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Inhaltsangabe Finnland Herbst 2002 - Tischri 5763

Editorial - September 2002
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Rosch haschanah 5763
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Das Schicksal der jüdischen Kriegsgefangenen

Von Serah Beizer *
Wenn man mit dem Auto von Tel Aviv nach Jerusalem fährt, fällt einem ca. 20 Kilometer vor der Hauptstadt ein Schild auf, das auf das kleine Dorf Yad-Hachmona (die Gedenkstätte der Acht) verweist. Zu den Gründern dieses Ortes gehörten mehrere Finnen, die auf diese Weise der acht jüdischen Flüchtlinge gedenken wollten, die im November 1942 von den finnischen Behörden den Deutschen ausgeliefert worden waren. Es ist allgemein bekannt, dass die Juden in Finnland während des Zweiten Weltkriegs einigermassen korrekt behandelt wurden, auch wenn dieses Land an der Seite der Deutschen kämpfte; diese Situation steht im Widerspruch zum Schicksal der Juden in anderen Ländern, wie z.B. in Ungarn oder Rumänien, die ebenfalls die Alliierten Deutschlands waren. @tn :Dies trifft für die finnischen Juden zu, die sogar in die Armee eingezogen wurden und manchmal auch Seite an Seite mit den Deutschen kämpften. Die jüdischen Flüchtlinge, die am Ende der 30er Jahre in Finnland Unterschlupf gefunden hatten, wurden in Lager gebracht und, wie bereits erwähnt, wurden nur acht von ihnen den Deutschen ausgeliefert.

Es gibt aber noch eine dritte Gruppe von Juden, deren Schicksal vollkommen in Vergessenheit geraten ist. Es handelt sich um die sowjetischen Kriegsgefangenen jüdischer Konfession; Dutzende von ihnen wurden den Deutschen ausgeliefert.

Parallel zum Zweiten Weltkrieg trugen die Sowjetunion und Finnland zwei Kriege miteinander aus. Während des Winterkriegs (30.11.1939 - 13.3.1940) kämpfte Finnland ohne Alliierte und ohne internationale Unterstützung; im Fortsetzungskrieg hingegen (25.6.1941 - 19.9.1944) wurde Finnland von einem mächtigen Verbündeten unterstützt, nämlich von Nazideutschland. Der Beginn des Fortsetzungskriegs war geprägt von Blitzangriffen, die erst Ende Oktober 1941 eingestellt wurden. In der Folge geriet der Krieg in eine ausweglose Situation, die bis 1944 andauerte. Finnland machte insgesamt 64'188 sowjetische Kriegsgefangene.

Mein Vater selig kämpfte als finnischer Soldat im Krieg. Eines Tages riefen ihn seine Kameraden herbei, weil sie einen sowjetischen Soldaten gefangen hatten, der Jude war. Mein Vater stürzte auf ihn zu und murmelte ihm einige Worte auf Jiddisch zu. Der Gefangene war völlig verblüfft, dass ein feindlicher Soldat Jiddisch sprach, hier, mitten im Wald.

Jeder sowjetische Kriegsgefangene wurde in dem Lager ausgefragt, in dem er interniert war, man erstellte für ihn eine Gefangenenkarte und ein Namensschild. Neben den persönlichen Angaben wie Name, Vorname, Name der Eltern und Adresse gab es eine Rubrik betreffend die Nationalität. Der Hauptzweck dieser Erhebung war es, Kriegsgefangene zu finden, die der finnischen Nation nahestanden (die Finno-Ugren), damit diese umerzogen und in Ostkarelien angesiedelt werden konnten. Im äussersten Osten des Landes gelegen, galt Karelien als eine reiche und fruchtbare Gegend, die Finnland 1920 im Friedensvertrag von Dorpat an Sowjetrussland hatte abtreten müssen. Seither träumten die Finnen, insbesondere die Rechtsradikalen, von der Wiedereroberung und Kolonialisierung dieser Region. Karelien war kaum besiedelt und im Verlauf der sowjetischen Phase liessen sich zahlreiche Russen hier nieder und machten bald einen Drittel der Bevölkerung aus.

Die Finnen unterteilten die Gefangenen in 89 Nationalitäten: eine Unterscheidung existierte zwischen Kaukasiern - jede kleinste Ethnie für sich - einerseits, und den Juden und anderen Völkern andererseits. Danach wurden die Kriegsgefangenen in Lager im Inneren des Landes transportiert. Offiziere und politische Häftlinge kamen in ein besonderes Lager, die Juden wurden in die Kategorie "Russen" eingeteilt.

