News Neueste Ausgabe Befragung: Resultate Suchen Archiv Français English Русский עברית Español


Inhaltsangabe Reportage Frühling 2005 - Pessach 5765

Editorial - April 2005
    • Editorial [pdf]

Pessach 5765
    • Flucht aus Ägypten? [pdf]

Politik
    • In die Sackgasse [pdf]

Interview
    • Friede - Sicherheit - Wohlstand? [pdf]
    • Shalom Tsunami! [pdf]

Strategie
    • Wie ein Seiltänzer? [pdf]

Judäa - Samaria - Gaza
    • Über den Rückzug Hinaus

Analyse
    • Ein muslemisches Europa ? [pdf]

Gerechtigkeit
    • Das Dossier Arafat [pdf]
    • Operation Letzte Chance [pdf]

Medizinische Forschung
    • Höchstes Niveau und Auszeichnung [pdf]
    • Was hörst du? [pdf]

Porträt
    • Musik - Gebet - Freiheit [pdf]

Kultur
    • «Ch’hob gezeïn a Barg» [pdf]

Reportage
    • Magic Michael [pdf]

Belgien
    • Jerusalem und Brüssel [pdf]
    • Israel und Europa [pdf]
    • Jüdisches Leben in Brüssel [pdf]
    • Vertrauen und Vorsicht [pdf]
    • Wenn nicht ich - Wer sonst? [pdf]
    • «Échevin» und Jiddische Mama! [pdf]
    • Die Magie der Diamanten [pdf]
    • Das Jüdische Museum Von Belgien [pdf]
    • Die Schoah in Belgien [pdf]

Ethik und Judentum
    • Ein Zigarettchen Gefällig? [pdf]

Das Gute Gedächtnis
    • Die Ereignisse des Monats April [pdf]

