwas aufmerksamer an, stellt man fest, dass er von Israel sehr harte Entscheidungen im Hinblick auf fundamentale Fragen wie die israelischen Siedlungen, Jerusalem usw. verlangt. Es ist demnach zwischen Inhalt und Form zu unterscheiden, die ja eigentlich untrennbar miteinander verbunden sind. Die israelischen Spitzenpolitiker machen immer wieder denselben Fehler: Wenn sie an Europa denken, beziehen sie sich dabei nur auf die wenigen grossen Staaten. Doch heute setzt sich Europa aus 27 Mitgliedern zusammen, darunter aus vielen kleineren Staaten, die mit Nachdruck die sehr realistische Idee vertreten, dass ausgezeichnete Beziehungen zu Israel Europa nur zum Vorteil gereichen können. Ich muss dazu sagen, dass Holland bei dieser Entwicklung eindeutig eine wegweisende Rolle gespielt hat. Dies zeigt das Engagement des Premierministers, viel mehr aber noch dasjenige des Aussenministers Maxime Verhagen von der Partei der Christdemokraten, der sich die Verbesserung der Beziehungen zu Israel als wesentliches Element seiner politischen Strategie auf seine Fahnen geschrieben hat. Im Verlauf der vergangenen 18 Monate reiste er drei Mal nach Israel und setzte sich für die Intensivierung der bilateralen Beziehungen ein, sogar in Bereichen, für die ein Aussenminister eigentlich nicht zuständig wäre, wie für Handel, Forschung, kulturellen Austausch usw. Er möchte mit dem Beispiel vorangehen und damit seinen Amtskollegen sowohl in der EU als auch in der NATO klar machen, dass Israel eine Demokratie ist, dass die Mitgliedstaaten der oben genannten Organisationen eine Reihe von grundlegenden Werten mit Israel gemeinsam haben und dass sie deswegen Hand in Hand mit uns zusammenarbeiten sollen. Was natürlich nicht heisst, dass wir in allem derselben Ansicht sind.

Verfolgt Holland mit dieser Vorgehensweise bestimmte Interessen?

Holland blickt auf eine lange Tradition zurück, wenn es darum geht, zur pazifistischen Lösung von Konflikten beizutragen. Dies reicht weit in die Vergangenheit zurück, denken wir nur an die berühmte Haager Konvention, die auf den russisch-japanischen Krieg zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurückgeht. Zudem wurden zahlreiche internationale Abkommen in Bezug auf die Seerecht, Menschenrechte und viele andere in Den Haag unterschrieben. Heute ist der Aussenminister der Meinung, dass man früher Israel zwar mit viel Aufhebens und Lärm kritisierte und unter Druck setzte, dass heute nun aber der Zeitpunkt gekommen sei, einen neuen Ansatz zu wählen und mit den Israelis einen reifen und gelassenen Dialog aufzunehmen. Auf diese Weise möchten sie uns begreiflich machen, dass auch in ihrem Interesse liegt, alles zu versuchen, um unseren Konflikt mit den Arabern beizulegen. Auch wenn sein Vorgehen im Parlament und sogar innerhalb seiner Koalition oft kritisiert wird, beharrt er auf seinen Positionen und bemüht sich sowohl in Holland als auch im Rahmen der EU nach Kräften, die Politik der Repression uns gegenüber ad acta zu legen und nach neuen Wegen der Kooperation mit Israel zu suchen. Die verschiedenen Bereiche, in denen wir zusammenarbeiten, wie die wissenschaftliche Forschung und der Handel, zahlen sich auch für Holland aus. Ich muss sagen, dass die positive und offene Einstellung in Israel nicht auf taube Ohren gestossen ist. Die Handelsbeziehungen zwischen Holland und Israel sind angesichts der Summe von 2,6 Milliarden Euro bedeutender als jene zu Frankreich. Holland steht somit an dritter Stelle nach Deutschland und Grossbritannien, und der Handel betrifft sehr viele Bereiche, insbesondere chemische Produkte und Kunststoffe. Die kulturellen Ähnlichkeiten sowie die Solidarität zwischen kleinen Staaten führen dazu, dass zahlreiche Israelis aus geschäftlichen Gründen, aber auch als Touristen nach Holland kommen, vor allem für Wanderungen, was Holland zu einem bevorzugten Ferienziel von Familien macht. Sie sehen, die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern sind gut, ja sogar ausgezeichnet, auch wenn die Presse uns weiterhin feindlich gegenübersteht.