Die finnische Geschichtsforschung befasst sich kaum mit dem Thema der Kriegsgefangenen. Ein Dokumentarfilm über das Schicksal der Kriegsgefangenen mit dem Titel "Ein sicherer Hafen für Kriegsgefangene", der vom finnischen Fernsehen produziert wurde, sowie andere Berichte von Zeitzeugen vermitteln den Eindruck, dass die jüdischen Kriegsgefangenen sogar besser behandelt wurden als die anderen. Dies trifft nur teilweise zu, wie den folgenden Zeilen zu entnehmen ist, die an das Schicksal von 70 jüdischen Kriegsgefangenen erinnern.

In Salla (im Norden Finnlands) wurden am 26. Oktober 1941 zum ersten Mal sowjetische Gefangene den Deutschen übergeben. Auf der Liste der ausgelieferten Männer stehen auch folgende Namen: der jüdische Barbier Zalman Kuznetsov, der Lehrer Alexandre Malkis, der Schneider Chaim Osherovitsh Lev. Neben jedem Namen wird der angebliche Grund für seine Auslieferung in die Hände der Deutschen angegeben: es handelte sich entweder um "Kommissare" oder um "Politruks". Eventuell könnte man sich vorstellen, dass der Lehrer Malkis in die Kategorie "Bolschewiken" gehörte, aber es ist ausgeschlossen, auch den Barbier Kuznetsov oder den Schneider Chaim Lev dieser Gruppe zuzuschlagen.

In den folgenden Monaten wurden auch andere Juden ausgeliefert. Am 4. März 1942 waren mindestens 17 der 60 gefangenen Soldaten Juden, d.h. fast ein Drittel (28,3 %).

Den Karteikarten der Kriegsgefangenen kann man entnehmen, dass die Juden knapp drei Monate nach ihrem Verhör im militärischen HQ ausgeliefert wurden. Eine grössere Gruppe Juden traf im Januar für ein Verhör ein. Im März wurden die oben genannten Gefangenen den Deutschen übergeben: diese Operation war das Resultat der Zusammenarbeit zwischen der finnischen Geheimpolizei und der Gestapo. Eine weitere Gruppe von 9 Juden erlebte ihre Auslieferung im September 1942. Nach diesem Zeitpunkt sind nur noch wenige jüdische Menschen auf den Listen der an die Deutschen ausgelieferten Kriegsgefangenen aufgeführt. Es ist auffallend, dass kein einziger Jude zu den 501 Kriegsgefangenen gehörte, die im Januar 1943 in Hanko eintraf. Der grösste Teil dieser Gruppe stammte aus Kaukasien, unter denen sich nur wenige Georgier befanden. Ein gewisser Vladimir Levin wurde im November 1943 ausgeliefert, doch er war mit der russischen Nationalität registriert worden.

Weshalb wurden die Juden ausgeliefert und welches im Oktober 1942 eingetretene Ereignis setzte dieser Politik ein Ende?

Gemäss Raija Hanski, einer finnischen Akademikerin, die dem Thema nachgegangen ist, wurden "als gefährliche politische Elemente geltende Kriegsgefangene den Deutschen ausgeliefert..., und die Juden wurden damals als besonders gefährlich angesehen." Von den 70 jüdischen Kriegsgefangenen, die in deutsche Hand gerieten und deren Spuren ich in den finnischen Archiven aufspüren konnte, waren 18 noch keine 25 Jahre alt; sie arbeiteten daher ganz bestimmt nicht als Kommissare der Sowjets. Es fallen einem auch 18 Soldaten erster Klasse auf, die schwerlich als politische Rädelsführer bezeichnet werden konnten. Ausserdem werden auf der Liste Zimmerleute, Fotografen, Barbiere, Postangestellte, ein Dekorateur und ein Musiker aufgeführt: es gab keinerlei Grund, diese kleinen Handwerker einer Teilnahme an politischen Aktivitäten zu verdächtigen. Natürlich sind auch einige ältere Männer angeführt, von denen einige Offiziere waren: Lehrer Malkis war Regimentskommissar, Ratner war Historiker und Kommissar.