Artikel per E-mail senden...
Magic Michael

Von Judy Siegel-Itzkowitsch*
Ein Zauberer am Alyn-Krankenhaus von Jerusalem bewirkt kleinere Wunder - ein Schmunzeln, ein Lachen, einen Schritt in Richtung Genesung. Jeder Clown, der dieses Namens würdig ist, kann Kindern ein Lächeln entlocken, sogar dann, wenn sie im Krankenhaus liegen. Doch es braucht schon einen Zauberer, um zu bewirken, dass ein 5-jähriger, an einer seltenen neuromuskulären Krankheit leidender Junge wieder geht, dass ein durch Mukoviszidose geschwächter 19-Jähriger neuen Lebensmut verspürt und dass ein 9-jähriges Mädchen, das an ein Beatmungsgerät angeschlossen und rund um die Uhr auf Betreuung angewiesen ist, sich wieder selbständig fühlt.
Der "medizinische Zauberer" im Alyn-Krankenhaus (siehe SHALOM Vol.42), dem nationalen Rehabilitationszentrum für Kinder und Jugendliche in Jerusalem, der dies alles vollbracht hat, heisst MICHAEL TULKOFF (alias MAGIC MICHAEL). Er ist bei den Visiten der Ärzte und Krankenschwestern dabei, zusammen mit seinem Geigenkasten voller Luftballons, Kartenspiele, Musikinstrumente und Tricks. Tulkoff versucht, die Patienten glücklich zu machen, konzentriert sich jedoch hauptsächlich auf ihre Stärkung und Genesung. Auch wenn der berühmte Spitalclown Patch Adams durch das Buch und den Film viele Krankenhäuser dazu bewegt hat, Clowns zur Unterhaltung ihrer kleinen Patienten zu engagieren, so sieht sich der 41-Jährige nicht als Spassmacher. Tulkoff, einst traditioneller, orthodoxer Jude, der aus Baltimore eingewandert ist, verzichtet auf die rote Nase, eine bunte Perücke, schlabberige Kleider und grelle Schminke. Er vertauscht stattdessen die schwarzen Kleider des orthodoxen Juden mit einer Baseball-Kappe und einer Weste, die mit Schmetterlingen bedruckt sind, einer gläserlosen Brille mit Blumenmuster, einer umgehängten Mundharmonika, einem weissen Hemd, schwarzen Hosen, die er in seine Sportsocken stopft, zwei verschiedenen Sportschuhen und einer Ballonpumpe aus Plastik. Die einzigen sichtbaren Zeichen seiner Frömmigkeit sind die kurzen Schläfenlocken hinter seinen Ohren und seine rituellen Fransen.
"Ich habe überhaupt nichts gegen Krankenhausclowns", sagt Tulkoff, der zusammen mit seiner Frau Debbie (einer Sonderschullehrerin) und seinen sechs Kindern, die zwischen 10 Monaten und 16 Jahren alt sind, in Rechowot lebt. "Aber ich möchte kein dummer August sein, der einen Witz macht und belacht wird, jedoch langfristig nichts bewirkt. Stellen Sie sich vor, ich mache einen altbekannten Clown-Gag vor einem kranken Teenager oder jungen Erwachsenen. Sie würden zu Recht verlangen, ich solle verschwinden, das sei nichts für sie. Der Unterschied zwischen dem, was ich tue, und dem, was ein Clown tut, besteht darin, dass ich nicht nur Fröhlichkeit verbreiten möchte. Ich treffe mich regelmässig mit den Ärzten, um die verschiedenen Fälle zu diskutieren und um zusammen zu überlegen, wie wir möglichst effizient ans Ziel kommen. Ein Kind beispielsweise mit einem schwer geschädigten Nervensystem, das sonst völlig unbeteiligt dahinvegetieren würde, wird durch meine Beziehung zu ihm dazu motiviert, sich aufzuraffen und jeden Tag einige Schritte zu gehen."
Die wöchentlichen Sitzungen Tulkoffs mit einigen Patienten im Alyn-Krankenhaus sowie seine Dienste in der allgemeinen pädiatrischen Abteilung des Dana-Kinderspitals von Tel Aviv und im Safra-Kinderspital bei Sheba im Tel Hashomer werden von grosszügigen Spendern gesponsert. Er nimmt für sich in Anspruch, der einzige "medizinische Zauberer" (so nennt er sich selbst) im Nahen Osten und wahrscheinlich auf der ganzen Welt zu sein.
