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Inhaltsangabe Judäa – Samaria – Gaza Herbst 2001 - Tischri 5762

Editorial - Herbst 2001
    • Editorial

Rosch Haschanah 5762
    • Die Quellen der Hoffnung

Politik
    • Israel ohne politische Strategie

Interview
    • Pragmatismus und Optimismus
    • Terror und Strategie
    • Der Echte «neue Mittlere Osten»
    • Vollblutaraber !

Judäa – Samaria – Gaza
    • Kfar Adumim

Kunst und Kultur
    • Schätze
    • Mischa Alexandrovich
    • Simeon Solomon ( 1840-1905)

Wissenschaft und Forschung
    • Eine Rakete im Bauch !

Junge Leader
    • Der Chefkoch Avi Steinitz

Litauen
    • Unmögliche Palingenese
    • Neue Blüte oder Überlebenskampf?
    • Die Schule Schalom Aleïchem
    • Spitzenleistungen und Vernichtung
    • Paneriai
    • Ein Zeichen aus dem Jenseits
    • Ein lebendiges Zeugnis
    •  Weder Wilna - noch Wilno - sondern Wilne !
    • Mamme Luschen in Wilne!
    • «Dos is geven unser Glick !»
    • Litauen Quo Vadis ?
    • Litauische Zweideutigkeit
    • Erinnerung in Bildern