Daraus schliesse ich demnach, dass einige Gefangene als "gefährliche politische Elemente" gelten konnten, dass aber die meisten von ihnen keinesfalls in diese Kategorie gehörte. Sie wurden aufgrund eines Austauschverfahrens ausgeliefert: die Deutschen schickten ihnen die Kriegsgefangenen, die Angehörige der finnischen Volksstämme waren, damit diese Karelien besiedeln konnten.

Dieses Vorgehen wurde im Oktober 1942 beendet, nachdem in der finnischen Presse die Geschichte der 8 oben erwähnten Flüchtlinge veröffentlicht worden war. Diese Affäre wurde von den finnischen Politikern ausführlich kommentiert, und die Information erschien auch in der schwedischen Presse und sorgte dort für gewisse Aufruhr. Abraham Stiller, Mitglied der jüdischen Gemeinschaft in Helsinki, war ein Geschäftsmann, der sich seit langem für die Interessen der jüdischen Flüchtlinge einsetzte. Als er sich bewusst wurde, dass die Flüchtlinge in die Gewalt der Deutschen gelangen würden, appellierte er an jeden Politiker, den er erreichen konnte, um dieses Schicksal abzuwenden. Leider waren seine Bemühungen nur teilweise von Erfolg gekrönt. Am 6. November 1942, wurden trotz des Drucks, den man ausübte, 8 Juden auf dem Schiff Hohenhorn nach Estland verfrachtet. Ein einziger von ihnen überlebte den Krieg. Abraham Stiller engagierte sich auch für die jüdischen Kriegsgefangenen.

Es gab noch einen anderen, der sich für die Juden einsetzte und in nachhaltiger Weise eingriff, den finnischen Marschall Mannerheim. Ab Herbst 1942 hatte er erkannt, dass die Deutschen den Krieg verlieren würden. Er gab den Befehl, die Behandlung der Kriegsgefangenen im Allgemeinen und anscheinend auch diejenige der Juden im Besonderen zu verbessern. Einige in einem Lager in Loukolampi internierte Juden wurden zunächst von den anderen Häftlingen getrennt und erhielten danach gar Wein und Matzot für das jüdische Osterfest; die hatten sogar Anrecht auf den Besuch eines Rabbiners der Gemeinschaft von Helsinki.

Kann man das Verhalten Finnlands rechtfertigen? Die im Juni 1941 ausgegebenen militärischen Weisungen betreffend die Kriegsgefangenen besagen, dass die Gefangenen der Entscheidungsbefugnis der finnischen Regierung unterstehen und menschlich behandelt werden müssen. Die Auslieferung an die Deutschen entsprach bestimmt nicht diesen Vorschriften.

Wussten die Finnen, welches Schicksal die jüdischen Kriegsgefangenen erwartete?

Nach einem Besuch bei den in Estland stationierten deutschen Truppen im November, berichtete ein Beamter der finnischen Geheimpolizei, er habe gehört, alle jüdischen Einwohner Estlands sollten erschossen werden. Auf die Frage, wie viele Juden in Finnland wohnen, antwortete er "zweitausend, aber nicht mehr lange".

Ich bestätige somit, dass die Geheimpolizei Finnlands, zumindest seit 1942, wusste, welches Schicksal den jüdischen Kriegsgefangenen blühte, wenn man sie an die Deutschen auslieferte.

Die allgemein verbreitete Ansicht, Finnland habe die Juden im Zweiten Weltkrieg korrekt behandelt, ist daher nur teilweise begründet. Die Juden, die nicht als "Angehörige des finnischen Volkes" galten, wurden weniger gut behandelt und einige von ihnen wurden gar den Deutschen übergeben, wie wir gesehen haben. Finnland war demnach kein sicherer Hafen für alle Kriegsgefangenen. Die Lage verbesserte sich zwar ab Ende 1942, doch zuvor gab es Gefangenentransporte nach Deutschland und eine harte Behandlung.



@no:* Serah Beizer besitzt ein Lizentiat in zeitgenössischer Geschichte des Judentums von der Hebräischen Universität in Jerusalem. Sie hat Nachforschungen über die Zeit des Holocausts in Schweden und Finnland angestellt. Sie leitet gegenwärtig das Dokumentationszentrum der Jewish Agency.



@le:Freundschaftliches Treffen zwischen Pohjois-Suomessa, Befehlshaber der finnischen Armee der Region im Norden, und Brigadenführer Karl Debelhuber, der im Norden Finnlands die dritte SS-Division befehligte.