"Magic Michael" begann 1974 vor Kindern aufzutreten, als er selbst erst 11 Jahre alt war. "Der Auslöser war eine Aufführung an meiner Schule", sagt er während einer Pause bei der Visite in der Abteilung für Atemrehabilitation des Alyn-Krankenhauses, die er gemeinsam mit dem Abteilungsleiter, dem Kinderarzt Dr. Eliezer Be'eri, durchführt. Es war Be'eri, der vor 18 Monaten beschloss, den Zauberer im Krankenhaus anzustellen. "Wir wollten mehr als einen Clown. Wir wollten ihn als einen festen Bestandteil unseres medizinischen Teams einsetzen, zusammen mit Ärzten, Krankenschwestern, Physio­therapeuten und Beschäftigungstherapeuten. Ich sprach mit mehreren professionellen Clowns, doch sie schienen mir ungeeignet. Sie machten viel Krach und waren aggressiv, dies hätte unsere Kinder verschreckt. Michael ist extrovertiert und doch sanft, er kombiniert Therapie mit Unterhaltung. Wir dachten, er könne unseren Physio- und Beschäftigungs­therapeuten seine Kunst beibringen, sobald er hier angefangen habe, doch dies erwies sich als sehr schwierig. Man muss eine ganz besondere Persönlichkeit sein, um diese Arbeit zu tun", bemerkt der Kinderarzt des Alyn.
Tulkoff, der Präsident der Ortsgruppe Baltimore der Gesellschaft amerikanischer Zauberer war und Artikel in Publikationen von Berufszauberern veröffentlicht hat, leitete eine erfolgreiche Organisation für die Erziehung und Unterhaltung von Kindern, die in Schulen, Tagesstätten, Bibliotheken und städtischen Einrichtungen in Virginia und Washington D.C. tätig war. Er arbeitete auch regelmässig ehrenamtlich am Johns Hopkins Medical Center, wo er seine Künste als medizinischer Zauberer ausfeilte, bevor er vor weniger als vier Jahren seine Alijah unternahm.
Er geniesst seine Arbeit am Dana und am Safra, und sein Publikum dort, das an akuten Erkrankungen leidet, wird in den allermeisten Fällen auch wieder gesund. Die Kinder im Alyn leiden in der Regel an bleibenden Behinderungen, die auf ein Trauma zurückzuführen sind (insbesondere Verkehrsunfälle und Terroranschläge), oder an erblichen oder genetischen Krankheiten wie muskulärer Dystrophie, Glasknochen, Spina Bifida, Arthrogryposis (die Knochen schrumpfen und drücken dabei auf Lunge und Zwerchfell) oder an akquirierten Infektionen. Viele der Kinder in der Atemrehabilitationsabteilung weisen eine Tracheotomie im Hals auf, durch die sie mit Hilfe eines Atemgeräts atmen. Einige von ihnen können sprechen, andere können nur wenige Wörter ausstossen. Zahlreiche Kinder und Jugendliche werden vom Personal in Rollstühlen herumgeschoben, wieder andere sind in der Lage, mit einem Joystick ihre Rollstühle selbst zu manövrieren.
Wenn Tulkoff durch die Abteilungen geht, grüsst er jeden Patienten mit Namen und wird mit den geweiteten Augen derjenigen zurückgegrüsst, die nicht antworten können. Mohi, ein 5-jähriger Araberjunge, der höchstens wie ein 3-Jähriger wirkt, hat keine direkten Angehörigen mehr. Er wurde mit kongenitaler Myasthenia gravis (einer Autoimmunkrankheit bei Erwachsenen, die nur sehr selten bei Neugeborenen auftritt und schwere Muskelschwäche im ganzen Körper nach sich zieht) geboren und hat sein gesamtes Leben im Alyn verbracht, da seine Mutter ihn verliess; bisher, so Be'eri, hat sich keine arabische Familie bereit erklärt, ihn zu adoptieren. Tulkoff, auf einem Rollstuhl sitzend, hält die Hände des kleinen Jungen, der nicht reden kann, und "lockt" ihn mit seiner Harmonika und gewissen Tricks vorwärts. Da die Atemmuskeln von Mohi sehr schnell kraftlos werden, pumpt der Zauberer von Hand Luft in den Plastikschlauch in seinem Hals, als ob er einen Fahrradreifen aufpumpen würde. Dank diesen Übungen kann Mohi tatsächlich gehen - was noch vor einigen Wochen nicht möglich war.
Obwohl Tulkoff nur schlecht Hebräisch spricht, arbeitet er in dieser Sprache ebenso wie auf Englisch oder Spanisch und besitzt einen immer grösseren Wortschatz in Arabisch, Russisch, Georgisch und Amharisch.