Wo setzen Sie bei den bilateralen Beziehungen die Prioritäten und was bereitet Ihnen am meisten Schwierigkeiten?

Ich habe positive und negative Sorgen. Negativ ist, dass ich immer noch nicht weiss, wie ich die Presse davon überzeugen kann, sich von ihrer propalästinensischen Obsession loszusagen oder zumindest eine gewisse Ausgeglichenheit zu wahren, und sei es nur durch die Klarstellung historischer Fakten. Die in den Medien aufgeführten geschichtlichen Zitate stammen fast ausschliesslich aus einem einzigen Handbuch, das von palästinensischen Arabern verfasst wurde. Unsere Sichtweise wird überhaupt nicht berücksichtigt. Die Presse veröffentlicht täglich unzählige Artikel über Israel, die von ernsthaften Themen, wie z.B. den auswärtigen Angelegenheiten und der Armee, bis zu frivoleren Episoden reichen, wie die Polemik um die Gay-Parade in Jerusalem. Es ist aber schwer, immer wieder aufgewärmte Stereotypen zu durchbrechen. Dazu gehören Vorurteile wie: „Israel ist aggressiv gegenüber den Palästinensern – Israel ist voller unberechenbarer orthodoxer Einwohner – In Israel wimmelt es von Soldaten“. Diese Artikel werden immer mit den Stellungnahmen von linksextremen Israelis gewürzt, die den Staat mit allen Mitteln verleumden. Die holländische Presse ist in Israel sehr stark vertreten, oft durch Glaubensbrüder.
Positiv ist hingegen die Herausforderung, wie man das „Guthaben an Goodwill der Regierung“, über das wir verfügen, in konkrete Taten umsetzen könnte, wie z.B. in die Erhöhung des Handelsvolumens. Nach der industriellen und post-industriellen Revolution sowie der Dienstleistungswirtschaft treten sowohl Holland als auch Israel nun in die dritte Phase der Wirtschaft ein, die von der Wissenschaft dominiert und gestützt wird. In diesem Bereich können wir eine führende Rolle übernehmen. Obwohl wir in Bezug auf wissenschaftliche Entdeckungen und Innovationen zwar noch sehr von einer sehr schwerfälligen Bürokratie behindert werden, besitzen wir doch einen eindeutigen Vorsprung auf zahlreiche Länder. Eine der Aufgaben meiner Botschaft besteht darin, meinen Kollegen in Israel, aber auch den verschiedenen Unternehmen verständlich zu machen, dass Holland natürlich weder die USA noch Deutschland, Frankreich, Grossbritannien oder Italien ist, dass es aber hier ein hoch interessantes Potenzial für Zusammenarbeit in Wissenschaft und Handel gibt, das wir nicht vernachlässigen dürfen. Die Israelis müssen dazu auch lernen, Geschäfte gemäss den in Europa geltenden Regeln zu führen, was sich im Alltag noch nicht wirklich durchgesetzt hat. Im Grossen und Ganzen würde ich aber behaupten, dass wir Fortschritte machen, da Holland im Bewusstsein der Unternehmen und der wissenschaftlichen Gemeinschaft Israels einen immer wichtigeren Stellenwert einzunehmen beginnt. Noch reicht dies nicht aus, doch es sind spürbare Fortschritte zu verzeichnen.

Im Allgemeinen vertritt der israelische Botschafter in einem anderen Land zwar seinen Auftraggeber bei diesem Staat, doch er fungiert auch als Gesandter für die dort ansässige jüdische Gemeinde. Wie sehen Sie die heutige jüdische Gemeinschaft in Holland?