Henake Schubak (links), Vater des Autors dieses Artikels, war Berufsschauspieler. Zusammen mit seinen Kameraden veranstaltete er Aufführungen an der Front.



Finnen und Juden als Waffenkameraden. Dieses 1989 veröffentlichte Werk berichtet über die Geschichte der jüdischen Soldaten von 1941 bis 1944 in der finnischen Armee.



Moses Zewi, jüdischer Arzt und Chirurg in der finnischen Armee. Während eines Eingriffs bei einem jüdischen Kriegsgefangenen, der als Russe der Roten Armee angehörte, erhielt er den Befehl die Operation abzubrechen. Der Gefangene starb.



Kriegsgefangene der Roten Armee in einem finnischen Lager.



Frau Serah Beizer.



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Wenn man mit dem Auto von Tel Aviv nach Jerusalem fährt, fällt einem ca. 20 Kilometer vor der Hauptstadt ein Schild auf, das auf das kleine Dorf Yad-Hachmona (die Gedenkstätte der Acht) verweist. Zu den Gründern dieses Ortes gehörten mehrere Finnen, die auf diese Weise der acht jüdischen Flüchtlinge gedenken wollten, die im November 1942 von den finnischen Behörden den Deutschen ausgeliefert worden waren. Es ist allgemein bekannt, dass die Juden in Finnland während des Zweiten Weltkriegs einigermassen korrekt behandelt wurden, auch wenn dieses Land an der Seite der Deutschen kämpfte; diese Situation steht im Widerspruch zum Schicksal der Juden in anderen Ländern, wie z.B. in Ungarn oder Rumänien, die ebenfalls die Alliierten Deutschlands waren. @tn :Dies trifft für die finnischen Juden zu, die sogar in die Armee eingezogen wurden und manchmal auch Seite an Seite mit den Deutschen kämpften. Die jüdischen Flüchtlinge, die am Ende der 30er Jahre in Finnland Unterschlupf gefunden hatten, wurden in Lager gebracht und, wie bereits erwähnt, wurden nur acht von ihnen den Deutschen ausgeliefert.
Es gibt aber noch eine dritte Gruppe von Juden, deren Schicksal vollkommen in Vergessenheit geraten ist. Es handelt sich um die sowjetischen Kriegsgefangenen jüdischer Konfession; Dutzende von ihnen wurden den Deutschen ausgeliefert.
Parallel zum Zweiten Weltkrieg trugen die Sowjetunion und Finnland zwei Kriege miteinander aus. Während des Winterkriegs (30.11.1939 - 13.3.1940) kämpfte Finnland ohne Alliierte und ohne internationale Unterstützung; im Fortsetzungskrieg hingegen (25.6.1941 - 19.9.1944) wurde Finnland von einem mächtigen Verbündeten unterstützt, nämlich von Nazideutschland. Der Beginn des Fortsetzungskriegs war geprägt von Blitzangriffen, die erst Ende Oktober 1941 eingestellt wurden. In der Folge geriet der Krieg in eine ausweglose Situation, die bis 1944 andauerte. Finnland machte insgesamt 64'188 sowjetische Kriegsgefangene.
Mein Vater selig kämpfte als finnischer Soldat im Krieg. Eines Tages riefen ihn seine Kameraden herbei, weil sie einen sowjetischen Soldaten gefangen hatten, der Jude war. Mein Vater stürzte auf ihn zu und murmelte ihm einige Worte auf Jiddisch zu. Der Gefangene war völlig verblüfft, dass ein feindlicher Soldat Jiddisch sprach, hier, mitten im Wald.
Jeder sowjetische Kriegsgefangene wurde in dem Lager ausgefragt, in dem er interniert war, man erstellte für ihn eine Gefangenenkarte und ein Namensschild. Neben den persönlichen Angaben wie Name, Vorname, Name der Eltern und Adresse gab es eine Rubrik betreffend die Nationalität. Der Hauptzweck dieser Erhebung war es, Kriegsgefangene zu finden, die der finnischen Nation nahestanden (die Finno-Ugren), damit diese umerzogen und in Ostkarelien angesiedelt werden konnten. Im äussersten Osten des Landes gelegen, galt Karelien als eine reiche und fruchtbare Gegend, die Finnland 1920 im Friedensvertrag von Dorpat an Sowjetrussland hatte abtreten müssen. Seither träumten die Finnen, insbesondere die Rechtsradikalen, von der Wiedereroberung und Kolonialisierung dieser Region. Karelien war kaum besiedelt und im Verlauf der sowjetischen Phase liessen sich zahlreiche Russen hier nieder und machten bald einen Drittel der Bevölkerung aus.