Dalia, ein 9-jähriges Mädchen mit Arthrogryposis, fährt ihren Rollstuhl selbst in die Halle und freut sich, Magic Michael zu sehen. "Welchen Luftballon möchtest du heute?", fragt er sie. "Pink", sagt sie schnaufend über ihren Ventilator, "wie meine Bluse". Sie kann nur den Zeigefinger bewegen und umfasst damit den schlaffen pinkfarbenen Ballon in seiner Tasche. Er bläst ihn auf. "Möchtest du einen Hund, einen Hasen oder eine Schlange haben?", erkundigt er sich. "Einen Hut!", fordert Dalia, und er kommt dieser Bitte nach, nachdem er ihren Kopf abgemessen hat. Dann zieht er einen Taschenspiegel hervor, und nachdem es entzückt den Ballon gesehen hat, rollt das Mädchen wieder von dannen. Das Alyn-Krankenhaus kann 93 Patienten aufnehmen, dazu 60 nur tagsüber betreute Patienten, ausserdem gibt es eine Klinik für ambulante Behandlung, die jährlich über 11'500 Patienten empfängt.
Tulkoff ist überzeugt, dass es in diesem Land noch mehr "medizinische Zauberer" braucht, und er hofft, dass es irgendwann einen Ort geben wird, wo er sie wird ausbilden können. Seiner Ansicht nach braucht er keine zusätzliche Ausbildung in Psychologie oder Beschäftigungstherapie. "Mir fehlt die Geduld dazu, ausserdem bin ich ein extrovertierter Typ. Ich habe ein natürliches Gespür dafür, was die Patienten brauchen", sagt er. Be'eri nickt zustimmend.
Der Zauberer bläst hier eine Melodie auf dem Zeh eines Kindes, stellt dort Plastikkegel auf, damit ein anderes Kind mit einem Ball auf sie zielen kann, gibt den kleinen Patienten ein einfaches Blasrohr oder eine Trillerpfeife, damit sie aus eigener Kraft atmen und ihre Angst überwinden, ohne das Beatmungsgerät zu ersticken. Er lehrt sie, wie man aus einem Luftballon Tierfiguren formt, und verbessert dadurch ihre motorischen Fähigkeiten. Er versucht, mit allen vorhandenen Sinnen zu arbeiten, zieht auch schon mal ein Stück Zitronenseife aus der Tasche, damit ein Kind daran riechen kann.
An jedem Montag dirigieren Be'eri und die Krankenschwestern Magic Michael zu jungen Patienten, die sofortiger Hilfe bedürfen. Viele von ihnen leiden unter Depressionen angesichts der Hoffnungslosigkeit ihres Zustands.
"Ich wurde zu David geschickt, weil es ihm nicht gut ging. Der 17-Jährige war durch Mukoviszidose stark geschwächt. Als die Krankenschwestern ihm eine Tafel für Mitteilungen gaben, buchstabierte er mühsam "Ich möchte sterben!". Er sah aus wie ein lebendes Skelett mit verkrampften Händen, das an einem Beatmungsgerät angeschlossen war und weder alleine stehen noch essen konnte. David braucht ein Absauggerät, um den Schleim aus Mund und Hals zu entfernen, ein langer Schlauch dient dazu, ihn abzusaugen. Er kann sich nicht einmal den Mund allein abputzen, sich an der Nase kratzen oder eine Träne von der Wange wischen".
Nachdem er die Erlaubnis eingeholt hatte, sich zum jungen Mann und zu seinem Rabbiner zu setzen, führte Tulkoff einige Zauberkunststücke sowie optische Spielereien mit Bällen und papiernen Regenbögen vor. "Ich erzählte ihm eine Geschichte, die ihm richtig gut gefallen hat. Ich liess ihn unter den Regenbögen auswählen und trug so zu seiner Selbstachtung und Selbständigkeit bei. Ich sagte ihm, er könne die Regenbögen den anderen zeigen. Dann formten wir zusammen ein paar Ballons. Ich fragte ihn nach seiner Lieblingsfarbe. Unter riesiger Anstrengung hob er den Arm leicht an und wählte eine Farbe aus. Ich hängte einen Plastikfisch an eine Angel, nach dem er greifen konnte. Dann legte ich zum Abschied meine Hand auf die seine - das war unter diesen Umständen das, was einem Händeschütteln am nächsten kam".
Als sich Tulkoff umdrehte, ergriff der Rabbiner mit Tränen in den Augen seinen Arm: "Ich dachte, ich hätte alles falsch gemacht, doch der Rabbi erklärte mir: ,Sie haben ihm ein Lächeln entlockt; es ist das erste Mal, dass ich ihn habe lächeln sehen!'". "Die Arbeit mit solchen Patienten ist eine Herausforderung und ab und zu ein Triumph", sagt Tulkoff.

*Wiedergabe dieses Artikels mit spezieller Erlaubnis der Jerusalem Post.


Contacts
Redaction: edition@shalom-magazine.com   |  Advertising: advert@shalom-magazine.com
Webmaster: webmaster@shalom-magazine.com

© S.A. 2004