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Inhaltsangabe Politik Herbst 2008 - Tischri 5769

Editorial
    • Editorial [pdf]

Rosch Haschanah 5769
    • Glaube und Leben [pdf]

Politik
    • Wo steckt die Linke? [pdf]

Interview
    • Schutz und Abschreckung [pdf]

Analyse
    • Gefahren ! [pdf]
    • Der Bioterrorismus [pdf]
    • Die Gespenster Von Gestern [pdf]

Reportage
    • Der Sicherheitszaun [pdf]

Wirtschaft
    • Schekel - Quo Vadis? [pdf]

Medizin
    • Die Narbe Vermeiden [pdf]

Holland
    • Jerusalem und den Haag [pdf]
    • Esnoga [pdf]
    • Ets Haim Livraria Montezinos [pdf]
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    • Nederlands-isralitisch Kerkgenootschap [pdf]
    • Rosj Pina und Maimonides [pdf]
    • Hollandsche Schouwburg [pdf]
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Gerechtigkeit
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Ethik und Judentum
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Das Gute Gedächtnis
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Wo steckt die Linke?

Von Emmanuel Halperin
unserem Korrespondenten in Jerusalem

Viele lachen sich bestimmt ins Fäustchen: Die linken Parteien Israels, die früher einmal die Mehrheit besassen und in all ihren Schattierungen der Rechten ebenbürtig gegenüber standen, scheinen sich in Luft aufzulösen, zu einem Nichts zusammenzuschrumpfen, so dass sie heute auf dem politischen Parkett, wo der Reigen um die Nachfolge von Ehud Olmert begonnen hat, in ihrer Unscheinbarkeit völlig übersehen werden. Gemäss jüngsten Meinungsumfragen könnten im Falle von vorgezogenen Wahlen 5 bis 6 Sitze an die Partei Meretz und nur 12 bis 13 Sitze an die Arbeitspartei gehen. Insgesamt wären das weniger als 20 Abgeordnete von 120. Zur Not könnte man die 10 Mandate hinzu zählen, die den arabischen Parteien zukommen werden, wenn man davon ausgeht, dass die Unterstützung zugunsten antizionistischer oder islamistischer nationalistischer Bewegungen zu den Stimmen von links zählen sollen. Was man eigentlich nicht tun kann.
Einige lachen sich also ins Fäustchen. Zu Unrecht. Damit eine Demokratie lebendig ist, muss es Wechsel an der Macht geben, oder es muss zumindest die Möglichkeit dazu bestehen. Dies ist nicht mehr der Fall. Natürlich setzen politische Bewegungen wie Schalom Achschaw ihre Tätigkeit fort, doch ihnen fehlt die breite Unterstützung in der Bevölkerung wie in den 80er und 90er Jahren. Und die Anarchisten, die von sich reden machen, indem sie mit viel Getöse gegen den Verlauf des Sicherheitszauns demonstrieren, besitzen überhaupt keine treue Wählerschaft und bleiben daher, was sie sind: unbedeutende Grüppchen.
Es sieht wirklich so aus, als ob die meisten ausserparlamentarischen Organisationen, die sich für den Rückzug aus den Siedlungen, für die Rückkehr zu den Grenzen von 1967 oder für die Auflösung des „zionistischen Staates“ und seinen Ersatz durch einen „Staat aller Bürger“ einsetzten, stark an Bedeutung verlören und vor allem ihre Energie einbüssten. Die Führungspersönlichkeiten werden älter, immer weniger junge Leute treten die Nachfolge an, die Botschaften wirken abgegriffen. Das Ziel – der Frieden, ein echter Frieden –, der die Massen begeistern konnte, erscheint heute vielen Menschen unerreichbar, ja illusorisch oder gar utopisch. Immer weniger zahlreich und immer unsicherer sind jene, die behaupten, eine Lösung sei in erster Linie die Sache Israels und sei abhängig von seinem Entgegenkommen und seinen Zugeständnissen.