Ethik und Judentum
    • Zwischen Vorsicht und Panik

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Kfar Adumim

Von Roland S. Süssmann
Auf unserer Entdeckungsreise durch die ausschliesslich jüdischen Gebiete von Judäa, Samaria und Gaza haben wir heute im Dorf KFAR ADUMIM Halt gemacht, das einige Kilometer von Jerusalem entfernt mitten in der Wüste liegt. Worin unterscheidet sich aber dieses reizende Dorf, in dem noch 270 Familien leben, von anderen jüdischen Ortschaften in Israel? Die Besonderheit von Kfar Adumim liegt darin, dass es im Gegensatz zu anderen, ähnlichen Siedlungen die Konkretisierung eines durch und durch ideologischen Projekts ist und keineswegs auf politischen oder strategischen Überlegungen beruht. Die Gründer wollten nämlich ganz einfach eine Gemeinschaft von gläubigen und nichtreligiösen Juden in harmonischem Nebeneinander leben lassen.
Für manche schien dies eine «unmögliche Mission» zu sein, doch die Wirklichkeit vor Ort hat gezeigt, dass ein derartiges Unterfangen mit ein wenig gutem Willen auf beiden Seiten nicht nur durchgeführt werden kann, sondern sogar erfolgreich ist. So erleben die Bewohner von Kfar Adumim seit etwas mehr als zwanzig Jahren täglich eine in Israel einzigartige Erfahrung.
Doch wie hat alles angefangen?
Im Jahr 1976 wohnten sechzig Familien, die drei politischen Gruppierungen angehörten – der Gewerkschaft Histadruth, dem Betar und dem Gusch Emunim (Block des Glaubens) - in einem kleinen Ort namens «Mischor Adumim» (der sich seither in bemerkenswerter Weise entwickelt hat) zusammen. Während einer Generalversammlung sollten alle Einwohner gemeinsam über die Zukunft ihrer Siedlung entscheiden und festlegen, ob der Status als dörfliche Gemeinschaft beibehalten werden sollte oder ob die notwendige Planung vorzunehmen war, damit sich Mischor Adumim allmählich in eine bedeutendere Stadt verwandeln könnte. Man sprach sich für die zweite Möglichkeit aus. Einige Familien, denen die erste Lösung lieber gewesen wäre, beschlossen daher wegzuziehen und baten um die Genehmigung, sich auf einem anderen Hügel niederzulassen und die neue Siedlung Kfar Adumim zu gründen. Sie beschlossen ebenfalls, in dem neuen Ort eine Schule ins Leben zu rufen, in der gläubige und nichtreligiöse Kinder eine gemeinsame Erziehung und Ausbildung erhalten würden, dank der jedes von ihnen die andere Gruppe der israelischen Gesellschaft kennen lernen könnte, auch wenn sie zu einer Randgruppe gehört. Die Akzeptanz und der Respekt «des anderen» kommen heute im Dorf in allen Lebensbereichen zum Ausdruck. Am Schabbat versuchen beispielsweise die nicht gläubigen Menschen ihren weltlichen Aktivitäten auf eine Weise nachzugehen, dass ihre religiösen Nachbarn nicht gestört werden, die sich wiederum bemühen, ihren Lebensstil nicht aufzudrängen. Dennoch kommt es häufig vor, dass nichtreligiöse Familien koscher kochen, damit die Kinder ihre gläubigen Klassenkameraden zum Essen einladen können.
Doch dieses Experiment entfaltet vor allem im schulischen Bereich sein ganzes Ausmass und bereitet so die Kinder auf eine Zukunft vor, in der die Harmonie zwischen Juden jeder Ausrichtung sowie der gegenseitige Respekt zur wichtigsten Regel erhoben werden. Die Schule wird von 270 Kindern im Alter zwischen 6 und 15 Jahren besucht, von denen die meisten in Kfar Adumim wohnen. Nur wenige von ihnen kommen aus den zwei jüdischen Nachbardörfern Alon und Nofeh Prat, die genau nach demselben Prinzip funktionieren wie Kfar Adumim. Das Verhältnis zwischen «Gläubigen und Nichtgläubigen» in der Schule selbst ist ausgewogen, was nicht bedeutet, dass der eine Teil streng orthodox ist und der andere vollkommen liberal, weil die gesamte Palette der unterschiedlichen religiösen Ausrichtungen vertreten ist. Im Grossen und Ganzen ist der Lehrplan sehr individuell gestaltet, es gibt gemeinsamen Unterricht und häufigere und vertieftere Kurse in jüdischen Fächern für die Kinder aus gläubigen Familien. Bestimmte geistige Fächer, insbesondere der Kunstunterricht, der die Kinder zu grosser Offenheit erziehen soll, werden von allen besucht, was in hohem Ausmass zur Festigung der Harmonie beiträgt. Da das Dorf mitten in der Wüste liegt, wird viel Wert auf das Studium der umgebenden, unglaublich vielfältigen Natur gelegt. Diese Kurse sollen auch die jüdische Identität der Kinder stärken, da zwischen dem jüdischen Volk und der Wüste, der es letztendlich entstammt, eine tiefe Beziehung existiert. Darüber hinaus besitzt ein Programm zur Einführung in den behutsamen Umgang mit der Natur, in den Umweltschutz, in die Naturwissenschaften, in die Beziehungen zwischen Mensch und Tier und in das Leben als solches im Rahmen der Schule einen sehr hohen Stellenwert. Dieses Fach wird übrigens von den Schülern sehr geschätzt, denn es kommt häufig vor, dass sie kleine Tiere in der Wüste finden, die sie in die Schule bringen um sie hier zu pflegen, zu füttern und zu studieren. Obwohl der Zoologiesaal Teil der Schule ist, gilt er als ausserschulische Aktivität und muss demnach vollumfänglich von den Eltern der Schüler finanziert werden.
In der gegenwärtigen politischen Situation stellt sich die grundlegende Frage danach, wie die Kinder und Jugendlichen in dieser Schule auf die arabische Gewalt reagieren. In einem Gespräch mit dem Direktor der Schule, Daniel Steiner, machte er uns namentlich folgende Erklärung: «Im Allgemeinen sind unser Dorf und die Nachbarorte recht ruhig, so dass unsere Jugend nicht direkt mit Gewalt konfrontiert wird, wie dies in anderen Regionen in Judäa-Samaria der Fall ist. Merkwürdigerweise kann man ausserdem feststellen, dass die Bevölkerung unserer Gegend in der Regel deutlich weniger Angst hat als diejenige in den Städten, ja sogar mutig ist. Aber natürlich haben wir immer ein offenes Ohr für die Befürchtungen und Ängste unserer Schüler, die wir uns anhören und so gut wie möglich zu kontrollieren versuchen. Es handelt sich in erster Linie um eine psychologische Hilfestellung, welche die Unterstützung durch ihre Eltern ergänzt.»
Interessanterweise stellt man fest, dass die Erfahrung betreffend die gemeinsame Ausbildung von gläubigen und nichtgläubigen Kindern in den Programmen des Erziehungsministeriums nicht vorgesehen ist. Daraus lässt sich schliessen, dass eine Reihe von Aktivitäten im Zusammenhang mit diesem Versuch der Annäherung von den Dorfbewohnern finanziert werden, die sich nichts sehnlicher wünschen, als dass ihre Idee weiterhin erfolgreich verwirklicht wird. Im Gegensatz zu anderen Schulen in Israel mit einem ähnlichen Ziel, die in zahlreichen Fällen ein oder mehrere Mäzene unterstützt und in denen religiöse und nichtreligiöse Schüler gemeinsam unterrichtet werden, steht die Schule von Kfar Adumim im Zentrum einer umfassenden Lebenserfahrung. Dies bedeutet, dass die Kinder auch nach der Schule den Kontakt zu den Kameraden pflegen, deren Eltern eine andere Auffassung des religiösen Lebens vertreten.
In einer lebhaften Diskussion machte Frau Chagit Ariel, die zusammen mit ihrem Mann Uri (siehe SHALOM Vol. 30) zu den Paaren gehört, die Kfar Adumim gegründet haben, folgende Aussage: «In einer Zeit, in der das Einvernehmen und das gegenseitige Verständnis innerhalb des jüdischen Volkes von entscheidender Bedeutung sind, weil sie unseren Zusammenhalt stärken, ist es äusserst wichtig, dass Erfahrungen des gemeinsamen Lebens, die ebenso erfolgreich sind wie diejenige in Kfar Adumim, vom gesamten jüdischen Volk finanziell und moralisch nachhaltig unterstützt werden. Leider stossen die Verantwortlichen, welche die finanziellen Mittel für die Entwicklung unserer Schule zusammenzutragen versuchen, auf grosse Schwierigkeiten, um sich Gehör zu verschaffen, weil unser Dorf einerseits in Judäa liegt und zahlreiche jüdische Organisationen keine Projekte in dieser Gegend unterstützen, und weil andererseits dieses Experiment und seine Ergebnisse nicht bekannt genug sind.»
In Kfar Adumim geschieht sehr viel mehr als nur ein Experiment des Zusammenlebens zwischen gläubigen und nichtgläubigen Israelis. Die Anstrengungen sowohl finanzieller als auch praktischer Art seitens der Bewohner dieses Dorfes zugunsten einer derartigen Kohabitation stellen ein lebendiges Beispiel für ganz Israel dar. Dieses Projekt kann sehr wohl eine gewichtige Rolle bei der Entwicklung der Beziehungen zwischen diesen beiden Teilen der jüdischen Gesellschaft in Israel und in der Diaspora spielen.
Die Schule von Kfar Adumim hat unsere vorbehaltlose Unterstützung verdient!


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