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Inhaltsangabe Kunst und Kultur Herbst 1998 - Tischri 5759

Editorial - Herbst 1998
    • Editorial

Rosch Haschanah 5759
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Politik
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Judäa-Samaria-Gaza
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Shalom Tsedaka
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Ethik und Judentum
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Jüdische Bekleidung

Von Philip Vann *
Die Art und Weise wieder aufleben zu lassen, wie sich die Juden im Verlauf der Jahrhunderte anzogen, stellt sowohl auf geistiger als auch auf sozio-geografischer Ebene einen bewegenden Aspekt der jüdischen Geschichte dar. "Bekleidung in allen Farben: eine Ausstellung von jüdischen Kleidern und Gebräuchen" im jüdischen Museum von London (bis zum 17. Januar 1999) zeigt dem Besucher ein wahrhaft atemberaubendes Kaleidoskop von traditionellen jüdischen Kleidern aus der ganzen Welt: vom biblischen Zion bis zur chinesischen Tang-Dynastie, vom mittelalterlichen Deutschland bis zum georgianischen England, von Cochin in Indien über Samarkand und Buchara bis nach Sizilien.
Die Ausstellung wird zu Ehren von Alfred Rubens veranstaltet, der im Mai 1998 im Alter von 94 Jahren verstarb und aus dessen berühmter Sammlung die wichtigsten der gezeigten Stiche und Zeichnungen stammen (die er in seiner Jugend zusammenzutragen begann), welche die zahlreichen Facetten des jüdischen Lebens darstellen. Das lesenswerte Werk von A. Rubens, "Geschichte der jüdischen Bekleidung", dessen letzte Auflage 1973 von Weidenfeld & Nicolson in London herausgegeben wurde, gilt in diesem Bereich weiterhin als Referenz. Eine Neuauflage wäre ausserdem durchaus verdient. In den Schaukästen des Museums sind traditionelle jüdische Kleidungsstücke ausgestellt, darunter ein marokkanisches Hochzeitskleid vom Ende des 19. Jhds., gewobene Stoffe (Ikhat) aus Buchara, verschiedene Kopfbedeckungen und eine Auswahl alter, herrlich bestickter Beschneidungskleider, die in ihrer perfekten Miniaturausführung unsere Gefühle erwecken.
Rubens zählt die "fünf Faktoren auf, welche das Aussehen der jüdischen Kleidungsstücke in alter Zeit bestimmen": die Tsitsith (rituelle Fransen); die Peoth (Schläfelocken); das Schaatnez (Verbot, Wolle und Leinen zu mischen); die Tefillin (Gebetsriemen) und die Verpflichtung verheirateter Frauen, sich die Haare zu bedecken. Im Altertum wurden die am Ende des Talith, des rituellen Schals, den die Männer aller Schichten trugen, festgemachten Tsitsith mit königlichem Purpur gefärbt (Tchelet) und waren sehr teuer ; zu ihrer Herstellung musste der Schleim zweier Schneckenarten gekocht werden, die an der tyrischen Küste vorkamen (heute im Süden von Haifa).
In dem Ausmass, wie die jüdischen Gemeinschaften sich über Europa und Asien ausbreiteten - zu Beginn war es nur eine kleine Zahl von Händlern und Kaufleuten, später, nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer, wurde eine breite Völkerwanderung daraus -, behielten sie ihre Gebräuche bei, sowohl bei der Gottesdienstgestaltung als auch in bezug auf Kleider- und Ernährungsgewohnheiten. Den Juden gelang es jedoch immer wieder, die Kleidermode der Ungläubigen an ihre Bedürfnisse anzupassen. Sie übernahmen oft die Kleider, die von Moslems oder Christen der oberen Schichten getragen wurden und verwendeten diese Kleider noch lange nachdem sie aus der Mode geraten waren. So wurden die langen Mäntel (Abwandlung des mittelalterlichen Kaftans) und die pelzverbrämten Mützen, die eine Zeitlang vom polnischen Adel getragen wurden, im 18. Jhd. zum Erkennungsmerkmal der "Chassidim" und sind es bis heute geblieben. Die armen polnischen Juden bemühten sich, diese kostbaren Gewänder zu flicken und trugen sie bis zur Fadenscheinigkeit aus. Auch der erstaunliche Kragen des 16. Jhds., der den Namen "Judenkragen" erhielt, ist das Erbe einer eleganten Mode der Nichtjuden (Beispiele dafür kann man auf den Porträts von Rembrandt sehen); drei Jahrhunderte später legten die deutschen Juden diesen Kragen noch für den Gang in die Synagoge an.