Die Gründe für diese, vielleicht vorübergehende, Enttäuschung, springen ins Auge: Der Rückzug Israels aus Gaza und die Auflösung der Siedlungen haben sich in keiner Weise positiv ausgewirkt. Der Diskurs der Hamas, in Gaza fester verwurzelt denn je, ist durch und durch negativ, es ist nur von Zerstörung die Rede. Und jedermann weiss, jedermann begreift, sogar die radikale Linke, dass die PLO-Regierung in Ramallah, mit der man verhandelt oder zumindest so tut als ob, nur dank der israelischen Militärpräsenz in Judäa und Samaria an der Macht bleibt. Ihre mangelnde Popularität ist mit Händen zu greifen, ihre Rechtmässigkeit wirft Zweifel auf, ihre Fähigkeit zur konkreten Umsetzung einer Vereinbarung ist verschwindend gering.
Die Verantwortlichen der parlamentarischen Linken versuchen das offensichtlich Widersprüchliche mit anderen Argumenten zu rechtfertigen. Ihrer Ansicht nach wurden ihre Forderungen kurz nach dem Sechstagekrieg oder dem Jomkippurkrieg – im Wesentlichen die Schaffung eines Palästinenserstaates Seite an Seite mit Israel auf dem Territorium von Cisjordanien und Gaza – erfolgreich umgesetzt und werden von fast allen gutgeheissen. Heute erscheint die Lösung zweier parallel bestehender Staaten wie ein Notwendigkeit, ein geringeres Übel im Vergleich zur allmählich degenerierenden Situation, die irgendwann unweigerlich zu einer arabischen Mehrheit im Westen des Jordans führen wird, mit einem einzigen, jedoch arabisch dominierten Staat. Wir hatten vor 40 Jahren Recht, sagen sie, und wir haben die Öffentlichkeit mit der Zeit überzeugt. Wenn diese sich nun von uns abwendet, hat dies nichts mit der Ablehnung unserer Botschaft zu tun, sondern damit, dass die allgemeine Lage heute eher jenen den Vorzug gibt, die verstärkt die Sicherheit in den Mittelpunkt stellen oder zumindest den Eindruck erwecken, sie würden im Fall von Verhandlungen ihre Position hartnäckiger verteidigen. Und dann fügen die Chefs der linken Parteien mit einem gewissen Fatalismus hinzu, dass der Ablauf eigentlich immer derselbe sei: Alle stellen die richtigen Fragen, die Linke gibt die richtigen Antworten, und die Rechte schliesst dann Frieden.
Dies alles trifft durchaus zu und wäre vielleicht sogar überzeugend, wenn die Rechte – oder sonst wer – tatsächlich Frieden schliessen könnte. Denn zur Debatte stehen ja nicht in erster Linie die Parameter einer eventuellen Lösung, sondern vielmehr die richtige – oder am wenigsten verkehrte – Art, mit der Unmöglichkeit der Zielerreichung umzugehen. Es stimmt, die meisten Parteien des rechten Spektrums haben – nolens volens – die These von zwei Staaten akzeptiert, doch während die Linke noch behauptet, sie sei in der Lage, die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Ende zu bringen, trägt die Rechte insgesamt, einschliesslich der meisten Führungsleute der amtierenden Partei Kadimah, jene Skepsis zur Schau, die ganz offensichtlich von der Mehrheit der Israelis geteilt wird.
So werden also die Enttäuschung, das wachsende Gefühl, in einer Sackgasse zu leben, das von den zerstörten Illusionen der Utopisten nur noch schmerzlicher hervorgehoben wird, sowie die immer bedrohlicher werdenden Gefahren für die Sicherheit – ganz zuoberst die Bombe Irans – zur Grundlage des kommenden Wahlerfolgs der Rechten. Diesem Erfolg liegen negative Motive zugrunde, und keinesfalls die bewusste Entscheidung für eine Lösung oder für klare Vorschläge oder für eine bestimmte Vorgehensweise, die diese Parteien ihren Wählern vorlegen. Es gibt keine Vision der Gesellschaft, keinen