Die Finnen unterteilten die Gefangenen in 89 Nationalitäten: eine Unterscheidung existierte zwischen Kaukasiern - jede kleinste Ethnie für sich - einerseits, und den Juden und anderen Völkern andererseits. Danach wurden die Kriegsgefangenen in Lager im Inneren des Landes transportiert. Offiziere und politische Häftlinge kamen in ein besonderes Lager, die Juden wurden in die Kategorie "Russen" eingeteilt.
Die finnische Geschichtsforschung befasst sich kaum mit dem Thema der Kriegsgefangenen. Ein Dokumentarfilm über das Schicksal der Kriegsgefangenen mit dem Titel "Ein sicherer Hafen für Kriegsgefangene", der vom finnischen Fernsehen produziert wurde, sowie andere Berichte von Zeitzeugen vermitteln den Eindruck, dass die jüdischen Kriegsgefangenen sogar besser behandelt wurden als die anderen. Dies trifft nur teilweise zu, wie den folgenden Zeilen zu entnehmen ist, die an das Schicksal von 70 jüdischen Kriegsgefangenen erinnern.
In Salla (im Norden Finnlands) wurden am 26. Oktober 1941 zum ersten Mal sowjetische Gefangene den Deutschen übergeben. Auf der Liste der ausgelieferten Männer stehen auch folgende Namen: der jüdische Barbier Zalman Kuznetsov, der Lehrer Alexandre Malkis, der Schneider Chaim Osherovitsh Lev. Neben jedem Namen wird der angebliche Grund für seine Auslieferung in die Hände der Deutschen angegeben: es handelte sich entweder um "Kommissare" oder um "Politruks". Eventuell könnte man sich vorstellen, dass der Lehrer Malkis in die Kategorie "Bolschewiken" gehörte, aber es ist ausgeschlossen, auch den Barbier Kuznetsov oder den Schneider Chaim Lev dieser Gruppe zuzuschlagen.
In den folgenden Monaten wurden auch andere Juden ausgeliefert. Am 4. März 1942 waren mindestens 17 der 60 gefangenen Soldaten Juden, d.h. fast ein Drittel (28,3 %).
Den Karteikarten der Kriegsgefangenen kann man entnehmen, dass die Juden knapp drei Monate nach ihrem Verhör im militärischen HQ ausgeliefert wurden. Eine grössere Gruppe Juden traf im Januar für ein Verhör ein. Im März wurden die oben genannten Gefangenen den Deutschen übergeben: diese Operation war das Resultat der Zusammenarbeit zwischen der finnischen Geheimpolizei und der Gestapo. Eine weitere Gruppe von 9 Juden erlebte ihre Auslieferung im September 1942. Nach diesem Zeitpunkt sind nur noch wenige jüdische Menschen auf den Listen der an die Deutschen ausgelieferten Kriegsgefangenen aufgeführt. Es ist auffallend, dass kein einziger Jude zu den 501 Kriegsgefangenen gehörte, die im Januar 1943 in Hanko eintraf. Der grösste Teil dieser Gruppe stammte aus Kaukasien, unter denen sich nur wenige Georgier befanden. Ein gewisser Vladimir Levin wurde im November 1943 ausgeliefert, doch er war mit der russischen Nationalität registriert worden.
Weshalb wurden die Juden ausgeliefert und welches im Oktober 1942 eingetretene Ereignis setzte dieser Politik ein Ende?
Gemäss Raija Hanski, einer finnischen Akademikerin, die dem Thema nachgegangen ist, wurden "als gefährliche politische Elemente geltende Kriegsgefangene den Deutschen ausgeliefert..., und die Juden wurden damals als besonders gefährlich angesehen." Von den 70 jüdischen Kriegsgefangenen, die in deutsche Hand gerieten und deren Spuren ich in den finnischen Archiven aufspüren konnte, waren 18 noch keine 25 Jahre alt; sie arbeiteten daher ganz bestimmt nicht als Kommissare der Sowjets. Es fallen einem auch 18 Soldaten erster Klasse auf, die schwerlich als politische Rädelsführer bezeichnet werden konnten. Ausserdem werden auf der Liste Zimmerleute, Fotografen, Barbiere, Postangestellte, ein Dekorateur und ein Musiker aufgeführt: es gab keinerlei Grund, diese kleinen Handwerker einer Teilnahme an politischen Aktivitäten zu verdächtigen. Natürlich sind auch einige ältere Männer angeführt, von denen einige Offiziere waren: Lehrer Malkis war Regimentskommissar, Ratner war Historiker und Kommissar.