Es ist eine kleine Gemeinschaft, die in Europa den grössten Anteil an Schoah-Opfern zu beklagen hatte, da vor der deutschen Invasion fast 140’000 Juden in Holland lebten, von denen 104'500 in Mauthausen, Sobibor, Treblinka und Auschwitz ermordet wurden. Ungefähr 5’000 Deportierte kehrten zurück. Ein Grund für diese Situation ist der Fakt, dass alle Juden registriert waren, selbst in den sehr abgelegenen Regionen. In all diesen Ortschaften gibt es heute zwar keine Juden mehr, doch dafür stehen hier nun Gedenkstätten. Gegenwärtig sind noch ca. 30-35’000 holländische Juden übrig, sowie eine geschätzte Zahl von 10’000 Israelis, die nicht wirklich in das Gemeindeleben integriert sind. Sie würden die Dienstleistungen der Gemeinde zwar gerne in Anspruch nehmen, möchten aber keinen finanziellen Beitrag dazu leisten. Der Geist und der Ablauf des Gemeindelebens werden noch stark von der Schoah geprägt, da jede Familie in irgendeiner Weise ein Trauma erlitten hat. Die Vergangenheit ist daher sehr präsent. Das jüdische Leben ist straff organisiert. Es gibt eine kleine Gruppierung namens „The Jewish Voice“, die viel Staub aufwirbelt und alles unternimmt, um die holländische Regierung davon zu überzeugen, ihre Politik gegenüber Israel zu ändern und Sanktionen sowie einen Boykott gegen den jüdischen Staat zu ergreifen. Doch trotz ihrer Aufdringlichkeit und ihrer Aktionen bleiben sie erfolglos. Seltsam ist, dass auch Überlebende der Schoah zu ihren Mitgliedern gehören, die lauthals und schamlos verkünden, Gaza sei mit Auschwitz gleichzusetzen.
Der Einfluss der jüdischen Gemeinschaft auf die Politik bleibt letztendlich recht beschränkt, vor allem aufgrund ihrer geringen Mitgliederzahl. Die Juden, die einst im politischen Leben sehr aktiv waren, ziehen sich allmählich zurück. Dies ist auch auf bestimmte Änderungen im Berufsalltag zurückzuführen. Früher übten noch viel mehr Juden liberale Berufe aus, während die heutige Jugend immer öfter bei grossen holländischen oder multinationalen Unternehmen auf oft hohem Niveau im Angestelltenverhältnis arbeitet.

Denken Sie, dass die jüdische Gemeinschaft unter der starken muslimischen Präsenz in Holland leidet?

Obwohl die jüdische Gemeinschaft in Erinnerung an die Schoah lebt, ist sie doch auch besorgt über die Zahl der muslimischen Einwanderer, die mit ihren rund einer Million Menschen immer gewichtiger werden. Die Muslims sind in allen Gesellschaftsschichten vertreten, einschliesslich in der Administration und in der Regierung. Darüber hinaus stellen sie auch Wählerstimmen dar, und die Parteien buhlen um ihre Gunst. Doch was die jüdische Gemeinschaft beschäftigt, ist vielmehr die Frage der Integration der Muslims in die Gesellschaft, und weniger der Einfluss, den sie auf die holländische Politik in Bezug auf Israel haben können. Ich mache kein Hehl daraus, dass es heute nicht mehr ganz selbstverständlich ist, mit der Kippah durch bestimmte Strassen von Amsterdam oder Rotterdam zu gehen. Ausserdem stellen sie doch recht hohe Ansprüche an das tägliche Leben: Eine muslimische Frau lässt sich nicht von einem männlichen Arzt berühren, Banken müssen gemäss dem Gesetz des Korans gegründet und geführt werden usw. Angesichts der Entwicklung dieses Phänomens glaube ich, dass es für die jüdische Gemeinschaft von Vorteil wäre, ihre Beziehungen zu den christlichen Institutionen zu vertiefen, die grundsätzlich pro-israelisch eingestellt sind. Eine gemeinsame Denkarbeit wäre zweifellos für beide Seiten sinnvoll und fruchtbar.

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