Friedensplan, keine neuen Ideen in Bezug auf die Sicherheit der Bürger. Ein solider Status quo, die Wiederherstellung des Abschreckungspotenzials des jüdischen Staates angesichts der sich häufenden Drohungen, das Versprechen von Stabilität, welche die Fortsetzung des wirtschaftlichen Aufschwungs der letzten Jahre garantiert, das ist so ziemlich alles, was die Wähler – im Falle vorgezogener Wahlen – von den Verantwortlichen der Rechten zu hören bekommen werden. Und wenn man den Umfragen Glauben schenkt, sollten die vereinigten Wählerstimmen für Likud, Israel Beitenu, Yichud Leumi, Schas und die anderen religiösen Parteien einer Regierung unter Netanyahu eine solide Mehrheit verschaffen. Kadimah, eine aus politischem Kalkül entstandene Ad-hoc-Partei, pragmatisch aus eigener Entscheidung und opportunistisch aus Notwendigkeit, würde sich wahrscheinlich problemlos einer solchen Mehrheit anschliessen, da die meisten ihrer Mitglieder und Verantwortlichen aus dem Likud zu ihr übergelaufen sind. Damit würden viele relativ schmerzfrei in den Schoss ihrer ideologischen Familie zurückkehren.
Ehrgeizige Mitglieder der zivilen Gesellschaft haben es längst begriffen: Sie schliessen sich kaum der Arbeitspartei an, sie ziehen es auf einmal vor, Likud zu wählen. So wie jüngst auch zwei Persönlichkeiten, die der Arbeiterbewegung nahe stehen, nämlich der ehemalige General Uzi Dayan und der frühere Polizeichef Assaf Hefetz. Weitere Umorientierungen dieser Art sind in nächster Zeit nicht auszuschliessen.
Diese Leute haben nicht das Gefühl, eine Ideologie zu verraten. Sie denken, die Divergenzen von früher hätten keinen Sinn mehr, man müsse die Partei stärken, welche die besten Aussichten darauf hat, eine gewisse Stabilität, eine gewisse Kontinuität, eine gewisse Kohärenz zu gewährleisten. Zudem wird man sowieso sehr präzise kalkulieren und dabei die strategischen Interessen der USA und Europas berücksichtigen müssen, die kurzsichtig sind und keinen gemeinsamen Plan aufweisen.
Wie kann man sich angesichts dieser Umstände erklären, dass der Likud in den Umfragen nur rund dreissig Sitze erhält, obwohl die grossen Parteien in der Vergangenheit immer mindestens vierzig Mandate für sich verbuchen konnten, was ihnen die unangefochtene Führungsrolle verlieh? Noch ein Widerspruch: Der Mann, der an der Spitze dieser Partei steht, ist unbestritten der beliebteste Politiker Israels, aber auch der umstrittenste, um nicht zu sagen der meist gehasste. Es ist dem Likud überdies nicht gelungen, sich seines Rufs der Geldgier, der seinen Sturz beschleunigt hatte. Die Israelis sind sich eigentlich einig: Sie möchten eine moralisch gesündere Politik, sie möchten ihren Spitzenpolitikern vertrauen können, sie möchten sicher sein, dass diese nicht ständig mit dem Gesetz in Konflikt kommen. Genau dies erklärt die recht grosse Beliebtheit von Frau Livni: Sie ist nicht korrupt, sie hat sich nicht unrechtmässig bereichert, sie hat offensichtlich keine Leichen im Keller. Wenn der Likud einen entscheidenden Wahlerfolg für sich verbuchen soll, müssen seine Verantwortlichen heute Entscheidungen treffen: Den Männern und Frauen, die den Israelis Vertrauen einflössen können, muss viel, sehr viel Platz eingeräumt werden. Es geht dabei nicht um moralische Aufrüstung oder Tiefenreinigung, sondern einfach um den innigen Wunsch, aufrichtige Menschen an der Spitze des Landes zu wissen. Egal, ob von links, von rechts oder aus dem Zentrum, Hauptsache aufrichtig.



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