Daraus schliesse ich demnach, dass einige Gefangene als "gefährliche politische Elemente" gelten konnten, dass aber die meisten von ihnen keinesfalls in diese Kategorie gehörte. Sie wurden aufgrund eines Austauschverfahrens ausgeliefert: die Deutschen schickten ihnen die Kriegsgefangenen, die Angehörige der finnischen Volksstämme waren, damit diese Karelien besiedeln konnten.
Dieses Vorgehen wurde im Oktober 1942 beendet, nachdem in der finnischen Presse die Geschichte der 8 oben erwähnten Flüchtlinge veröffentlicht worden war. Diese Affäre wurde von den finnischen Politikern ausführlich kommentiert, und die Information erschien auch in der schwedischen Presse und sorgte dort für gewisse Aufruhr. Abraham Stiller, Mitglied der jüdischen Gemeinschaft in Helsinki, war ein Geschäftsmann, der sich seit langem für die Interessen der jüdischen Flüchtlinge einsetzte. Als er sich bewusst wurde, dass die Flüchtlinge in die Gewalt der Deutschen gelangen würden, appellierte er an jeden Politiker, den er erreichen konnte, um dieses Schicksal abzuwenden. Leider waren seine Bemühungen nur teilweise von Erfolg gekrönt. Am 6. November 1942, wurden trotz des Drucks, den man ausübte, 8 Juden auf dem Schiff Hohenhorn nach Estland verfrachtet. Ein einziger von ihnen überlebte den Krieg. Abraham Stiller engagierte sich auch für die jüdischen Kriegsgefangenen.
Es gab noch einen anderen, der sich für die Juden einsetzte und in nachhaltiger Weise eingriff, den finnischen Marschall Mannerheim. Ab Herbst 1942 hatte er erkannt, dass die Deutschen den Krieg verlieren würden. Er gab den Befehl, die Behandlung der Kriegsgefangenen im Allgemeinen und anscheinend auch diejenige der Juden im Besonderen zu verbessern. Einige in einem Lager in Loukolampi internierte Juden wurden zunächst von den anderen Häftlingen getrennt und erhielten danach gar Wein und Matzot für das jüdische Osterfest; die hatten sogar Anrecht auf den Besuch eines Rabbiners der Gemeinschaft von Helsinki.
Kann man das Verhalten Finnlands rechtfertigen? Die im Juni 1941 ausgegebenen militärischen Weisungen betreffend die Kriegsgefangenen besagen, dass die Gefangenen der Entscheidungsbefugnis der finnischen Regierung unterstehen und menschlich behandelt werden müssen. Die Auslieferung an die Deutschen entsprach bestimmt nicht diesen Vorschriften.
Wussten die Finnen, welches Schicksal die jüdischen Kriegsgefangenen erwartete?
Nach einem Besuch bei den in Estland stationierten deutschen Truppen im November, berichtete ein Beamter der finnischen Geheimpolizei, er habe gehört, alle jüdischen Einwohner Estlands sollten erschossen werden. Auf die Frage, wie viele Juden in Finnland wohnen, antwortete er "zweitausend, aber nicht mehr lange".
Ich bestätige somit, dass die Geheimpolizei Finnlands, zumindest seit 1942, wusste, welches Schicksal den jüdischen Kriegsgefangenen blühte, wenn man sie an die Deutschen auslieferte.
Die allgemein verbreitete Ansicht, Finnland habe die Juden im Zweiten Weltkrieg korrekt behandelt, ist daher nur teilweise begründet. Die Juden, die nicht als "Angehörige des finnischen Volkes" galten, wurden weniger gut behandelt und einige von ihnen wurden gar den Deutschen übergeben, wie wir gesehen haben. Finnland war demnach kein sicherer Hafen für alle Kriegsgefangenen. Die Lage verbesserte sich zwar ab Ende 1942, doch zuvor gab es Gefangenentransporte nach Deutschland und eine harte Behandlung.

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