1454 schrieb ein Jude aus Konstantinopel an zwei Glaubensbrüder im Rheinland: "Wäre es für Euch nicht von Vorteil, in muslimischem Land zu leben als unter christlicher Herrschaft ? Hier darf jedermann in Frieden unter seiner Rebe und seinem Feigenbaum leben. In christlichen Landen wagt Ihr es nicht einmal, Eure Kinder nach Eurem Geschmack in Rot oder Blau zu kleiden, da sie sonst der Gefahr ausgesetzt sind angepöbelt oder Ihr gar ausgewiesen zu werden; daher seid Ihr dazu verdammt, in traurigen Fetzen herumzulaufen." Ab dem 16. Jhd. wurden in Westeuropa Bildbände mit Kostümen herausgegeben, auf denen in islamischen Ländern lebende Juden abgebildet waren. Die Stiche und Begleittexte beschrieben mit allen Einzelheiten die damaligen Lebensgewohnheiten. Einige der beschriebenen Kopfbedeckungen sind besonders bemerkenswert. Eine von ihnen wurde zu Beginn des 18. Jhds. von den jüdischen Frauen in Smyrna getragen und bestand aus "einer mit weissem Satin überzogenen Zinn- oder Kupferplatte, bestickt mit Gold- und Silberfäden", wie ihn Rubens beschrieb; eine andere Kopfbedeckung, die bei den jüdischen Frauen von Saloniki beliebt war, wird von einer englischen Dame 1891 folgendermassen beschrieben: "Die verheirateten Frauen verstecken ihre Haare in einem rechteckigen seidenen Sack... ungefähr zwölf Finger lang... dessen Borte mit Stickereien verziert ist und... dessen Rand oft mit kleinen Perlen bestickt ist." Die Kleider der jüdischen Frauen in Jemen sind, wie das im Israel Museum in Jerusalem gezeigte Hochzeitskleid von Saana, reich verziert und bestehen aus mit Edelsteinen besetzten Stofflagen, mit mehrreihigen Halsketten aus massivem Gold und Silberkugeln.
Über die Bekleidung der europäischen Juden zu Beginn des Mittelalters weiss man herzlich wenig; man geht in der Regel davon aus, dass sie den Kriterien der biblischen Vorschriften entsprach. Es leuchtet jedoch ein, dass der Kleiderunterschied zwischen Juden und Nichtjuden gegen Ende des Mittelalters in bestimmten Regionen nicht mehr bestand. 1215 beschloss Papst Innozenz III., dass die Juden "sich jederzeit deutlich durch den besonderen Charakter ihrer Kleider von den anderen unterscheiden mussten ". In ganz Europa beeilten sich die Behörden, Beschlüsse zu veröffentlichen, in denen den Juden befohlen wurde, in der Öffentlichkeit ein deutliches Zeichen zu ihrer Unterscheidung zu tragen, das oft die Form eines Rades annahm ; daher stammmt der Name "Rädchen", den dieses entwürdigende Zeichen erhielt. Es musste auf der Stirn oder an der Brust, auf einem Hut oder auch am Gürtel getragen werden. Die Weigerung, das Zeichen zu tragen, wurde in mancherlei Weise bestraft: Bussen, Peitschenhiebe oder Beschlagnahmung der Kleider. Seit dem 9. Jhd. waren den Juden in den meisten von den Mohammedanern dominierten Ländern ebenfalls bestimmte Farben und Merkmale aufgezwungen worden. Das Rad verkörperte demnach das Entwürdigendste von ihnen, ein mittelalterlicher Vorläufer des gelben Judensterns, den die Deutschen die Juden zu tragen zwangen.
Die älteste uns bekannte Abbildung des berühmten spitzen Hutes oder "Judenhutes" ist auf einer Miniatur der Bibel Stavelot aus dem 11. Jhd. zu finden, die sich heute im British Museum befindet. Zur Zeit des infamen päpstlichen Dekrets im Jahr 1215 war dieser im allgemeinen gelbe Hut "zum universellen Symbol des Judentums geworden, eine Entsprechung des Magen David der modernen Zeit" (nach den Worten von Rubens). Jeder am Ende des Mittelalters lebende westeuropäische Jude trug zwangsläufig einen Bart, den spitzen Hut und das Zeichen. Der Judenhut war sehr bald nicht mehr gebräuchlich; doch obwohl er nicht mehr obligatorisch war, wurde dieser Hut in den jüdischen Familien Deutschlands bis zu Beginn des 18. Jhds. mit Stolz getragen. In Wirklichkeit wurden die Juden in ihrer Kleiderfreiheit ebenso von den Luxusgesetzen eingeschränkt, welche die Ältesten ihrer eigenen Gemeinden ihnen auferlegten - diese stützten sich auf die biblischen Grundsätze der Bescheidenheit und der Schlichtheit, sowie auf die Ablehnung dessen, was der Prophet Tsefania "das seltsame Beiwerk" der Nichtjuden nannte - wie durch die strengen Vorschriften der Ungläubigen. Im 18. Jhd. brachte die Aufklärung in Europa eine radikale Veränderung; die Juden genossen von nun an eine grössere Freiheit in ihren Bewegungen. Ein von Thomas Hudson (um ca. 1760;ausgestellt im Jewish Museum von London) ausgeführtes Doppelporträt zeigt Naphtali Franks, den Wächter der Grossen Synagoge von London, und seine Gattin Phila: der Mann ist sorgfältig rasiert, er trägt eine elegante Perücke und einen Degen, während die Frau in dekolletiertem Kleid und unbedecktem Kopf posiert. Die begüterten europäischen Juden konnten von da an einen völlig angepassten "Look" annehmen, und dieses Phänomen kündigt bereits tiefergehende gesellschaftliche Umwälzungen an, die in der Folge auftraten.

* Philip Vann ist Kunstkritiker und Schriftsteller in England.

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